Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski
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Kara Mustafa Pascha (geb. 1634/35 in Marınca bei Merzifon, Eyâlet Sivas; gest. 25. Dezember 1683 in Belgrad) war unter der Regentschaft des Sultans Mehmed IV. Großwesir des Osmanischen Reiches und Oberbefehlshaber bei der Zweiten Belagerung Wiens zu Beginn des Großen Türkenkrieges.
Unter diesen Umständen war es doppelt misslich, dass nach dem Tod des friedfertigen Großveziers Köprili im Jahr 1676 die Beziehungen zur Pforte sich wieder verschlechterten. Kara Mustapha, der an seine Stelle trat, war, weil er von den Polen besiegt worden war, angegriffen und glaubte, seine erschütterte Stellung durch einen Sieg über Österreich wieder befestigen zu können. Die aufständischen Ungarn unter Emerich Tököly versprachen, ihn zu unterstützen. Im Frühling des Jahres 1683 wälzte sich ein Heer von 200.000 Türken gegen Wien heran; denn es war Kara Mustaphas Plan, die Hauptstadt zu erobern.
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Straßburg
Straßburg
Fast immer sind Koalitionen im Nachteil gegen einen einzelnen Feind, selbst wenn sie ihm zahlenmäßig überlegen sind. Das Zusammenwirken des Kaisers mit dem Kurfürsten von Brandenburg gestaltete sich vollends unfruchtbar. Der Kurfürst beschuldigte die Kaiserlichen absichtlicher Untätigkeit, Montecuccoli zog sich zuerst vorübergehend, dann ganz von der Heeresleitung zurück. Es kam zu keinem nennenswerten Erfolg, der Tod Turennes, der bei Sasbach von einer Kugel getroffen wurde, blieb unausgenützt. Von diesen Unzuträglichkeiten abgesehen, sicherte ihre größere militärische Tüchtigkeit den Franzosen das Übergewicht. „Bei den Deutschen“, sagte Leibniz, „kein Schneid im Handeln, kein Geist in den Unternehmungen, keine Spur von Feldherrnkunst. Es war, wie wenn ein ungeschlachter Riese kämpfte mit einem geübten Fechter von Fach: jener plump, unbeholfen, dieser lebhaft, gewandt, sicher, mitten im Kampf kaltblütig, besonnen. Denn für die Franzosen gab Kunst, Geist und Schnelligkeit, nicht Macht und Wucht den Ausschlag, und ihre Pläne waren geheim, ihre Schläge nicht aufzufangen wie der Blitz, erst zu bemerken, wenn sie schon saßen. Die Führer Männer von Kopf, die Obersten und Hauptleute stramm im Dienst, alle der Belohnung sicher.“ Dieses schneidende Urteil kann nur auf die Führung bezogen werden. Die deutschen Soldaten waren gut und sollten bald unter ausgezeichneten Führern ihre Leistungsfähigkeit beweisen.
Einen bedeutenden Erfolg errang die französische Diplomatie, als es ihr gelang, die Schweden zu einem Einfall in die Mark Brandenburg zu veranlassen. Der höfliche schwedische Anführer versicherte zwar, das solle keine Ruptur bedeuten; aber der Große Kurfürst nahm es für das, was es war, und kam ohne Zeitverlust seinem Land zu Hilfe. In seinem eigenen Interesse verletzt, zeigte er, was er leisten konnte, wenn er wollte. In raschem Zug führte er seine Truppen vom Rhein nach dem Osten, eroberte das von den Schweden besetzte Rathenow zurück, besiegte den Generallieutenant Wrangel in der Reiterschlacht bei Fehrbellin und jagte den Feind in der vielbewunderten Fahrt über die Eisfläche des Kurischen Haffs über die Grenze. Dann eroberte er Stettin und glaubte sich ein zweites Mal im Besitz von Pommern. Dass Ludwig XIV., dessen Absicht es durchaus nicht war, das Reich von den Schweden zu befreien, ihm die Beute entriss, erbitterte ihn nicht gegen den französischen König, sondern gegen den Kaiser, der ihn allerdings nach längerem Auf und Ab der Meinungen am Wiener Hof preisgab. Der Friede von Nymwegen, der im Jahr 1679 den ersten Koalitionskrieg abschloss, war ein Triumph der französischen Diplomatie. Nachdem zuerst Holland, wo die Aristokratenpartei wieder zu Ansehen kam, sich durch einen vorteilhaften Handelsvertrag hatte gewinnen lassen, folgten Spanien und der Kaiser; da musste auch Friedrich Wilhelm sich fügen. Von Groll gegen den Kaiser erfüllt, schloss er sich neuerdings eng an Frankreich. Ludwig XIV. konnte sorglos zu neuen Eroberungen schreiten.
Wenn er etwas rauben wollte, pflegte Ludwig vorher zu proklamieren, dass er nichts als den Frieden wünsche und nie etwas nähme, als was ihm gehöre. Was ihm gehöre, bestimmten die sogenannten Reunionskammern, deren Aufgabe es war, festzustellen, welche Gebiete von den Besitztümern Metz, Toul und Verdun jemals abhängig gewesen wären. Als die Kammern einmal, vom Eifer fortgerissen, auf diese Weise die Bistümer Straßburg, Speyer, Worms, Trier und Mainz einforderten, soll selbst Louvois, der französische Kriegsminister, gelacht haben.
