Regan Holdridge

Wind über der Prärie


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glauben Sie, habe ich wohl die Verstärkung bekommen? Damit sie sich in den Quartieren einen Urlaub gönnt, oder was?“

      „Nein, Sir...“, brachte der junge Sergeant mit einer gehörigen Portion Mut hervor.

      „Ist Ihnen entgangen, dass ich bereits vor ein paar Wochen versucht habe, eine friedliche Lösung mit den Rothäuten zu finden? Wie Sie aber jetzt feststellen müssen, offensichtlich ohne Resultat?“

      „Nein, Sir!“

      „Sehr spitzfindig!“, schnauzte der Captain ihn an und gab ihm mit der Hand einen Wink. „Wissen Sie was, Sergeant? Sie werden nicht mit uns reiten! Sie werden die ehrenvolle Aufgabe übernehmen und in der Siedlung für Recht und Ordnung sorgen und sich um den Treck vor der Stadt kümmern! Die sollen schon anfangen mit ihren Häusern! Ist doch egal, wie weit sie damit kommen! Solange noch keine geschlossene Schneedecke liegt, können Sie was tun! In dieser Wagenburg ist es viel zu gefährlich mit den Streifzügen unserer roten Freunde. Dort werden Sie dann auch bleiben, bis ich mit den Männern wieder zurück bin, vielleicht sogar, bis die Häuser fertig sind! Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?“

      „Jawohl, Sir!“, stieß der junge Mann hervor und zügelte sein Pferd, um es wieder mit den restlichen Soldaten in Zweierreihen laufen zu lassen.

      Langsam wanderte Julie die Straße hinab. Sie hatte es im Haus ihrer Eltern nicht länger ausgehalten. Dieses Schweigen während der ganzen Mahlzeiten, die zwanghafte Ruhe und die andauernden, verstohlenen Blicke aller auf den leeren Stuhl – sie hatte es einfach nicht länger ertragen können. Hugh war mit rotgeweinten Augen aus seinem Schlafzimmer gekommen, das er jetzt alleine bewohnte und hatte sich still an den Tisch gesetzt.

      Irgendwann war sie einfach gegangen – ohne ein Wort und ohne sich zu verabschieden. Vielleicht hatten sie auch alle geglaubt, sie wolle noch einmal hinüber zu den Gräbern sehen, die inzwischen zugeschüttet waren. Eine merkwürdige Ruhe lag über der Stadt, als hätten die Beerdigungen sie in eine Art Starre versetzt.

      Julie trat unter den Vorbau der Arztpraxis – die Tür war unverschlossen. Im Inneren war es kalt, denn der Bullerofen war längst ausgegangen. Ihr schauderte und sie beschloss, Feuer zu machen, als wäre er noch immer hier, als würde sie ihm noch immer bei seiner Arbeit assistieren. Bald schon verbreitete der Ofen eine angenehme Wärme. Julie zündete die Lampe auf dem Schreibtisch an und setzte sich. Dort, in der obersten Schublade, hatte Hardy penibel genau, wie es seine Art gewesen war, eine Patientenkartei angelegt. Auf jeder Seite des Heftes stand ein anderer Name in der obersten Zeile.

      Behutsam nahm Julie das Heft heraus und schlug es auf. Sie las die auf Deutsch verfassten Befunde und Behandlungen und mit jedem Buchstaben wurde ihr schwerer ums Herz. Hätte sie doch nur geahnt was geschehen würde, dann hätte sie ihn schamlos angelogen, ihm vorgemacht, dass er ihr mehr bedeutet hätte als nur ein guter Freund! Dann würde sie jetzt nicht das schlechte Gewissen plagen und die Gewissheit, dass sie ihm noch kurz vor seinem Tod so weh getan hatte – sie hatte ihm einen Traum gestohlen.

      Erschöpft legte Julie ihren Kopf in die Hände. Sie wollte weinen, doch sie konnte nicht. Ihre Tränen waren versiegt, sie fühlte sich zu leer und ausgelaugt. Julie wusste nicht, wie lange sie dort, auf Hardys Stuhl hinter seinem Schreibtisch gesessen hatte. Das laute, plötzliche Aufschlagen der Eingangstür riss sie hoch – zwei Soldaten standen in der Tür. Der eine war ihr bekannt – er war von Captain Harbach mit drei anderen in der Siedlung untergebracht worden und auch vergangene Nacht hier gewesen, um ihnen zur Seite zu stehen. Jetzt trug er seinen Arm in einer Schlinge.

      Der andere jedoch... Julie starrte ihn fassungslos an. Das konnte doch nicht möglich sein! Ihr Herz begann wie verrückt zu rasen und sie fürchtete, gleich ohnmächtig zu werden. Jetzt, da er so nah bei ihr stand, anstatt einige Meter entfernt, wie am Tag ihrer Ankunft in Fort Gibson, konnte sie erst erkennen, wie ungewöhnlich groß und schlank er war. Unter dem breiten, dunklen Hut schaute sein hellblondes Haar hervor und seine blauen Augen betrachteten sie abschätzend. Sein auffallend attraktives Gesicht zeigte ein feines Lächeln, das ihr Herz tief in seinem Innersten berührte. Sie konnte nicht anders, sie erwiderte das Lächeln.

