denn bald darauf trat Nathaniel Halloway, der Müller, ein und leistete dem Capitän bei seinem Punsch Gesellschaft, und nicht lange danach kamen auch Solgood, der Advokat, und Jordan, der Wundarzt, gewöhnlich Dr. Jordan genannt. Die vier Männer waren sich sehr befreundet und sie saßen rauchend, trinkend und von Politik sprechend bis Mitternacht beisammen, als Capitän George Duke von seinem Sitz aufstand.
»Zwölf Uhr vom Thurme der Kirche,« sagte er. »Gentlemen, ich habe eine hübsche junge Frau, die zu Hause auf mich wartet, und eine Viertelstunde zu gehen, bis ich nach Hause komme. Deshalb muß ich Euch jetzt gute Nacht sagen. Ihr werdet mit Eurem Punsch und Eurer Unterhaltung auch ohne mich fertig werden.«
Nathaniel Halloway sprang empor.
»Capitän Duke, Ihr werdet uns nicht so ohne weiteres verlassen,« rief er. »Ihr seid nicht auf dem Verdeck Eures Schiffs und Ihr dürft nicht in Allem Euren Willen haben. Was aber den schönen kleinen Admiral im Unterrocke zu Hause betrifft, so könnt Ihr leicht Euren Frieden mit ihm machen. Bleibt und trinkt Euren Punsch aus, Mann,« und der würdige Müller, auf den das Gelage des Abends nicht ganz ohne Wirkung geblieben war, ergriff in herzlicher Weise den Capitän beim goldverbrämten Aermel und versuchte ihn zurückzuhalten.
George Duke aber schüttelte ihn leicht ab und trat, die Thüre öffnend, hinaus auf den Vorplatz gefolgt von dem Müller und den beiden andern Mitgliedern der kleinen Gesellschaft. Das Haus, das fünf Minuten zuvor so ruhig gewesen, war jetzt ganz Geschäftigkeit und Verwirrung. Da war zuerst die würdige Mistreß Sarah Pecker, welche abwechselnd jammerte und klagte und dann wieder mit der äußersten Höhe ihrer Stimme Verwünschungen und Scheltworte ausstieß. Dann war Samuel, ihr Gatte, da, blaß, erschrocken, nutzlos und überall im Wege stehend. Dazu waren der Stallknecht, die Köchin, zwei rosenwangige Zimmermädchen und der Aufwärter da und in der Mitte der Halle lag der Gegenstand von all diesem Lärm und dieser Aufregung, durch die Arme zweier Männer, eines Briefträgers und eines Farmarbeiters unterstützt, auf dem Boden ausgestreckt. Ja da lag still, bewegungslos und bewußtlos derselbe Darrell Markham, der fünf Stunden vorher in voller Gesundheit und Kraft von hier nach dem kleinen Seehafen von Marley Water aufgebrochen war, und an seiner Seite kniete Mrs. Sarah, ihn beschwörend, die Augen zu öffnen und zu sprechen.
»Wir haben ihn auf dem Weg gefunden,« sagte einer der Männer. »ich und Jim Bulder; wir waren auf dem Heimweg vom Marley-Markt, und wir stießen auf ihn in der Finsterniß. Es war so dunkel, daß wir nicht sehen konnten, ob es ein Mensch oder ein todtes Schaf war; aber mir hoben ihn auf und fühlten, daß er steif und kalt war. An seiner Brust und seinem linken Arm war etwas Feuchtes und ich merkte beim Anfühlen das es Blut war; und ich und Jim faßten ihn beim Kopf und bei den Füssen und trugen ihn geraden Wegs hierher.«
»Wer ist es? Was ist es?« fragte Capitän Duke, sich vordrängend.
»Der nächste Verwandte und theuerste Freund Eurer Frau, Capitän, Mist Millicents Cousin, Darrell Markham! Ermordet! Ermordet auf dem Moore zwischen hier und Marley Water.«
»Meine Viertelstunde von hier,« ergänzte der Farmarbeiter, der den Verwundeten aufgehoben hatte.
»Darrell Markham, der Cousin meiner Frau, Darrell Markham! Weshalb ist er hierher gekommen? Was hat er in Compton gethan?« fragte der Capitän argwöhnisch. Seine dunkelbraunen Augen blickten auf das stille Gesicht nieder, das von Essig und Wasser triefte, womit Mrs. Pecker die Schläfe des Verwundeten badete.
»Weshalb er hergekommen ist? Er ist hergekommen, um ermordet zu werden! Er ist hergekommen, damit ihm sein kostbares Leben auf dem Compton-Moor geraubt würde, das arme, liebe Lamm!« schluchzte Mrs. Pecker.
Während all, dieser Verwirrung war Lunas Jordan, der Wundarzt, ruhig an die Seite des Verwundeten geschlüpft, hatte den Arm desselben ergriffen und mit der Scheere, welche am Gürtel von Mrs. Pecker hing, den Rock vom Aufschlage bis zur Schulter bedächtig ausgeschnitten.
