Carlo Collodi

Pinocchio


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schon ein Paar Straßenbummler und stellten sich um die beiden herum. Sie schwatzten hin und her. – »Armes kleines Hampelchen«, meinte einer, »du hast ganz recht, wenn du nicht nach Hause willst. Der Seppel ist ein Grobian und wird dich halbtot schlagen.«

      Andere spöttelten boshaft und sagten:

      »Der Schnefler-Seppel! – Ja, ja! – Er hat ein zuckersüßes Gesicht. Aber man kennt ihn. Ein Unmensch ist er, ein Rabenvater. Bei diesem Ungeheuer wird der unschuldige Kleine gut aufgehoben sein! Seht doch mal wieder die kluge Polizei.«

      Immer größer ward die Menschenmenge, immer lauter ihr Schimpfen. Da kam der Schutzmann wieder, verhaftete den Meister Seppel und führte ihn fort ins Gefängnis.

      Der unglückliche Alte tat keine Widerrede. Er weinte still und sprach:

      »Der Zauberhampel wird mein Sorgenkind. – Wie habe ich mir doch Mühe gegeben, einen ordentlichen Kleinen aus dem Holze zu schneiden! – Wenn man doch nur an alles vorher denken könnte! Jetzt bin ich selber schuld an meiner Schande.«

      Guter Vater Seppel, das war nur ein schwacher Anfang. Wenn du ahnen könntest, was für Sorgen und Leiden dein Zauberhampel noch über dich bringt, du müßtest völlig verzweifeln.

      Viertes Stück.

       Bengele und Lispel-Heimchen

      Seppel wurde unschuldig ins Gefängnis geführt, Bengele, der Schlingel, war frei.

      Hättet ihr ihn sehen können, wie er davonlief! Er wollte keinen einzigen Menschen mehr sehen, sprang zur Stadt hinaus in die Felder, setzte über hohe Dornhecken und dichte Brombeerstücke, er machte Sprünge über Löcher und Wassergräben wie ein flinkes Reh und irrte ziellos umher wie ein gehetzter Hase.

      Endlich kam er nach Hause. Die Türe stand noch offen. Er trat ein und schlug sie hinter sich zu. Dann setzte er sich mitten in der Stube auf den Boden, holte tief Atem und stieß die Luft wieder aus mit einem langen, zufriedenen: Aaah!

      Leider dauerte seine Behaglichkeit nicht lange. Es gab ein Geräusch im Zimmer, ein Zirpsen: Kri-kri-kri! – Bengele schaute überall herum und fragte furchtsam:

      »Was soll das heißen? – Wer ist denn hier?«

      »Ich!« lispelte ein zartes Stimmchen. Bengele drehte sich um und sah eine schwarze Grille langsam die Wand hinaufklettern.

      »Wer bist du?«

      »Ich bin das Lispel-Heimchen und wohne seit hundert Jahren in diesem Zimmer.«

      »Das aber von heute an mir gehört«, ergänzte Bengele grob diese Worte. – »Bitte, mache dich aus dem Staube und laß es dir nicht zweimal sagen.«

      »Wenn es sein muß, kann ich gehen. – Darf ich dir vor dem Abschied noch eine gute Lehre geben?«

      »Meinetwegen! – aber kurz!«

      »Schlecht geht es allen Kindern, die nicht auf ihre Eltern hören und eigenmächtig aus dem Hause laufen. Sie rennen ins Unglück und müssen einmal ihren Ungehorsam bereuen.«

      »Predige nur, du Grillenkopf, und quiekse, solange es dir beliebt. Trotzdem gehe ich morgen früh schon wieder fort. Dann kannst du hier wieder einziehen. Mir gefällt es nicht. Wenn ich bleibe, so schickt man mich morgen zur Schule, und – gern oder ungern – müßte ich etwas lernen. Aber, offen gestanden, dazu habe ich gerade am wenigsten Lust. Schmetterlinge jagen und Vogelnester ausheben ist viel schöner!«

      »O du Gescheitele! Weißt du, wieweit man es damit bringt? – Du wirst bald ein großer Esel sein und alle lachen dich aus!«

      »Hältst du gleich den Schnabel, du schwarze Unglücksgrille«, schimpfte Bengele.