Der spätere Kardinal Richelieu wurde am 9. September 1585 in Paris als Armand du Plessis de Richelieu geboren. Ursprünglich war er für eine militärische Laufbahn vorgesehen, aber als sein Bruder Alphonse-Louis (1582 – 1653) auf das Amt des Bischofs von Luçon verzichtete, kam Richelieu im Jahr 1607 als „Ersatzkandidat“ zum Zuge. 1614 überzeugte er bei den Generalständen mit seinen rhetorischen Fähigkeiten. 1616 wurde Richelieu von der Regentin Maria von Medici (1575 – 1642) zum Außenminister.
Richelieu hatte diesen Weg vorgezeichnet, indem er im Jahr 1624 eine Kammer gründete, die den französischen Anspruch auf Lothringen zu begründen hatte, später galt er der Eroberung des Elsass. Nach einer längeren Pause nahm die an das Parlament von Metz angeschlossene Reunionskammer im Jahr 1679 ihre Tätigkeit wieder auf, wobei angenommen wurde, dass die drei Bischöfe von Metz, Toul und Verdun als Kläger auftraten und die von ihnen abhängenden Vasallen zur Huldigung aufforderten, widrigenfalls ihre Gebiete ihnen aberkannt würden. Proteste wurden nicht beachtet. Als räumliche Grenze wurde der Rhein betrachtet, eine zeitliche Grenze gab es nicht, man ging bis auf Karl den Großen zurück. Er befürchte, sagte der österreichische Staatsmann von Hornigk, das um sich fressende Dependentienfeuer werde auch die rechtsrheinischen Lande ergreifen, und schließlich werde der König von Frankreich ganz Deutschland als abhängig vom Bistum Metz und als sein Eigentum erklären.
Es wird erzählt, Karl V. habe einmal gesagt, wenn Straßburg und Wien gleichzeitig von Feinden bedroht werden sollten, würde er zuerst Straßburg entsetzen. Als der Fall eintrat, stand ein schwächerer Fürst an der Spitze des Reiches, aber schwächer nicht nur durch seinen Charakter, sondern auch durch nicht von ihm verschuldete Umstände. Das Elsass hatte er verloren, die Aussicht, es wiederzugewinnen, war gering, das Schwergewicht Österreichs hatte sich nach dem Osten verlagert. Nachdem der unglückliche Friede von Nymwegen geschlossen war, in dem Leopold sogar die Stadt Freiburg im Breisgau, ein Kleinod seiner Krone, geopfert hatte, stand er wieder allein, mit dem militärisch wichtigen Kurfürsten von Brandenburg war er sogar verfeindet. Im Osten bereitete sich die Türkei zu einem großen Schlag vor.
Ludwig XIV. hätte die heißbegehrte Reichsstadt Straßburg am liebsten durch Schmeichelei und Bestechung gewonnen. Wohl gab es in Straßburg seit mehr als 100 Jahren eine französische Partei, aber ausschlaggebend war sie nicht. Die Einwohner waren deutsch und wollten deutsch, wollten vor allem Reichsstädter bleiben, was sie auch im letzten Krieg durch die Tat bewiesen hatten. Die Reichsfreiheit war das Fundament ihres Wohlstandes und Ansehens; wie hätten sie darauf verzichten sollen! Sodann waren sie durchaus protestantisch. Die Stadt, die unter Führung des Stättmeisters Sturm und des Pfarrers Martin Butzer eine Säule der Reformation gewesen war, misstraute dem katholischen Frankreich.
Martin Butzer
Als im Herbst des Jahres 1681 französische Truppen sich um Straßburg zusammenzogen und ihre Absicht nicht mehr zu verkennen war, verbreitete sich Schrecken. Eine Aussicht auf Entsatz zeigte sich von keiner Seite. Ludwig hatte mit der Möglichkeit gerechnet, dass die evangelischen Orte der Eidgenossenschaft sich um der alten Bundesgenossin willen rühren würden; aber auch sie blieben still. Das Reich war wie gelähmt. Wohl brachte der Kaiser auf dem Reichstag eben damals eine neue Reichskriegsverfassung zustande; aber sie kam der bedrängten Reichsstadt nicht zugute. Der Magistrat war in großer Sorge, wie sich der notwendige Übergang an Frankreich vollziehen sollte, ohne dass es zu einem Aufruhr im Volk käme. Denn notwendig schien es, sich zu fügen, heroischer Untergang kam nicht in Betracht. Nicht einmal zu einem Tumult kam es; nach der Überlieferung verlangte ein einziges Männlein von 70 Jahren, ein Schneider, dass bis zum Tode für die Freiheit gekämpft werde. Er fand jedenfalls keinen Widerhall in der Bevölkerung: man ließ, wenn auch ungern, das Unvermeidliche geschehen.