      „Guten Tag, Miss!“, sagte er nun und seine Stimme klang warm und herzlich, wie es zu seiner ganzen Erscheinung passte. „Können Sie Amos vielleicht den Arm verbinden?“

      „Wir...wir haben keinen Doktor mehr“, erklärte Julie leise und trat langsam hinter dem Schreibtisch hervor. Sie musste sich zwingen, ihren Blick von dem großen, schlanken Mann abzuwenden.

      „Ich weiß“, entgegnete dieser mitfühlend und nahm seinen Hut ab. „Es tut mir sehr leid. Gestatten Sie trotzdem, dass ich mich vorstelle? Sergeant Ron McVeagh.“

      „Freut mich, Sergeant.“ Langsam trat Julie zu ihm und deutete auf den Behandlungstisch. Sie warf einen kurzen Blick auf das blasse Gesicht des anderen Soldaten. „Bitte setzen Sie sich. Was ist denn passiert?“

      „Ach, ist nicht weiter schlimm“, meinte dieser, wurde jedoch von seinem Sergeant durch den Raum geschoben. „Ist letzte Nacht passiert, als ich versucht habe, das arme Mädchen noch aus dem Haus zu retten.“

      Julie fiel nicht sofort eine passende Antwort ein. Schließlich fragte sie: „Wieso sind Sie denn überhaupt noch hier? Ihr Arzt im Fort könnte Ihnen viel besser helfen als ich!“

      Die beiden Männer wechselten einen schnellen Blick. „Der Doktor ist zur Zeit nicht dort“, entgegnete Ron McVeagh, seinen Hut in den Händen drehend. Er beobachtete, wie Julie behutsam den Verband und die Schlinge vom rechten Arm des Soldaten löste. Er fand, dass er nichts Unrechtes tat, wenn er ihr die Wahrheit erzählte. „Er ist mit Captain Harbach und der Verstärkung zu den Cherokees geritten.“

      Julie zog die Brauen hoch und starrte ihn eine Sekunde eindringlich an. „Zu den Cherokees? Wegen vergangener Nacht?“

      Der Sergeant zögerte einen Augenblick. Er fuhr sich durch das blonde Haar und nickte dann. „Ja, genau deshalb.“

      „Aha“, machte Julie gedehnt und überlegte. „Was hat er dort vor? Einen Krieg beginnen?“

      „Möglich“, antwortete Ron McVeagh ausweichend und hob die Schultern. Das warme, freundliche Lächeln spielte wieder um seine Lippen. „Ich habe offengestanden keine genaue Ahnung von den Plänen, vielleicht Vergeltung, vielleicht Friedensverhandlungen. Wer weiß?“

      „Vergeltung?“, wiederholte Julie und stockte kurz, als sie den Verband nun endgültig gelöst hatte und die schweren Verbrennungen auf dem Arm des jungen Soldaten erblickte. „In unserem Namen?“

      „Ich denke.“

      „Woher will er wissen, dass wir überhaupt Vergeltung üben wollen?“

      Ron McVeagh verstand nicht ganz, worauf sie hinauswollte. „Er hat mit Sheriff O’Connor gesprochen.“

      „Ach ja? Dann wundert mich nichts mehr.“

      „Was meinen Sie?“

      „Unser Sheriff ist der vehementeste Indianerhasser, den ich kenne.“ Julies bernsteinfarbene Augen fixierten den Sergeant lange. Er mochte Mitte zwanzig sein, vielleicht ein bisschen darüber, aber nicht älter.

      „Sie scheinen diese Meinung nicht zu teilen.“ Er schien nicht recht zu wissen, was er von ihr halten sollte. Einerseits machte sie einen so naiven und zerbrechlichen Eindruck auf ihn und andererseits hatte sie offensichtlich keine Hemmungen, offen ihre Ansichten kundzutun.

      „Was ich meine, spielt keine Rolle.“ Julie trat an den Medizinschrank, um die Brandsalbe zu holen. „Ich bin nur ein Mädchen, ich habe keine öffentliche Meinung zu vertreten. Das schickt sich nicht und es hört sowieso niemand darauf.“

      Der Sergeant biss sich kurz auf die Lippen. Ein verwunderter Ausdruck trat auf sein gutaussehendes Gesicht. „Manchmal ist es besser, man wird dazu gezwungen, den Mund zu halten.“

      „Sprechen Sie gerade aus eigener Erfahrung?“ Ihre Augen blickten eindringlich, doch sie grinste. „Weshalb sind Sie nicht mit den anderen Soldaten geritten?“

      Er