Friedrich Motte De La Fouqué

Der Zauberring


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»Ach Gottmensch, du hast ja auch deine Mutter so sehr lieb gehabt! Schirme mir meine Gewaffen, derweil ich nachsehe, ob das dort das Bildnis der meinigen ist!« – Und damit schritt er getrost nach der ersehnten Stelle hinab.

      Wohl war es sein süßes Mütterlein, die in einem dichten Forste abgebildet war, die Arme beide gegen die Wolken ausgestreckt, und weil er vorhin nur den einen davon hatte sehen können, war es ihm vorgekommen, als winke sie ihm damit. Jetzt sahe er wohl, daß sie nach nichts winke, als nach Gott, denn ihre lichtbraunen Augen waren hoch empor nach einem güldnen Dreieck gerichtet, das oben im tiefblauen Gewölke sichtbar ward. Was dem Bilde an Frische und wahrhaftem Leben mangelte, trug des jungen Ritters feuchtes Auge leicht hinein. Ihm ward vollkommen, als sehe er nun wieder den hellen Frühlingshimmel vor sich, nach welchem die Mutter damals hinaufgewinkt habe, und den tiefschattigen saftgrünen Forst, welcher so heimlich umherstand. Selbst daß die Farben auf dem Angesichte der Mutter beinahe gänzlich ausgebleicht waren, rührte ihn unaussprechlich. Er drückte einen ehrfurchtsvollen Kuß darauf, und sagte: »Hab’ schönen Dank, du lieber, treuer Maler, daß du sie mir als Leiche gemalt hast, denn als Leiche wollten ja Vater und die andern nicht, daß ich die Vielholde sähe. Nun ist es dennoch nach meinen Wünschen ergangen.« – Er schwieg nachdenklich, und überlegte, ob dies wohl die Grabstätte seiner Mutter sei. Er hätte es gar zu gern geglaubt, und hier ein stilles Gebet bei den teuern Gebeinen gehalten, aber er konnte sich durchaus nicht entsinnen, daß ein Sarg mit her in die Burg gekommen, oder hier ein feierliches Begräbnis gehalten worden sei.

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      Indem streifte ein Luftzug durch die Halle. Die Türe klirrte im Schloß, ein altes Banner über des Ritters Haupte begann zu rauschen, und er fuhr überrascht aus dem tiefen Sinnen empor, schnell umblickend nach seinen Waffen. Da war es plötzlich, als strecke zwischen diesen und ihm eine riesige Gestalt den langen schwarzen Arm aus, und greife nach seinem anvertrauten Schatze. Ringfertig sprang er auf die finstre Erscheinung los, und wie er sie faßte, rasselte der Helm, den sie trug, auf den Boden und andre Waffenstücke mit, und hinter dem Staubdampfe, der aufstieg aus dem rostigen Gezeug, grinste ihn vom Rumpfe seines Feindes ein entfleischter Totenschädel höhnisch an. In tollem Entsetzen hieb er mit dem Schwerte danach, und Totenschädel und Rüstung und alles fiel klappernd zu seinen Füßen. Da sah er erst, daß ihn nicht ein Kobold äffe, oder ein gottloser Bewohner des Grabes, sondern daß eine der Gestalten an den Mauern ihm feindlich regsam vorgekommen war, und er sie zu Boden gehauen hatte. Es gab nun ein seltsames Geschäft, die alten Waffen wieder in ihre Stellung emporzurichten, vor allem den Totenkopf, der im Helme gesteckt hatte, auf die Schultern der Rüstung zu setzen, und die rostige Eisenhaube darüber zu stülpen. Es kam ihm auch bei der Arbeit vor, als habe er dem Schädel eine tiefe Schramme gehauen, und dieser greine ihn nun deswegen in Schmerzen an. Diese Vorstellung verwirrte ihn ganz, und als schon alles fertig war, riß er noch einmal den Helm ab, um sich besser zu überzeugen. Zwar sah er nun wohl unterschiedliche tiefe Wunden auf dem bleichen Kopfe, und wußte sehr wohl, daß er nur einmal gehauen, aber eine davon, dachte er doch immer, käme von ihm her, und eilte sich, das grause Haupt wieder zu bedecken. Dann trat er an seine Waffen, neigte sich, Vergebung flehend, vor dem Kreuzesbilde, und sagte: »Herr, ich habe gesündigt, daß ich von meiner Stelle ging. Du bist allmächtig, und aller Dinge bester Hort, aber mir war die Wache anvertraut und nicht dir.« – Da kam es ihm vor, als blicke ihn der Herr freundlich an, und er faßte wieder einen frischen Mut. So oft es auch grausend in ihm aufsteigen wollte, daß er seinen ersten Ritterkampf mit einem furchtbar wehrlosen Toten gehalten habe, war es doch immer, als sagte ihm seine Mutter tröstende Reime ins Ohr, die er in einem Liede, das der alte Meister Walther gedichtet, wohl oft vernommen hatte. Sie hießen also:

      »Man geht aus Nacht in Sonne,

      Man geht aus Graus in Wonne,

      Aus Tod in Leben ein.«

      So schritt er denn keck und freudig vor den Waffen auf und nieder, und wenn es ihm wieder vorkam, als winke das holde Bild, nickte er nur freundlich mit dem Kopfe dahin, und grüßte adlig mit dem blanken Schwerte, sprechend: »Kann jetzt nicht fort, lieb Mütterlein; bin auf der Ehrenwacht.«

      Darüber sah endlich das helle Morgenrot frisch und duftig an den hohen Fenstern herauf, der Schlüssel drehte im Schloß, und Herr Hugh trat in die Kapelle.

