Edward Bellamy

Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf 1887


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erinnere mich, dass ich dann Edith auf die Seite genommen und versucht habe, sie zu bewegen, dass wir lieber sofort heiraten wollten, ohne auf die Vollendung des Hauses zu warten, und uns auf Reisen begeben, bis das Haus fertig wäre. Sie war an jenem Abend auffallend schön, die Trauerkleidung, die sie zu Ehren des Tages trug, hob die Reinheit ihrer Gesichtsfarbe aufs glänzendste. Ich sehe jetzt noch im Geiste, wie schön sie damals aussah. Als ich gehen wollte, folgte sie mir in den Vorsaal und ich küsste sie zum Abschied wie gewöhnlich. Dieser Abschied unterschied sich in nichts von anderen Gelegenheiten, wenn wir uns für eine Nacht oder einen Tag trennten. Weder ich noch sie ahnte, dass dies mehr als eine gewöhnliche Trennung war.

      Für einen Bräutigam war es vielleicht etwas früh, dass ich meine Braut verließ, das darf aber keinen Zweifel an meiner Liebe zu ihr aufkommen lassen. Ich litt nämlich, obgleich sonst vollständig gesund, in hohem Grade an Schlaflosigkeit und war an jenem Tage vollständig abgespannt, da ich die zwei letzten Nächte fast gar nicht geschlafen hatte. Edith wusste das und hatte darauf bestanden, dass ich um neun nach Hause gehen und mich sofort zu Bett legen sollte.

      Das Haus, das ich bewohnte, war durch drei Generationen in den Händen der Familie gewesen, deren einziger noch lebender Nachkomme in gerader Linie ich war. Es war ein großes altes Holzgebäude, das Innere von altmodischer Eleganz, aber in einer Lage, die wegen des Anbaues von Mietskasernen und Fabriken unbeliebt geworden war. Ich konnte nicht daran denken, in dieses Haus eine junge Frau einzuführen, noch dazu eine so verwöhnte wie Edith Bartlett. Ich hatte es zum Verkauf ausgeschrieben und benutzte es inzwischen nur zum Schlafen, da ich in meinem Club speiste. Ein Diener, ein treuer Neger namens Sawyer, wohnte bei mir und verrichtete meine Dienste. Eine Annehmlichkeit des Hauses fürchtete ich sehr zu entbehren, wenn ich es verlassen würde, nämlich das Schlafzimmer, das ich unter dem Fundament hatte bauen lassen. In der Stadt mit ihrem unaufhörlichen nächtlichen Lärm hätte ich gar nicht schlafen können, wenn ich ein oberes Zimmer hätte benutzen sollen. Aber zu diesem unterirdischen Gemache drang nicht das geringste Geräusch der Oberwelt. Wenn ich eingetreten war und die Tür geschlossen hatte, umgab mich Grabesstille. Um zu verhüten, dass die Feuchtigkeit des Untergrundes in das Zimmer drang, waren die Wände mit hydraulischem Zement bekleidet und sehr dick und der Boden war ebenso verwahrt. Damit das Zimmer auch als ein gegen Feuer und Diebe sicheres Gewölbe zur Aufbewahrung von Wertgegenständen dienen könnte, hatte ich es mit hermetisch gefügten Steinplatten decken lassen und die äußere Tür war von Eisen, dick mit Asbest überzogen. Eine kleine Röhre in Verbindung mit einem Flügelrad auf dem Dach des Hauses vermittelte die Ventilation.

      Man sollte denken, dass der Bewohner eines solchen Zimmers hätte sicherlich schlafen müssen, aber ich schlief trotz alledem selten zwei Nächte nacheinander. Ich war aber so daran gewöhnt, dass mir der Verlust einer Nachtruhe nur wenig anhatte. Eine zweite Nacht jedoch, die ich in meinem Stuhle lesend, anstatt schlafend im Bette zubrachte, ermüdete mich aufs äußerste, und meine Nerven erlaubten mir nicht, den Schlaf noch länger zu entbehren, und nötigten mich, zu künstlichen Mitteln zu greifen, um mir denselben zu verschaffen. Sooft ich nach zwei schlaflosen Nächten fühlte, dass er auch in der dritten nicht kommen wollte, ließ ich Dr. Pillsbury rufen.

      Er wurde nur aus Artigkeit Doktor genannt und war, was man damals einen Pfuscher und Quacksalber nannte. Er nannte sich Professor des animalischen Magnetismus. Ich hatte aus Liebhaberei Forschungen über den tierischen Magnetismus angestellt und ihn bei dieser Gelegenheit kennen gelernt. Ich glaube, er verstand nichts von Medizin, aber er war unzweifelhaft ein vorzüglicher Magnetiseur. Wenn ich sah, dass mir eine dritte schlaflose Nacht bevorstand, schickte ich nach ihm, damit er mich magnetisiere. Meine nervöse Erregung oder geistige Abgespanntheit mochten noch so stark sein, dem Dr. Pillsbury gelang es immer, mich in kurzer Zeit in tiefen Schlaf zu bringen, der so lange anhielt, bis ich durch eine Umkehrung des magnetischen Prozesses wieder erweckt wurde. Der Prozess zum Aufwecken des Schläfers war viel einfacher als der zum Einschläfern, und so ließ ich Sawyer von Dr. Pillsbury belehren, wie das zu tun sei.

