Karl Liebknecht

Reden


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aller Völker, des Klassenkampfes, den die Arbeiterklasse innerhalb der einzelnen Länder und in der Internationale führt gegen diejenigen Kreise, deren Geschäft der Imperialismus ist. Hier gilt es weiter zu arbeiten genau in der Richtung, in der die Sozialdemokratie, die internationalen sozialistischen Kongresse bisher gewirkt haben; wir haben nicht einen Buchstaben wegzunehmen von dem, was wir bisher gesagt und getan haben. Und wenn die Sozialdemokratie aller Länder in dieser Richtung unter Aufbietung der rücksichtslosesten Energie weiterarbeitet, so tut sie alles, um das Menschenmögliche an Macht zu entfesseln, den Imperialismus an kriegerischen Abenteuern zu hindern. Die internationale proletarische Solidarität immer weiter auszubilden und zu festigen, den Klassenkampf immer intensiver und leidenschaftlicher zu gestalten, immer mehr bereit zu sein, mit allen Mitteln, koste es, was es wolle, dem Imperialismus entgegenzutreten, das ist meiner Überzeugung nach ein sehr guter und sicherer Schutzwall gegen die Völkerverhetzung der herrschenden Klassen, und wir können nichts Besseres tun gegen die Kriegsgefahr, als den herrschenden Klassen keinen Zweifel zu lassen, welch gewaltige wirtschaftliche, politische und soziale Gefahren sie durch die Entzündung eines Weltenbrandes über sich heraufbeschwören, vermöge der hohen intellektuellen Entwicklung des Proletariats und vermöge der rücksichtslosen Entschlossenheit des Proletariats zum Klassenkampf. Für uns gilt in der Tat das alte Wort: si vis pacem, para bellum, wenn du Frieden willst, bereite den Krieg. Wir können sagen, wenn wir den Völkerfrieden wollen, müssen wir den Krieg, den Klassenkampf bereiten, ihn mehr und mehr international führen und schüren. Es ist nicht möglich, heute abzuirren von der Richtlinie, die wir auf unseren bisherigen Kongressen uns gezogen haben, und nur das eine ist nötig, daß wir uns heute noch einmal zu einer einmütigen und enthusiastischen Kundgebung vereinigen gegen den Imperialismus, für die internationale Solidarität und für die Anerkennung der wichtigen und bedeutungsvollen Rolle der proletarischen Macht gegenüber den Mächten des imperialistischen Kapitalismus. In einer Zeit, die dermaßen angefüllt ist mit Zündstoff wie die heutige, ist es unmöglich, auf einem sozialistischen Kongreß über dieses Thema hinwegzugehen. Und ebenso unmöglich ist es, daß sich irgendwelche ernsthafte Meinungsverschiedenheit darüber geltend machen könnte, daß wir über alle Welt hinaus dem Proletariat zurufen: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr!“ (Großer Beifall.)

      Deutsch-französische Friedenskundgebung 14. Juli 1914

      Bei herrlichem Sonnenschein fand gestern in Condé sur l’Escaut (Nordfrankreich) eine Friedensversammlung statt, der mehr als 20.000 Arbeiter aus der ganzen Umgegend mit zahlreichen roten Fahnen und Musikkorps beiwohnten. Karl Liebknecht hatte seine Anwesenheit zugesagt, und das genügte, um dieses sonst so ruhige Plätzchen Condé sur l’Escaut, das kaum 4.000 Einwohner zählt, in einen Wallfahrtsort zu verwandeln, der – wie mir von verschiedenen Seiten versichert wurde – noch nie so viele Menschen zu sehen bekam. Außer Liebknecht waren auch der französische sozialdemokratische Abgeordnete Jean Longuet aus Paris – bekanntlich ein naher Verwandter zu Karl Marx –, ferner Maxence Roldes, Vertreter des Nationalrats der französischen Arbeiterpartei, und Vandersmissen, Generalsekretär der belgischen Arbeiterpartei, anwesend. Vormittags hatten sich die Vorstandsmitglieder der verschiedenen Arbeitersyndikate im kleinen Maison du Peuple (Volkshaus) zu einem Willkomm zusammengefunden, um dem Vertreter der deutschen Brüder für sein Erscheinen herzlichst zu danken. Liebknecht erwiderte mit einigen Worten und forderte zur immer mächtigeren Organisation auf, denn wenn auch die Kapitalisten für den Krieg, den sie allein wollen, verantwortlich sind – meinte Liebknecht –, dann dürften aber die Arbeiter nicht denken, es träfe sie keine Verantwortung, denn die Arbeiter haben die Pflicht, sich immer stärker zu organisieren und dann durch ihre Macht – denn sie sind die Macht, wenn sie es nur wollen – jede kriegerische Freveltat der heutigen militaristischen Parteien zu verhindern.

