Theodor Fontane

Meine Kinderjahre


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erzählte nun in seinem Plattdeutsch, daß es das Rad sei, womit der Mörder Hannacher – aber das sei nun schon lange, das Jahr vorher, ehe die Franzosen ins Land kamen – vom Leben zum Tode gebracht worden sei. Hannacher habe dicht bei dem Dorfe Morgnitz einen Schäfer erschlagen und bloß einen Münzgroschen bei ihm gefunden, und als er den Münzgroschen im Morgnitzer Krug vertrunken habe, da sei's auch schon herausgekommen.

      »Ein wahres Glück«, sagte mein Vater, »je eher so was rauskommt, desto besser. Aber das Rad! Was soll das da? Wie kommt das dahin?!«

      »Dat hett de oll Geißler an sich bracht, ick weet nich mehr för wieveel. Un he wull ja woll, dat et em Glück in't Huus bringen sall.«

      Mein Vater, der dabei seiner eigenen, am Tage vorher zugunsten des Scharfrichterkarrens gehaltenen Rede gedenken mochte, war von dem, was Ehm jetzt sagte, wenig angenehm berührt und meinte, zuviel Glück sei auch nicht gut. »Aber nun wollen wir uns den Schimmel ansehn, Ehm, um auf andre Gedanken zu kommen ... Is denn hier öfter so was los, wie das mit dem Hannacher?«

      »Nu so ab un an. Toletzt hedden wi joa dat mit Muhrn un sine Fru.«

      Ehm wollte sichtlich in diesem Thema fortfahren, aber mein Vater hörte nicht mehr recht hin und vergaß bald sowohl Hannacher wie »Muhrn un sine Fru«, als er, unten im Stall angekommen, der vorzüglichen Einrichtung, die da herrschte, gewahr wurde. »Ei, Ehm, da sind ja zwei Krippen und zwei Raufen. Also Platz für zwei Pferde. Was er sich nur dabei gedacht haben mag. Ich meine den alten Geißler, der ja doch ein Geizkragen gewesen sein soll. Na, mir kanns gleich sein. Is ja wahrhaftig, als ob er alles für seinen Nachfolger eingerichtet hätte. Und das ist das Wahre. Für die Nachkommen muß man sorgen.«

      Das Riesendach mit seinen fünf Böden hatte seines Eindrucks auf mich nicht verfehlt, das Haus selbst aber, das geduckt unter diesem Dache lag und von dem ich in Nachstehende meine Schilderung versuche, ließ, wie äußerlich, so auch in seinem Innern viel zu wünschen übrig. An den mit Ziegelsteinen gepflasterten Flur lehnte sich, gerade die Mitte desselben treffend, von links her eine mächtige Küche, von rechts her ein gewölbtes Laboratorium, als Grundform des ganzen Hauses ein Kreuz herstellend, in dessen vier Ecken sich vier Quadrate mit sehr primitiven Geschäfts- und Wohnräumen einschoben. In dem ersten Quadrate befand sich außer der Apotheke noch die Gehilfenstube, während das zweite Quadrat nur ein einziges Zimmer umschloß, einen mehrfenstrigen Saal, den Stolz des Hauses. Apotheke wie Saalzimmer sahen auf die Straße. Die die Rückfront bildenden Quadrate drei und vier hatten dagegen den Blick auf den Garten und bestanden einerseits aus einem Wohnzimmer für meinen Vater, andererseits aus einer Stube für uns Kinder. Wo es irgend ging, waren verbleibende kleine Raumreste zu Schlafkammern hergerichtet; nur der Saal blieb von so niederer Umgebung verschont. Im übrigen war alles klein und eng. Von gefälliger Ausschmückung an Wand oder Decke zeigte sich nirgends eine Spur, Öfen und Dielen waren schlecht, ganz besonders unschön aber war die schüttgelbe Farbe, womit, wie der Flur, so auch alle Zimmer des Hauses gleichmäßig gestrichen waren. Nur die Gehilfenstube – vielleicht in Huldigung gegen die daneben liegende Apotheke – zeigte statt des Schüttgelb einen Anstrich von Schweinfurter Grün, bekanntlich arsenikhaltig. Um aber die gesundheitswidrige Wirkung dieser Farbe nach Möglichkeit auszugleichen, war in eine der obersten Fensterscheiben eine blecherne Rose eingesetzt, die unter beständigem Sichdrehen für frische Luft zu sorgen hatte, dabei aber einen unerträglichen Lärm machte. Ja, häßlich, eng und vernachlässigt war alles, am vernachlässigtsten aber war die Kinderstube, drin, grad in der Mitte, ein großes Stück Diele fehlte, so daß der Dünensand, darauf das Haus ohne Untermaurung stand, zum Vorschein kam. Später söhnte ich mich mit diesem Dielenloch freilich aus, denn gerade diese Sandstelle wurde, wenn wir bei schlechtem Wetter nicht hinaus konnten, zum bevorzugten Spielplatz für uns Kinder, wo wir mit vier würfelförmigen Steinen unser Lieblingsspiel spielten. Dies Lieblingsspiel hieß »Knut«, war also vielleicht dänischen Ursprungs und lief darauf hinaus, daß man, den vierten Stein hoch in die Luft werfend, ihn im Niederfallen unter gleichzeitigem Aufraffen der im Sande liegengebliebenen drei andern Steine wieder auffangen mußte.