      Mein treuer Diener allein wusste, dass und zu welchem Ende mich Dr. Pillsbury besuchte. Wenn Edith meine Frau wurde, musste ich sie natürlich in meine Geheimnisse einweihen. Ich hatte ihr bisher nichts davon gesagt, weil unzweifelhaft der mesmerische Schlaf nicht ganz gefahrlos ist und ich wusste, dass sie sich dieser Gewohnheit widersetzen würde. Die Gefahr lag darin, dass ich zu fest einschlafen und in einen Zustand geraten möchte, der durch Mesmerismus nicht mehr gehoben werden und mit dem Tode endigen konnte. Wiederholte Versuche hatten mich völlig überzeugt, dass so gut wie keine Gefahr vorlag, wenn vernünftige Vorsichtsmaßregeln angewendet wurden, und ich hatte die leise Hoffnung, Edith hiervon überzeugen zu können. Nachdem ich sie verlassen, ging ich direkt nach Hause und schickte sofort Sawyer aus, um Dr. Pillsbury zu holen. Indessen begab ich mich in mein unterirdisches Schlafgemach, vertauschte meinen Straßenanzug mit einem bequemen Schlafrock und setzte mich an meinen Schreibtisch, um die mit der Abendpost eingegangenen Briefe zu lesen, die Sawyer dahin gelegt hatte.

      Einer war von dem Baumeister meines neuen Hauses und bestätigte, was ich aus der Zeitungsnotiz vermutet hatte. Die neuen Streiks, sagte er, hätten die Erfüllung des Bauvertrags auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben, indem weder die Werkmeister noch die Arbeiter ohne einen langen Kampf die Streitpunkte zugestehen würden. Caligula hatte gewünscht, dass das römische Volk nur einen Kopf hätte, damit er ihn auf einmal abschlagen könnte, und als ich diesen Brief las, hegte ich einen Augenblick denselben frommen Wunsch bezüglich der arbeitenden Klassen von Amerika. Die Rückkehr Sawyers mit dem Doktor unterbrach mich in meinen düsteren Gedanken.

      Ich erfuhr, dass es ihm nur mit Mühe gelungen war, den Doktor zum Kommen zu bewegen, da er im Begriffe stand, noch in dieser Nacht die Stadt zu verlassen. Der Doktor erklärte mir dies dahin, dass er, seitdem er mich zuletzt gesehen, von einer glänzenden beruflichen Stellung gehört, die sich in einer fernen Stadt für ihn eröffne, und er sich entschlossen habe, davon sofort Gebrauch zu machen. Ich war erschrocken und fragte ihn, wie ich nun jemand bekommen solle, der mich einschläfern könnte; da nannte er mir mehrere Mesmeristen in Boston, die, wie er versicherte, dieselbe Kraft wie er besäßen. Ich war hierdurch etwas beruhigt und befahl Sawyer, mich am nächsten Morgen um neun Uhr zu wecken, legte mich dann in meinem Schlafrock zu Bett, nahm eine bequeme Lage ein und überließ mich den Manipulationen des Doktors In Folge meiner ungewöhnlichen Aufregung vielleicht verlor ich das Bewusstsein nicht so schnell als gewöhnlich aber endlich kam eine angenehme Schläfrigkeit über mich.

      Drittes Kapitel

      »Er öffnet die Augen. Es wäre besser, wenn er zuerst nur einen von uns sähe.«

      »Versprich mir aber, dass Du es ihm nicht sagen willst.«

      Die ersten Worte sprach ein Mann, die zweiten eine Frau und beide flüsterten nur.

      »Ich will sehen, wie es mit ihm steht«, erwiderte der Mann.

      »Nein, nein, versprich mir's«, wiederholte die andere.

      »Tu' ihr den Willen«, flüsterte eine dritte Stimme, auch wieder die einer Frau.

      »Ja, ja, ich verspreche es«, antwortete der Mann. »Schnell, geht! Er kommt zu sich.«

      Kleider rauschten und ich schlug die Augen auf. Ein etwa sechzigjähriger Mann von angenehmem Äußeren beugte sich über mich, mit dem Ausdruck von Wohlwollen und zugleich großer Spannung in seinen Zügen. Er war mir vollständig fremd. Ich stützte mich auf den Ellenbogen und sah mich um. Das Zimmer war leer. Soviel war gewiss, ich war noch niemals in demselben oder in einem ähnlich möblierten gewesen. Ich sah den Mann wieder an. Er lächelte.

      »Wie fühlen Sie sich?« fragte er.

      »Wo bin ich?« fragte ich dagegen.

      »Sie sind in meinem Hause«, war die Antwort.

      »Wie bin ich hierher gekommen?«

      »Darüber wollen wir reden, wenn Sie sich gekräftigt haben. Inzwischen, bitte ich, seien Sie ganz ruhig, Sie sind bei Freunden und in guten Händen. Wie fühlen Sie sich?«

      »Ein bisschen sonderbar«, sagte ich, »aber ich denke, ich bin wohl. Wollen Sie die Güte