      Nachmittags fand dann, nach einem wohlgelungenen Umzug, die Versammlung unter freiem Himmel auf einer großen Wiese statt. Maxence Roldes machte den Arbeitern verständlich, wie nötig es sei, sich gegen den Militarismus und gegen die industrielle Feudalität – hüben und drüben – zusammenzuschließen. Er zeigte, welch schmutzige, infame Mittel die Waffenindustrie beider Länder benutzte, um auf dieser und jener Seite zu schüren. Er erinnerte daran, wie man von Berlin aus in dem so patriotischen Figaro Scharfmacherartikel erscheinen ließ und wie diese Artikel dann wieder von den deutschen Kriegsparteien, die mit schwerem Gold diese Artikel selbst inserieren ließen, in Deutschland zu Rüstungszwecken ausgebeutet wurden. Wenn Deutschland seinen Krupp hat, so habe Frankreich seinen Creusot, und die Skandale, die in Deutschland mit der Krupp-Affäre enthüllt wurden, hat Frankreich genauso mit dem Creusot, und Morizet hat in der Humanité nachgewiesen, daß sogar kein Geringerer als der General W... in den Creusot-Skandal verwickelt ist.

      Jean Longuet drückte seine Freude darüber aus, daß er heute auf französischem Boden Seite an Seite mit Karl Liebknecht sitze, um gegen den Krieg zu protestieren; mit Karl Liebknecht, dem Sohne des unvergeßlichen Wilhelm Liebknecht, der mit Bebel zusammen Begründer der großen deutschen sozialdemokratischen Partei ist. – Er erinnerte daran, wie Bebel und Liebknecht am 27. März 1872 durch das Reichsgericht zu Leipzig wegen Hochverrats zu 2 Jahren Festung verurteilt wurden wegen ihres mannhaften Betragens im Reichstage, wo sie zwei allein als Sozialisten und als Republikaner, als Mitglieder der Internationale erklärten, gegen jede Unterdrückung irgendeiner Nationalität zu protestieren, und durch brüderliche Bande alle Unterdrückten zu vereinigen suchten. Berauscht von Patriotismus, ließ der damalige Reichstag diese Helden festnehmen. Hüben und drüben der Vogesen dauern die Hetzereien einer gewissenlosen Chauvinistenbande fort. Aber warum sollen denn wir Arbeiter uns gegenseitig töten? Wir kennen uns ja nicht und haben uns nie was zuleide getan, und wir wünschen doch auf beiden Seiten nur Friede miteinander. Wenn unsere Chauvinisten und die Pangermanisten (Alldeutschen) es so nötig haben, sich zu prügeln, meint Longuet, ei, da stelle man ihnen doch schnell ein großes abgeschlossenes Feld zur Verfügung, und da sollen sie sich niedermetzeln, bis kein einziger mehr davon übrigbleibt. Dann können wir in Ruhe unsere Wege weiterwandeln und bald die Vereinigten Staaten Europas gründen, wo Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Gleichheit gelten.

      Vandersmissen sagte, er sei der Vertreter eines kleinen Landes und könne nicht wie die Deutschen und Franzosen über Millionen Soldaten, Hunderte von Kriegsschiffen oder große Kolonialtruppen reden, aber wenn schon Belgien kaum sieben Millionen Einwohner zähle, so sei es doch auch schon von der militaristischen Verrücktheit angesteckt und habe ein Kriegsbudget von 160 Millionen. Vandersmissen schilderte die horrenden Ausgaben für Kriegszwecke, Ausgaben, die sich jährlich auf zwölf Milliarden belaufen. Was für eine immense Summe!! Zwölf Milliarden!! Und wie könnte man damit Schulen, Spitäler, Krankenheime bauen! Ist es nicht entsetzlich, daß es Arbeiter gibt, die sich und ihre Frau und Kinder hungern lassen müssen wegen Arbeitslosigkeit; es gibt Tausende und Tausende Mütter, die keine Milch haben für ihre neugeborenen armen Geschöpfe, es gibt Greise, die ihr Leben lang schwer gearbeitet haben und betteln müssen, es gibt Millionen Menschen, Männer, Frauen, Kinder und Greise, die im Winter keine Kleider haben, keine Kohlen, um sich zu erwärmen, kein Licht, um die langen Winternächte zu verkürzen, und für Mordwaffen, für Kanonen, Gewehre, Säbel, Pulver gibt man jährlich zwölf Milliarden aus! Das muß aufhören. Die Arbeiterorganisationen aller Länder müssen verstärkt werden, um diesen namenlosen Treibereien endlich ein Ende zu bereiten.

      Nun kam Genosse Liebknecht, von unaufhörlichen Rufen empfangen: „Vive Liebknecht!“ „Vive Bebel!“ „Vive Karl Marx!“ „Vive l’Internationale!“ „à bas la guerre!“ „Vive l’Allemagne!“ Ja, aus Tausenden und Tausenden Kehlen erscholl auf französischem Boden der Ruf: „Vive l’Allemagne!“ als Liebknecht aufstand, um das Wort zu ergreifen. Dieses „Vive l’Allemagne!“ hatte in dem Munde der Tausenden französischen Arbeiter auf französischem Boden, hundert Meter von einer Infanteriekaserne entfernt, etwas recht Ergreifendes für sich. Als die Ovationen für Liebknecht immer nicht enden wollten, erhob sich der Vorsitzende der Versammlung und drückte seine Freude darüber aus, daß die französischen Arbeiter „Es lebe Deutschland!“ rufen, damit sei aber nicht das Deutschland der Hohenzollern, der Krupp, der deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, der Liebert oder der ganzen militaristischen Clique gemeint,