      Neben dieser bequemen Spielgelegenheit beherbergte die Stube, um vom Guten nichts zu verschweigen, auch noch ein andres, das für ein phantastisches Kind wohl angetan war, mit der sonst herrschenden Dürftigkeit auszusöhnen. Gerade hier nämlich war, auf einem Lehnstuhl sitzend, der alte Geißler gestorben, und wenn ich mich abends an ebendieser Stelle zwischen Schrank und Ofen niederließ und dann das Klappen und geheimnisvolle Rumoren über mir anhob, so war der Zauber davon so groß, daß von Prosa der Umgebung keine Rede mehr sein konnte.

      Das alles aber empfand ich erst später. Vorläufig kehre ich zu Schilderung der verschiedenen Räumlichkeiten zurück. Unter diesen nahmen Laboratorium und Küche den ersten Rang ein. Beide konnten als Glanzstücke gelten, und wenn die Küche mit ihrem bis dicht auf den Herd herabhängenden und mit blankem Ruß ausgefüllten Rauchfang etwas von einer spanischen Posada hatte, so präsentierte sich, von der andren Seite her, das Laboratorium mit seinen Retorten und Destillierapparaten (zwischen denen ein getrockneter Buttfisch von der gewölbten Decke hing) als ein vollkommen alchimistischer Raum, darin Faust sein »Habe nun, ach« ohne weitres hätte beginnen können. Ja, in seiner grotesken Unmodernität war hier, im vollsten Gegensatz zu den prosaischen Wohnräumen, alles frappierend interessant, und ich könnte noch jetzt Veranlassung nehmen, davon zu schwärmen, wenn ich nicht gleich damals, beim ersten Eintritt in die ganze phantastische Herrlichkeit, eine Kopfschmerz erzeugende, mich arg bedrückende Luft wahrgenommen hätte. Nicht zu verwundern. Mitten in dem Laboratorium stand eine Plumpe, der es nicht bloß oblag, den ganzen Hausstand mit Wasser zu versorgen, sondern auch sämtliche, von Dekokten und allerhand Aufgüssen herrührende Blätter- und Wurzelreste wegzuschwemmen. All dieser Abgang wurde vermittelst einer schräglaufenden Steinrinne in eine Senkgrube geführt, die sich schon draußen auf der Straße befand, deren Ausdünstungen aber nichtsdestoweniger in das Laboratorium zurückschlugen. Allzu schlimm kann es nun freilich damit nicht gewesen sein, denn während meines fünfjährigen Swinemünder Aufenthalts kam in unsrem Hause kein Typhusfall vor, nur für mich persönlich wurde diese Sumpfluft geradezu schrecklich, und alsbald, und dann ein ganzes Jahr lang, vom kalten Fieber geschüttelt, legte ich hier die Grundlage zu meinem immer zum Malariafieber hinneigenden Gesundheitszustande. Sehr wahrscheinlich wäre mir dies alles erspart geblieben, wenn sich mein Vater zu zwanzig oder fünfzig Gran Chinin hätte aufraffen können. Aber Chinin war damals noch teuer, und so mußte ich mich mit einer aus Chinarindenpulver und eingedicktem Mohrrübensaft zusammengerührten Latwerge begnügen. Die wollte nicht recht helfen, abgesehen davon, daß es eine Qual war, sie herunterwürgen zu müssen. Ich denke noch mit eigentümlichen Gefühlen daran zurück, aber es herrschte damals ganz allgemein das Erziehungsprinzip vor: »Ach, solch Junge frißt sich durch«, und mein Vater, der, wenn es ihm gerade paßte, dergleichen Ersparnisse wissenschaftlich zu begründen liebte, mochte wohl noch hinzusetzen: »Eigentlich ist Chinarinde das Wahre, weil das natürlich Gegebene; Chinin ist schon Luxus, und Luxus ist nicht für Kinder.« In ähnlichem Sinne hab ich ihn, bei andern Gelegenheiten, manch liebes Mal sprechen hören. Aber gleichviel, ob er damals so dachte oder nicht, das an mir ersparte Chinin war eine große Härte, so groß, daß ich – weil ich einem unkindlichen Gefühle hier nicht gern Ausdruck geben möchte – davon schweigen würde, wenn ich nicht zu meiner herzlichen Freude hinzuzusetzen hätte, daß mein Vater all das, was er an zu Forderndem damals unterließ, später reichlich wieder ins gleiche brachte. Viele Jahre danach, als es ihm selber schlecht ging und sein Vermögen bis auf ein Minimum zusammengeschrumpft war, hat er mir in hochherziger und rührender Weise geholfen. Es handelte sich für mich um einen längeren und ziemlich kostspieligen Aufenthalt in England. Er half mir dazu, ohne langes Besinnen und ohne sentimentale Redensarten, unter Dransetzung letzter Mittel. Und so fügte sichs denn, daß er, der in guten Tagen in diesem und jenem wohl man ches versäumt hatte, schließlich doch der Begründer des bescheidenen Glückes wurde, das dieses Leben für mich hatte.

      Das Haus, zumal die eigentlichen Wohnräume, waren, das mindeste zu sagen, anfechtbar, entzückend aber waren Hof und Garten.

      Zunächst der Hof. Dieser glich mehr oder weniger einer Ackerwirtschaft, worüber mein Vater, dessen Neigungen samt und sonders nach der landwirtschaftlichen Seite hin lagen, außerordentlich befriedigt war. Aber auch wir Kinder waren es, ich an der Spitze.