Charles Dickens

Dombey und Sohn


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Ihr werdet dann einfach wegbleiben. Das Kind hört dann von selbst auf, sich Eurer zu erinnern, und Ihr werdet so gut sein, Euch das Kind aus dem Sinn zu schlagen.«

      Mit etwas mehr Rot auf ihren Wangen, als zuvor, erwiderte Mrs. Toodle, sie hoffe ihre Stellung zu kennen.

      »Ich hoffe das auch, Richards«, sagte Mr. Dombey. »Ich zweifle nicht daran, daß Ihr sie sehr gut kennt. Überhaupt liegt die Sache so einfach, daß es gar nicht anders sein kann. Louisa, meine Liebe, bringe mit Richards die Geldfrage in Ordnung; der Lohn soll ihr bezahlt werden, wann und wie sie will, Mr. –, wie ist Euer Name – ein Wort mit Euch, wenn ich bitten darf!«

      Als Toodle so angeredet, angehalten wurde, als er bereits auf der Schwelle stand, um seinem Weibe, das das Zimmer verließ, zu folgen, kehrte er wieder um und stand nun Mr. Dombey allein gegenüber. Er war ein kräftiger, rundschultriger, robuster, rauhborstiger Bursche, an dem die Kleider nur nachlässig saßen und dessen dichter Haar- und Bartwuchs vielleicht durch Rauch und Kohlenstaub noch dunkler gefärbt worden war. Er hatte harte, knorrige Hände und eine breite Stirne, deren grobe Haut sich mit der Rinde der Eiche vergleichen ließ – in jeder Beziehung ein schreiender Gegensatz zu Mr. Dombey, der unter die glattrasierten, geschniegelten Geldmänner gehörte, unter die Leute, die so frisch und glänzend sind, wie neue Banknoten, und die künstlich gestählt und gefestet zu sein scheinen – gleichsam durch die stimulierende Aktion goldener Schauerbäder.

      »Ihr habt einen Sohn, glaube ich?« fragte Mr. Dombey.

      »Ihrer vier, Sir. Vier Er und eine Sie. Alle am Leben!«

      »Es fällt Euch gewiß schwer, alle zu ernähren?« sagte Mr. Dombey.

      »Es wird mir oft sehr schwer; aber es gibt doch noch etwas in der Welt, was mir noch schwerer fiele, Sir.«

      »Und das wäre?«

      »Sie zu verlieren, Sir.«

      »Könnt Ihr lesen?« fragte Mr. Dombey.

      »Nicht besonders, Sir.«

      »Schreiben?«

      »Mit Kreide, Sir?«

      »Überhaupt.«

      »Mit der Kreide könnte ich, glaub' ich, ein bißchen zurecht kommen, wenn es sein müßte«, sagte Toodle nach kurzer Überlegung.

      »Und doch müßt Ihr schon zwei- oder dreiunddreißig sein, sollte ich meinen«, sagte Mr. Dombey.

      »Ich bin sogar noch älter«, antwortete Toodle nach weiterem Nachdenken.

      »Warum lernt Ihr es nicht?« fragte Mr. Dombey.

      »Das habe ich im Sinn, Sir. Einer von meinen kleinen Jungen soll es mich lehren, wenn er alt genug ist und selbst in der Schule etwas gelernt hat.«

      »Gut!« sagte Mr. Dombey, indem er den Mann, der dastand und sich im Zimmer umsah (wobei er hauptsächlich der Decke seine Aufmerksamkeit schenkte und noch immer mit der Hand vor dem Munde hin und her fuhr), ziemlich ungnädig ins Auge faßte. »Ihr habt gehört, was ich eben Eurer Frau gesagt habe.«

      »Polly hat es gehört«, versetzte Toodle, indem er mit der Miene der vollkommensten Zuversicht zu seiner bessern Hälfte den Hut über die Schultern nach der Richtung der Tür hinstieß. »Es ist alles recht so!«

      »Es scheint, Ihr wollt das Ganze ihr überlassen«, erwiderte Mr. Dombey, als er bemerkte, wie sehr er sich verrechnet hatte, wenn er seine Meinung dem Gatten als dem kräftigeren Charakter noch nachdrücklicher ans Herz legen wollte. »Da nützt es wohl nichts, wenn ich mich weiter mit Euch einlasse.«

      »Ist durchaus nicht nötig«, sagte Toodle. »Polly hat es gehört. Sie merkt sich alles gut, Sir.«

      »So will ich Euch nicht länger aufhalten«, entgegnete Mr. Dombey verdrießlich. »Wo habt Ihr Euer Leben über gearbeitet?«

      »Meist unter der Erde, Sir, bis ich heiratete. Dann kam ich auf den Boden. Ich will mich nach einer Stellung bei einer der hiesigen Eisenbahnen umsehen, sobald sie ihren Betrieb vergrößern.«

