Ханс Фаллада

Wir hatten mal ein Kind


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nach den Menschen und Gott: Hilfe! Hilfe!! Aber unablässig nagen die kleinen scharfen Nagezähne an ihm. Sie fressen ihn auf, Stück für Stück.

      Und schließlich, irgend einmal, wird er dann ja wohl still.

      Das Haus, in dem sich dies zugetragen haben soll, ist ein gewöhnliches Bauernhaus, roter Backsteinbau, zwei Fenster rechts, zwei Fenster links, in der Mitte die grüne Tür, zu der breite Sandsteinstufen emporführen. Die von dem Öffnen der grünen Haustür in Gang gesetzte Klingel bimmelt endlos. Der Flur, in den man tritt, ist fast dunkel, nur durch eine über der Haustür angebrachte Scheibe fällt mageres trübes Licht, so daß man zur Not einen ungeheuren dunklen Schrank erkennen kann.

      Gradezu die immer dunkle, verräucherte Küche mit dem Steinherd und offenem ungeheurem Rauchfang, vor dem Fenster feste Eisengitterstäbe, ganz wie in einem Gefängnis. Die gleichen Stäbe sind auch vorm Fenster der Kammer nebenan angebracht, wo Knechte und Mägde essen, und vor der Mägdeschlafstube im Giebel. Die Bauern haben nie so recht ihren Diensten getraut, besser, sie waren unter Verschluß. Wer keinen Boden zu eigen hat, den hält und bindet nichts. Ein Eisengitter hält fester, bindet sicherer als der kleine Katechismus.

      Noch drei Stuben unten: ein kleines Schlafzimmer, ein Zimmer, in dem gegessen und gesessen wird, und die gute Stube rechts, mit Gewehrschrank, Schreibtisch und Rehgehörn. Meistens ist sie verschlossen.

      Das Dachgeschoß unter dem schwarzen Schieferdach ist nicht ausgebaut, an Regentagen trocknet hier Wäsche, Gerümpel liegt herum und versinkt Jahr für Jahr unter einer tieferen Staubschicht. Es hat freilich auch mal einen Gäntschow gegeben, der nichts verkommen lassen wollte, der ein Geizkragen war, ein seltener Fall unter diesen Inselleuten, die so rasch lernen, daß sich nichts halten läßt. Ob es ein Sohn oder ein Enkel von jenem so grausam durch Ratten aus dem Leben gekommenen Gäntschow war, weiß man nicht mehr – genug, der Korn-Gäntschow, wie er genannt wurde, konnte sich von nichts trennen, vor allem nicht von seinem Getreide.

      Nicht allein, daß er nie auch nur einen Zentner verkaufte, er ließ sein eigen Vieh lieber halb verhungern, ehe er ihm genug Futterkorn gönnte. Er neidete sich, seinen Kindern, seiner Frau, seinen Leuten das Mehl zum Brote, denn er hätte ja schon wieder einen Zentner Roggen zur Mühle fahren müssen.

      Unterdessen aber häufte sich auf Stall- und Futterböden das Getreide. Auf den Weizen vom vorigen Jahre wurde die neue Ernte geschüttet, die Haufen stiegen bis zum Dachfirst, rannen die Treppe hinunter, füllten Futterkammer und Banse. Unter dem neuen verkam, verdarb, verschimmelte das alte Korn, fing an zu faulen, stank bis hinunter zur Suhler Landstraße. Was er sich eigentlich dachte, wußte niemand, denn er sprach mit niemandem darüber, und wurde er angesprochen darauf, so sagte er wohl, das Frühjahr sei dies Jahr besonders spät, oder: Was is nich Wachs, und Bienenschiet ist Honig.

      Als weder in Scheune noch im Stall, in keiner Kammer, auf keinem Boden mehr Platz zu finden war, schüttete er das Korn auf den Hausboden. Und als auch der voll war, ließ er die Fenster zur guten Stube mit Brettern vernageln, durchschlug die Decke und ließ es hinabrinnen ins Zimmer, bis auch das voll war. Dann kam das Eßzimmer daran, dann die Leutestube. Unaufhaltsam drang das Korn vor, es vertrieb die Menschen von Raum und Raum, es verjagte die Leute mit seinem Gestank, mit seinem unübersehbaren Gefolge von Käfern, Ratten und Mäusen.

      Als er schließlich starb, hatte er nur noch allein mit seinem Weibe in einer kleinen Geschirrkammer gehaust. Dort war er auf prall gefüllten Weizensäcken gestorben, vielleicht glücklich.

      Viele Wochen dauerte es, bis der Sohn die Getreideernte von rund vierzig Jahren auf die Felder als Dünger gefahren hatte, denn zu etwas anderm taugte sie nicht mehr. Man sagt, daß der sogenannte Pastorenacker am Gäntschow'schen Hof darum der beste Acker von ganz Fiddichow sei, weil er die vierzig Jahre Frucht des ganzen Hofes empfangen habe. Aber es muß für den Sohn ein seltsames Geschäft gewesen sein, als aus dem Moder und Schimmel der Äcker, aus dem Schrumpel- und Brandkorn die aus der Kinderzeit nur noch halb erinnerten alten Möbel wieder auftauchten, zugeschüttet gewesen, und nun wieder auftauchten. Ein alter Schrank, in dem noch die Staatskleider der Mutter hingen, oder ein Bett mit all seinen Decken, Kissen und Laken, dessen Schläfer schon unter der kühlen Erde schlief, seit plötzlich aus der angebohrten Decke vom Boden her die Springwoge der gelben, rötlichen und grauen Körner wie eine Flut hinabbrauste.