»Eine Schüssel, Molly, und ein seidenes Tuch zum Verbinden,« sagte er ruhig.
Mehrere seidene Tücher wurden ihm von den Anwesenden überreicht, während das Mädchen eine Schüssel brachte und sie mit zitternder Hand unter Darrells Arm hielt.
»Halte sie ruhig, mein Mädchen,« sagte der Arzt, während er eine Lancette hervorzog und in den kalten, steifen Arm stieß. Das Blut floß langsam und stoßweise aus der geöffneten Ader.
»Ist er todt, ist er todt, Mr. Jordan?« rief Sarah Pecker.
»Ebensowenig als ich es bin, ebensowenig als ich es bin, Mrs. Pecker,« sagte der Arzt, welcher seine Untersuchung vornahm, während die Umstehenden erschrocken und erwartungsvoll zusahen. »Der Gentleman hat das Unglück gehabt, eine Pistolenkugel durch den rechten Arm zu erhalten. Sie hat den Knochen über dem Ellbogen zersplittert, aber wir werden wohl im Stande sein, den Arm wieder in Ordnung zu bringen. Er ist in Folge von Blutverlust und der kalten Nachtluft ohnmächtig geworden. Er hat, ich glaube, einen schlimmen Fall von seinem Pferde gethan und auf dem Hinterkopfe hat er eine Hautwunde, die von den scharfen Kieselsteinen auf dem Wege herrührt, weiter ist es aber nichts.«
Nichts weiter! Dies schien den erschrockenen Leuten, welche noch vor wenigen Minuten Mr. Markham für todt gehalten, eine so geringfügige Sache, daß Mrs. Pecker, die sonst nicht zur Weichherzigkeit geneigt war, die Hand des Wundarztes ergriff und sie mit Thränen und Küssen bedeckte.
»So, das ist also Darrell Markham,« sagte der Capitän gedankenvoll zu sich. »Darrell, der Unwiderstehliche, Darrell, der Schöne, Darrell der Muthige, Darrell, der seine Cousine, Millicent, jetzt meine Frau, heirathen sollte. Hm, ein hübscher, junger Mann mit braunen Locken und einer geraden Nase! Keine Gefahr für sein Leben, wie Sie sagen, Doktor ?« fragte er laut.
»Keine, wenn nicht Fieber dazu tritt, was der Himmel verhüten wolle!«
»Aber wenn es doch geschehen würde, wie dann?«
»Dann ist’s freilich schlimm. Bei solchen erregbaren Temperamenten —«
»Er hat also ein erregbares Temperament?«
»Ein sehr erregbares. Unfälle wie dieser haben ohnedies leicht Fieber zur Folge. Mrs. Pecker, er muß sehr ruhig gehalten werden. Es darf Niemand zu ihm gelassen werden, dessen Anwesenheit ihn aufregen könnte.«
»Ich werde an seiner Thüre selbst Wache halten und ich möchte die Person sehen, die es wagen würde, ihn auch nur durch einen Athemzug zu stören,« sagte die würdige Matrone, ihren dünnen Gatten scharf anblickend.
Der Wirth zum Schwarzen Bären hielt sofort den Athem an, als ob er glaubte, daß er künftig ohne diese natürliche Verrichtung existiren müßte.
»Wir müssen den Patienten sogleich hinauf bringen,« sagte der Arzt. »Wir müssen ihn in Euer ruhigstes Zimmer und in Euer bequemstes Bett bringen, und wir dürfen dazu keine Zeit verlieren.«
Auf die Weisung des Arztes hoben drei Männer den Verwundeten behutsam auf und sie waren gerade im Begriff, ihn die Treppe hinaufzutragen, als er seine linke Hand an die Stirne führte und langsam die Augen öffnete.
Die drei Männer hielten an und Mrs. Pecker rief laut:
»O, die Freude, er ist nicht todt! Master Darrell, sprecht zu uns und sagt uns, daß Ihr nicht todt seid.«
Die blauen Augen blickten trübe auf die erschrockenen Gesichter, die sich ringsum sammelten.
»Er hat mich geschossen. Er hat mich des Briefs an den König und meiner Börse beraubt. Er hat mich in den Arm geschossen!«
»Wer hat Euch geschossen, Master Darrell?« rief Mrs. Pecker.
Der junge Mann sah sie mit leere Blicke an, offenbar nicht wissend, wo er sich befand und wer Diejenigen, die ihn umgaben, waren. Darauf wandte er seine blutunterlaufenen Augen von ihrem Gesichte ab und seine Blicke wanderten unter den übrigen Zuschauern umher: vom Wirth zum Stubenmädchen, vom Stubenmädchen zum Briefträger, vom Briefträger zum Arzt, vom Arzt zu Capitän George Duke von Sr. Majestät Schiff, der Vultur.
Die blauen Augen öffneten sich mit einem wilden Ausdruck so weit sie konnten.
»Das,