      Wie ein Strohhalm schließlich genügt, um ein beladenes Kamel zusammenbrechen zu lassen, so ließ die Erwähnung seiner unterirdischen Beschäftigung Mr. Dombey völlig verstummen. Er öffnete dem Nährvater seines Kindes einfach die Tür, und dieser entfernte sich keineswegs ungern. Dann drehte Mr. Dombey den Schlüssel um und schritt in einsamem Jammer durch seine Zimmer auf und ab. Trotz seiner steifen, undurchdringlichen Würde und Fassung wischte er sich doch zuweilen eine Träne aus den Augen, und oft entquollen ihm in einer Erregung, für die er um die ganze Welt keinen Zeugen gehabt haben möchte, die Worte:

      »Das arme Würmlein!«

      Es war vielleicht eine charakteristische Eigenschaft von Mr. Dombeys Stolz, daß er sich selbst in dem Kinde beklagte. Nicht das arme Ich, nicht den armen Witwer, der sich gezwungenermaßen dem Weib eines unwissenden Knechts anvertrauen mußte – eines Kerls, der sein Lebenlang »meist unter Grund« gearbeitet, dessen Tür der Tod noch immer mit seinem Pochen verschont hatte und an dessen armem Tische täglich vier Söhne saßen – nein, nur das arme Würmchen!

      Während diese Worte noch auf seinen Lippen schwebten, fiel ihm ein, – und es ist ein Beweis von der starken Anziehung, die seine Hoffnungen, seine Besorgnisse und alle seine Gedanken um einen Punkt kreisen ließ – daß diese Frau in große Versuchung geraten könnte. Ihr Säugling war gleichfalls ein Knabe. War es nicht möglich, daß sie die Kinder einfach auswechselte?

      Obgleich er nach kurzer Zeit diese Vorstellung als romantisch und unwahrscheinlich – freilich blieb sie immerhin möglich – verwarf, konnte er doch nicht umhin, sich ein Bild seiner Lage zu machen, in der er sich befinden würde, wenn er in seinem Alter einen derartigen Betrug entdeckte. Ob ein Mann wie er imstande sein würde, die Frucht eines so vieljährigen Umgangs, Vertrauens und Glaubens einem Betrüger zu entreißen, um einen Fremden damit zu beglücken?

      Als die ungewöhnliche Aufregung sich gelegt hatte, schwanden allmählich auch derartige Bedenken. Er beschloß jedoch die Richards ganz unauffällig auf das sorgfältigste zu beobachten. Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, legte sich seine Erregung allmählich. Er sah in der Stellung, die die Frau einnehmen sollte, jetzt eher einen vorteilhaften Umstand, der den Abstand zwischen ihr und dem Kind erweitern mußte. Dadurch würde sich auch ihre Trennung leicht und natürlich bewerkstelligen lassen.

      Mittlerweile hatte Mrs. Chick unter dem Beistande der Miß Tox die Bedingungen mit Richards festgelegt, und nachdem der letzteren mit vieler Förmlichkeit, als handle es sich um die Erteilung eines Ordens, der Dombey-Säugling übertragen worden war, gab sie ihren eigenen unter vielen Tränen und Küssen an Jemima ab. Dann wurden Gläser mit Wein gefüllt, um die Trauer von der Familie zu verscheuchen.

      »Ihr nehmt doch auch ein Glas, Sir?« sagte Miß Tox, als Toodle eintrat.

      »Danke, Ma'am«, versetzte Toodle: »wenn Ihr es durchaus haben wollt.«

      »Und es freut Euch, daß Ihr Euer liebes gutes Weib in einem so anständigen Hause zurücklassen könnt – oder nicht, Sir?« sagte Miß Tox, indem sie ihm verstohlen einen blinzelnden Wink zusandte.

      »Nein, Ma'am«, versetzte Toodle. »Ich möchte sie wohl wieder zurück haben.«

      »Hierauf weinte Polly mehr als je, und Mrs. Chick, die ihre matronenhaften Bedenken hatte, ein solches Übermaß von Leid könnte dem kleinen Dombey schaden (»angreifend«, flüsterte sie Miß Tox zu), beeilte sich, Polly auf andere Gedanken zu bringen.

      »Euer kleines Kind wird bei Eurer Schwester Jemima trefflich gedeihen, Richards«, sagte Mrs. Chick, »und Ihr braucht Euch nur Mühe zu geben – Ihr wißt, Richards, dies ist eine Welt voll Mühe –, um in der Tat sehr glücklich zu sein. Es ist Euch doch schon bereits Maß für die Trauerkleidung genommen worden, nicht wahr?«

      »J–a, Ma'am«, schluchzte Polly.

      »Und ich weiß, sie wird Euch trefflich passen«, sagte Mrs. Chick, »denn die junge Schneiderin hat mir schon viele Kleider gemacht. Dazu noch der allerbeste Stoff.«

      »Du