      Aber Lispel-Heimchen bewahrte sein kaltes Blut und seine ernste Ruhe; es nahm dem Schlingel die Unart nicht übel und fuhr in ernstem Tone fort:

      »Wenn es dir nicht paßt, in die Schule zu gehen, so lerne ein Handwerk; dann kannst du dir doch das Brot verdienen!«

      Dem Bengele ging jetzt die Geduld aus und er sagte spitz:

      »Weißt du, Piepser, welches Handwerk mir am besten gefällt?«

      »Nein!«

      »Also paß auf! – Gut essen und trinken, schlafen und spielen und den lieben langen Tag auf der Straße herumstreichen, das ist das schönste Handwerk!«

      »Mag sein, aber merke dir wohl: alle, die es treiben, endigen einmal im Krankenhaus oder im Zuchthaus.« So sagte mit kalter Seelenruhe Lispel-Heimchen.

      »Nimm dich in acht, Grillenköter, mit deiner bösen Zunge! Wenn mir die Galle steigt! ... Nimm dich zusammen! ...«

      »Armer Bengele, du tust mir wirklich leid!«

      »Warum soll ich dir leid tun?«

      »Du bist halt ein Hampelmann und hast einen Holzkopf.«

      Jetzt schnellte Bengele wütend vom Boden auf, riß einen Holzhammer von der Schnitzelbank und schleuderte ihn gegen das Lispel-Heimchen.

      Vielleicht wollte er daneben zielen; aber der Hammer flog dem Tierchen gerade auf den Kopf. – Lispel-Heimchen zirpte eben noch: kri-kri-kri, dann ging ihm der letzte Atem aus, und es blieb wie eine getatschte Fliege an der Wand hängen.

      Fünftes Stück.

       Ein Eierkuchen, der davonfliegt.

      Indessen war es Abend geworden, und Bengele erinnerte sich, daß er noch nichts gegessen hatte. Er spürte eine Leere im Magen und fühlte starken Appetit. Im Handumdrehen war der Appetit schon Hunger und verlangte gestillt zu werden.

      Auf dem eisernen Ofen in der Ecke stand ein Topf. Das Hampelchen hob den Deckel ab und schaute hinein. – Nichts als Wasser. Bengele sah sein dummes Gesicht darin abgespiegelt und setzte kopfschüttelnd den Deckel wieder auf den Topf.

      Das hungrige Hampelchen rannte im Zimmer auf und ab, zog alle Schubladen aus, öffnete alle Kästchen. – O daß er doch ein Stückchen Brot finden könnte, wenn es auch ganz trocken wäre! Sogar mit einer alten, harten Kruste hätte er sich begnügt, aber gar nichts war da auf Vorrat bei seinem armen Vater Seppel.

      Indes wurde der Hunger immer stärker und Bengele fing an zu gähnen. Er riß den Mund entsetzlich auf und glaubte, sein Magen gehe ihm davon. Mutlos und verzweifelt fing er an zu weinen und sprach:

      »Ja, ja! Lispel-Heimchen hat doch recht gehabt und hat es so gut mit mir gemeint. – Aber ich war eigensinnig und unartig; ich habe dem Vater nicht gehorcht und bin ihm davongelaufen. – Wenn doch nur der Vater da wäre! – Durch meine Schuld ist er ins Gefängnis gekommen, und ich muß daheim vor Hunger sterben. – Der Hunger tut so weh; er ist eine schreckliche Krankheit.« –

      Hurra! – Dort liegt etwas auf dem Kehrichthaufen. Bengele springt hin, hebt es auf und ruft:

      »Ein Ei! Ein Ei!« – Der halbverhungerte Hampelmann kann sein Glück kaum fassen. Er hält das Ei in beiden Händen, drückt es an die Wangen, küßt und streichelt es.

      »Jetzt mache ich mir einen Eierkuchen«, sagt er überglücklich, »oder soll ich es einschlagen? – oder weichkochen? – Das Einschlagen geht am schnellsten; ich kann nicht mehr lange warten mit meinem Hunger.«

      An der Wand hing eine Bratpfanne. Er holte sie herab und stellte sie auf die Kohlenglut, über der Vater Seppel den Leim kochte. Butter oder anderes Fett war nicht da. Bengele goß Wasser in die Pfanne und blies die Kohlenglut neu an. Das Wasser begann ein wenig zu dampfen, da nahm er das Ei, schlug es auf den scharfen Rand der Pfanne und ... –

      »Pieps, pieps!« begrüßte ihn ein lustiges buntfarbiges Vögelchen; es kroch flink aus dem Ei, setzte sich auf den Pfannenstiel, schlug die Flügel und putzte sich. Dann machte es dem Bengele ein artiges Kompliment und sang mit heller Stimme:

      Mein