diese Worte nur noch eine historische Bedeutung.«
»Die menschliche Natur muss sich sehr verändert haben«, sagte ich.
»Ganz und gar nicht«, war Dr. Leetes Antwort, »aber die Lebensbedingungen haben sich verändert und mit ihnen die Beweggründe des menschlichen Handelns. Die Gesellschaft gibt der Niedertracht keine Prämien mehr. Aber das werden Sie erst verstehen, wenn Sie uns besser werden kennen gelernt haben.«
»Aber Sie haben mir noch nicht gesagt, wie Sie das Arbeiterproblem gelöst haben. Wir haben von dem Kapitalprobleme gesprochen«, sagte ich. »Nachdem die Nation übernommen hatte, die Fabriken, Maschinen, Eisenbahnen, Landgüter, Bergwerke und überhaupt das Kapital des Landes zu leiten, so blieb doch immer noch die Arbeiterfrage übrig. Mit der Übernahme der Verantwortung für das Kapital hat die Nation die schwierige Stellung eines Kapitalisten auf sich genommen.«
»In dem Augenblick, da die Nation die Verantwortung für das Kapital übernahm, verschwanden diese Schwierigkeiten«, erwiderte Dr. Leete. »Die nationale Organisation der Arbeit unter einheitlicher Leitung umfasste die vollständige Lösung dessen, was in Ihren Tagen unter Ihrem System mit Recht als das unlösbare Arbeiterproblem angesehen wurde. Als die Nation einziger Arbeitgeber wurde, wurden die Bürger, als solche, die Arbeiter und wurden je nach den Bedürfnissen der Industrie verwendet.«
»Das heißt«, fiel ich ein, »Sie haben lediglich das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht unserer Zeit auf die Arbeiterfrage angewandt.«
»Ja«, sagte Dr. Leete, »das war die natürliche Folge davon, dass die Nation alleiniger Kapitalist geworden war. Das Volk war schon daran gewöhnt, dass jeder gesunde Bürger die Pflicht hatte, seine Dienste der Verteidigung der Nation zu widmen. Ebenso klar war es, dass jeder Bürger seinen Teil an industriellen wie an geistigen Dienstleistungen zur Unterhaltung der Nation beitragen sollte; jedoch erst als die Nation der Arbeitgeber geworden war, konnte die Gesamtheit der Bürger diese Dienste mit Rücksicht auf Billigkeit leisten. Solange der Arbeit gebende Faktor in hundert oder tausend Individuen und Korporationen geteilt war, unter denen irgendein Einverständnis weder gewünscht, noch auch möglich war, solange konnte nicht von Organisation der Arbeit die Rede sein. Damals ereignete es sich beständig, dass große Mengen von Arbeitern, die arbeiten wollten, keine Arbeit finden konnten, und auf der anderen Seite konnten diejenigen, die wollten, einen Teil oder alle Verbindlichkeit zur Arbeit umgehen.«
»Arbeit«, erwiderte ich, »ist jetzt wohl obligatorisch?«
»Sagen Sie lieber, sie ist selbstverständlich«, entgegnete Dr. Leete. »Sie wird für so natürlich und vernunftgemäß angesehen, dass wir gar nicht mehr daran denken, sie obligatorisch zu nennen. Wer zur Arbeit gezwungen werden müsste, würde für unglaublich verächtlich gelten. Dennoch würde die absolute Unvermeidlichkeit nur ungenügend ausgedrückt sein, wenn man sie obligatorisch nennen wollte. Unsere ganze soziale Ordnung beruht so vollständig auf derselben, dass, wenn es überhaupt denkbar wäre, dass sich eine Person ihr entzöge, der letzteren gar keine Mittel für ihren Unterhalt bleiben würden. Sie würde sich selbst von der Welt ausgeschlossen, sich von der Gesellschaft abgeschnitten, kurz, sie würde Selbstmord begangen haben.«
»Ist die Dienstzeit in dieser Industriearmee fürs ganze Leben?«
»Keineswegs; sie beginnt später und endet früher als die durchschnittliche Arbeitsperiode in Ihren Tagen. Ihre Werkstätten waren voll von Kindern und alten Leuten, aber wir betrachten die Jugendzeit der Erziehung geweiht und widmen die Zeit, wenn die physischen Kräfte zu ermüden anfangen, der Gemächlichkeit und angenehmen Ruhe. Die Zeit für den Industriedienst ist vierundzwanzig Jahre, die mit Vollendung der Erziehung im einundzwanzigsten Jahre beginnt und mit dem fünfundvierzigsten Jahre endet. Nach diesem Jahre bleibt der Bürger zwar befreit von regelmäßiger Arbeit, kann aber vorkommenden Falls bei einem plötzlichen Anwachsen der Nachfrage nach Arbeit einberufen werden, bis er das Alter von fünfundfünfzig Jahren erreicht hat; aber solche Einberufungen kommen selten, ja fast gar nicht vor. Der 15. Oktober jeden Jahres ist unser Aushebungstag. Diejenigen, welche da das 21. Jahr erreicht haben, werden zum Industriedienst eingezogen, und diejenigen, welche nach 24jährigem Dienste das Alter von 45 Jahren erreicht haben, scheiden ehrenvoll aus dem Dienst. Dies ist das große Ereignis in unserem Jahre, der Tag, nach dem wir alle anderen Ereignisse berechnen, unsere Olympiade, nur dass sie sich jährlich wiederholt.«
Siebentes Kapitel
»Nachdem Sie Ihre industrielle Armee ausgehoben haben«, sagte ich, »beginnt, nach meiner Meinung, die Hauptschwierigkeit, denn hier hört die Analogie mit der militärischen Armee auf. Die Soldaten haben alle dasselbe, und zwar etwas sehr Einfaches zu tun, nämlich die Handgriffe mit ihrer Waffe zu üben, zu marschieren, Wache zu stehen. Aber Ihre Armee muss ein paar hundert verschiedene Handwerke und Berufe lernen und ausüben. Welches Verwaltungs-Talent ist der Aufgabe gewachsen, für jedes einzelne Individuum in einer großen Nation das passende Handwerk und Geschäft auszuwählen?«
»Die Verwaltung hat hiermit nichts zu tun.«
»Wer sonst trifft aber die Wahl?« fragte ich.