      Sechstes Kapitel

      Der alte und der junge Ritter grüßten einander mit großem Ernste und wehmütiger Innigkeit; dann schritt Herr Hugh gegen den Altar herauf, nahm die Waffen von den Stufen, und fing an, seinen Sohn darin zu kleiden. Dieser konnte es kaum dulden, daß er von so verehrten Händen Dienste empfangen solle, aber er kannte die Gesetze der Ritterschaft, und hielt also still, während ihm der Greis Küris und Halsberge und Schienen anlegte, und ihm den Helm auf das Haupt setzte, ja endlich zu seinen Füßen kniete, und ihm die goldnen Sporen anschnallte. Vater und Sohn waren dabei gleich verwundernd, daß nun das große Schwert, zu welchem der Alte die Scheide mitgebracht hatte, ganz folgsam in diese hineinging, da es doch vorher immer kaum bis über die Hälfte hineingewollt hatte. – »Es ist fast«, sagte Herr Hugh, »als hätte der wunderliche Gesell zu Nacht eine Scharte minder gekriegt, oder eine mehr«. – Otto mußte mit einigem Schaudern des Hiebes gedenken, welchen er auf den Totenkopf geführt hatte, und da sie eben im Hinausgehn an der Rüstung vorüberschritten, welche diesen verbarg, fiel ein scheu unwilliger Blick aus seinen Augen darauf hin. – Herr Hugh stand, und sagte: »Hat dich der verstört? Es sollte mich nicht wundern, denn im Leben war so was oftmalen seine Art.« Otto erwiderte nichts. Er staunte aber im helleren Licht noch mehr über die ungewohnten Formen des Harnisches, vorzüglich jedoch über zwei ungeheuer große Geierflügel, die goldgetrieben vom Helme emporragten, und die er in der Nacht für zwei gewaltige Hörner gehalten hatte. In dieser Gestaltung waren sie fast noch gräßlicher anzusehen, und der junge Ritter mußte an einige wunderlich schauervolle Märchen denken, die ihm sein Vater ehedem von einem entsetzlichen Manne mit solchen Geierflügeln auf dem Helme vorerzählt hatte.

      Aber wie schnell war Totenschädel und Geierfittiche und alles sonst in der Welt vergessen! Denn nahebei sah der Mutter himmlisch liebes und sehnend bleiches Antlitz aus dem Wandgemälde vor. »Ach trauter Vater«, sagte Otto, »ist wohl hier die Begräbnisstätte der holden Seligen, die mich geboren hat?« – Herr Hugh schüttelte schweigend und ernst sein weißes Haupt. – »Bitt’ Euch dann«, sprach Otto weiter, »führt mich an die Stelle, wo der teure Leichnam ruht, auf daß ich noch einmal dort bete, eh’ ich hinausziehe in die Welt. Ich hab’ es all’ diese Jahre her in kindischer Unwissenheit versäumt.« – »Es ist nicht an der Zeit zu Grabgedanken!« rief Herr Hugh, und zog den jungen Rittersmann rasch, fast unwillig, sich nach aus der Kapelle, und sie traten auf den Schloßwall vor, in die frische, rotglühende Morgenluft hinein, und vor ihnen lag Donau und Anger und Forst und fernes Gebirg, alles von gaukelnden Lichtern und hellen Tautropfen überspielt und überkränzt. – »Ihr müßt mir nicht so weichlich sein, junger Ritter von Trautwangen«, sagte Herr Hugh, seines Sohnes Hand derb schüttelnd. »Mit dem Weinen und Sehnen hat es Zeit, bis Ihr so alt werdet, als Euer Vater, und auch dann muß man sich’s nicht eben merken lassen. Wartet hier, und badet Aug’ und Herz in der kühlen Frische. Wann alles zu Eurer Reise fertig ist, ruf’ ich Euch ab.« – So schritt der alte Degenheld vom Wall nach der Burg zu hinunter, und der junge blieb oben, recht freudig durcheinander gerüttelt von den Worten und dem Benehmen des Vaters, und immer lustigeres Hoffen nach der Ferne entzündend an der reichen Gegend, welche von Lerchentrillern und Hirtenliedern durchjubelt vor seinen Blicken lag.

      Wie er nun rüstig auf und nieder schritt, sich freuend an dem Klirren seiner Silberwaffen, das so hell in die allgemeine Fröhlichkeit hineinklang, stieß sein kecker Fußtritt im hohen Grase an etwas, das auch zu tönen begann, aber recht klagend wehmütig, wie über unverschuldete Verletzung. Sich niederbeugend, sah er Berthas Laute, und die Herrin mußte wohl in sehr tiefen Gedanken von hinnen gegangen sein, weil sie die so geliebte Gespielin hier im feuchten Moose und kältenden Tau hatte liegen lassen. Da beugte er sich nach der armen Zither hinab, faßte sie in die Arme, und zog, während er sich auf das Gras niederließ, seine ehrnen Handschuhe aus, um die Verlassene mit zärtlichem Kosen zu trösten. Sie tönte auch