      Wie alt das jetzt stehende Haus ist, weiß niemand, der Hausbrief stammt nach dem Grundbuch vom 30. März 1847. Einmal hat Malte Gäntschow, nicht der Großvater des Johannes, sondern sein Vater, der auch Malte hieß, den Besuch eines hohen Herren von der Landwirtschaftskammer gehabt, der in dasiger Gegend irgendwelche Kunstdüngerversuche anfangen wollte. Und beim Mittagsessen aus gepökelten Schweinsrippchen, gefüllt mit Mandeln, Rosinen und Backpflaumen, recht fett gebraten, einem rechten Bauernessen – der Herr hat mit sehr hohem Zahn daran gekaut –, hat der hohe Beamte denn auch mit dem Bauern Konversation machen wollen. Er hat gefragt, wie alt denn das Haus wohl sei? Vierhundertsiebenundsechzig Jahre hat Gäntschow gesagt, wie aus der Pistole geschossen. Der Landwirtschaftskammerherr hat etwas hilflos ausgesehen und hat gemeint, so alt hätte er das Haus nie taxiert, so alt sähe es noch gar nicht aus.

      Der Bauer hat keine Miene verzogen, sondern ernst gesagt, das mache hier das Klima.

      Was?! Daß die Häuser neu aussähen?!

      Ja, eben das mache das Klima.

      Aber –! Es sei doch allgemein bekannt, daß hier auf der Insel das Klima ziemlich rauh sei, mit schrecklichen Stürmen?

      Eben! Und die Seeluft mache es auch.

      Aber die Seeluft mit ihrem hohen Feuchtigkeitsgehalt sei doch bekannt dafür, daß sie besonders rasch Verwitterungserscheinungen hervorrufe? Der Herr war ganz verzweifelt über so viel Unwissenheit.

      Fragte der Bauer dagegen, ob der Herr denn nicht wisse, daß die Seebäder Fabiansruh und Dreege hier auf Fiddichow immer mehr in Aufnahme kämen?

      Ja, das wisse er. Aber er verstehe den Zusammenhang nicht –? Und die Städter wüßten doch Bescheid, sagte der Bauer Gäntschow streng. Wenn die gesund und frisch und wieder heil vom Seeklima würden, wie viel mehr da noch die Häuser, die nicht nur sechs Wochen, sondern immer in diesem gesund machenden Seeklima stünden. Nein, vierhundertsiebenundsechzig sei das Alter, und nicht weniger, wenn man es dem Hause auch nicht ansähe.

       Der Bauer aß ernst und streng an seinen Schweinerippchen weiter, der Gast aus der Stadt mußte auch weiteressen und sah den Wirt nur manchmal verstohlen, zweifelnd und verzweifelnd von der Seite her an. Hinterher meinte der Herr in der Vorstandsversammlung vom Fiddichower landwirtschaftlichen Verein, der Bauer Gäntschow bleibe doch wohl besser aus dem Dünge-Versuchsring heraus, er habe ein bißchen sehr rückständige Auffassungen, wie, was? Und der Bauer war denn ja auch mit diesem Resultat ganz zufrieden.

      Wie alt das Haus nun aber auch sein mag, ob vierhundertsechzig oder ob sechzig Jahre, jedenfalls stammt es noch mit seinen drei Stuben für eine ganze Bauernfamilie aus einer sehr anspruchslosen Zeit, und da die Gäntschows zwar vielerlei Sparren, aber nie den Bausparren gehabt haben, so ist an diesen drei Stuben auch nie etwas geändert worden. Und sie haben eigentlich Lebenszuschnitt und Lebenshaltung der Gäntschows bestimmt, viel stärker als die Zeiten, mochten die auch einmal für den Bauern sehr gut sein.

      Nein, das Haus ist kaum je ein Heim, sondern mehr eine Höhle für die Gäntschows gewesen, in die man sich nur bei schlimmstem Wetter verkroch. Es soll zwar ein Gäntschow gewesen sein, der, bei solch schlimmen Wetter an den Ofen gelehnt, mit einem tiefen Aufatmen das Wort gesprochen haben soll: Ist gut, daß die Häuser so hohl sind, daß Menschen drin wohnen können – aber wenn die Häuser nicht so hohl gewesen wären, die Gäntschows hätten sich auch mit der nächsten Erdhöhle oder noch besser mit dem nächsten Krug beholfen. Die Männer heißt das. Was mit den Frauen geworden wäre, bleibt fraglich, aber nie für den Bauern: über ihre Frauen und wie sie im Leben zurecht kamen und was aus ihnen wurde, haben sich die Gäntschows kaum besondere Gedanken gemacht. Sie sind immer ein Männergeschlecht gewesen, für männliche Arbeit, männlichen Streit. Die Frauen führten daneben ein Schattendasein mit Essenkochen, Kinderkriegen, Hühnerbesorgen. Nicht einmal der Kuhstall wurde ihnen hier zugestanden.