»Jedermann für sich selbst je nach seiner natürlichen Anlage, und man gibt sich die größte Mühe, diese Anlage zu entdecken. Das Prinzip für unsere industrielle Armee ist, dass die geistigen und körperlichen Anlagen eines Menschen darüber entscheiden, was er mit größtem Vorteil für die Nation und mit der meisten Befriedigung seiner selbst arbeiten kann. Da die Verpflichtung zum Dienst in irgend einer Form nicht zu umgehen ist, so verlässt man sich wegen der Entscheidung über die besondere Art des Dienstes für jeden einzelnen Mann auf dessen freiwillige Wahl, welche allerdings einer notwendigen Regulierung unterworfen ist. Die Befriedigung des Arbeiters während seiner Dienstzeit hängt davon ab, dass seine Beschäftigung nach seinem Geschmack ist; deshalb beobachten Eltern und Lehrer von früher Kindheit an die Anzeigen besonderer Fähigkeiten ihrer Kinder. Anleitung zu industriellen Handgriffen findet keinen Raum in unserem Erziehungssystem, dieses ist auf allgemeine und humanistische Bildung gerichtet, aber ein theoretischer Unterricht über die verschiedenen Industrien wird erteilt und unsere Jugend wird beständig angehalten, die Werkstätten zu besuchen, und wird oft auf lange Ausflüge mitgenommen, um mit besonderen Industrien vertraut zu werden. Gewöhnlich hat ein junger Mann lange ehe er eingezogen wird, und wenn er Geschmack an einem besonderen Berufe gefunden hat, sehr viel Information über denselben sich angeeignet. Hat er dagegen keine besondere Vorliebe und trifft, bei sich bietender Gelegenheit, keine Wahl, so wird er einem Beruf zugewiesen, der keine besondere Geschicklichkeit erfordert und vielleicht Mangel an Arbeitskraft hat.«
»Es ist doch aber gewiss nicht möglich«, sagte ich, »dass die Zahl derer, die sich freiwillig für ein Gewerbe melden, sich grade mit der Zahl von Arbeitern deckt, die man bedarf. Sie wird gewöhnlich über oder unter dem Bedürfnis sein.«
»Die Zahl der Freiwilligen muss stets dem Bedürfnis entsprechen«, erwiderte Dr. Leete. »Hierfür hat die Verwaltung zu sorgen. Das Verhältnis derer, die sich zu einem Gewerbe melden, wird genau überwacht. Wenn ein auffallender Überschuss von Anmeldungen für ein gewisses Geschäft wahrzunehmen ist, so beweist dies, dass dasselbe besonders beliebt ist. Das Gegenteil ist Beweis für die Beschwerlichkeit desselben. Die Aufgabe der Verwaltung ist es nun, die Vorzüge des einen Gewerbes, was die Arbeit betrifft, mit denen eines anderen auszugleichen, damit alle Gewerbe für die betreffenden Personen gleiche Anziehung haben. Dies geschieht dadurch, dass die Arbeitszeit je nach der Beschwerlichkeit der Arbeit abgekürzt wird. So haben die leichteren Gewerbe die längste, die schwierigeren, wie z.B. die Bergwerkarbeiten, die kürzeste Arbeitszeit. Es gibt keine Theorie, keine Regel a priori, nach welcher die Anziehungskraft der einzelnen Geschäfte bemessen wird. Indem die Verwaltung eine Klasse von Arbeitern von Lasten befreit und sie anderen Klassen auferlegt, folgt sie lediglich der Ansicht der Arbeiter selbst, welche sich in der Anmeldung ausspricht. Als Grundsatz gilt, dass die Arbeit des einen nicht schwerer sein soll, als die des anderen und dass die Arbeiter selbst darüber entscheiden sollen. Für Anwendung dieser Regel gibt es keine Grenze. Wenn eine Beschäftigung so beschwerlich und anstrengend sein sollte, dass, um Freiwillige zu bekommen, die Tagesarbeit auf zehn Minuten herabgesetzt werden müsste, so würde es geschehen. Wenn selbst dann