Edgar Wallace

Töchter der Nacht


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Jim. »Im Gegenteil, es sind Freunde von mir. Während des Krieges habe ich bei der Marine gedient und alle möglichen Posten bekleidet, ich habe sowohl Heizer gespielt als auch Offizier des Nachrichtendienstes. Stornoway war damals Kommandant von B 75, einem Torpedobootszerstörer für besondere Zwecke, und ich war Nachrichtenoffizier an Bord. Wir fuhren Patrouille an der Küste bis zur äußersten Nordspitze von Schottland. Smythe war damals unser Chefingenieur, und so lernten wir uns sehr gut kennen. Und als wir dann aufgefischt wurden –«

      »Was meinen Sie denn damit?« fragte Margot.

      »Nun sehen Sie, wir wurden an einem kalten Februartag torpediert, und da waren wir drei zwölf Stunden lang im Wasser, und unter solchen Umständen wird man wirklich gut miteinander bekannt. Da lernt man sich gegenseitig kennen.«

      Margot lachte.

      »Haben Sie Ihre Freunde aus dem Wellengrab gerettet?« fragte sie etwas ironisch. »Oder wurden Sie von ihnen gerettet?«

      »Das kann man nicht so genau sagen. Wir haben uns wohl gegenseitig gerettet.«

      Sie vermutete gleich hinter diesen etwas zögernden und schüchternen Erklärungen eine Heldentat und nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit Stornoway auszufragen.

      Jim wäre zum Abendessen geblieben, aber er mußte einen langen Bericht schreiben, den er am nächsten Morgen abgeben sollte, und so verabschiedete er sich. Margot begleitete ihn bis zum Parktor.

      »Sie werden also unter die Bankräuber und Verbrecher gehen, wenn ich jetzt abreise?« fragte sie.

      »Warum denn nicht?« protestierte er energisch. »Die Sache ist furchtbar leicht, und Sie wissen doch, Margot, daß ich eine kriminalistische Veranlagung habe.«

      »Ich habe Sie im Verdacht, eine gewisse Schwäche und Zurückhaltung zu besitzen. Von einer verbrecherischen Veranlagung habe ich noch nichts bemerkt. Aber ich vermute, daß –«

      »Aber wieso haben Sie denn Schwäche bei mir feststellen können?«

      »Ich glaube, Sie sind nicht tatkräftig genug, und Sie haben nicht genügend Selbstvertrauen.«

      »Ich dachte, ich wäre sehr energisch und wüßte ganz genau, was ich wollte.«

      »In mancher Beziehung mag das ja zutreffen. Manchmal sind Sie sogar etwas zu sehr von sich überzeugt, aber in anderer Beziehung –«

      Er sah sie groß an und unterbrach sie.

      »Aber jetzt müssen Sie mir wirklich sagen, wieso ich mich vergangen habe. Lassen Sie mich nicht in England, in diesem gesegneten Landstrich, zurück – denn heilig ist das Land, das Ihre Füße berührt haben – ohne mir zu sagen, inwiefern ich gefehlt habe.«

      »Nun, ich meine, Sie sind eben zu sehr Engländer und zu schüchtern?«

      »Wollen Sie damit sagen, daß ich verschroben bin? Sie werden mir doch keinen Vorwurf daraus machen, daß ich Engländer bin? Ich gebe ja gern zu, daß die nicht so smart sind wie die Amerikaner.«

      Sie lachte.

      »Ich glaube nur, daß Sie zu verschlossen und zu zurückhaltend sind, das ist alles.«

       »Ach, ist es das?« fragte er ironisch, aber dann wurde er ernst. »Vielleicht ist es meine Absicht, so zu sein. Glauben Sie, ich wüßte nicht, daß der größte Schatz, den die Welt bieten kann, in meiner Reichweite ist?« Seine Stimme zitterte leicht. »Wenn ich nun tatsächlich wüßte, daß jemand so großzügig und so unendlich gut ist, daß er sich mir schenken möchte – mir, der gerade nur Geld genug hat, um zu fühlen, wie arm er ist?! Wenn ich das alles überschaute und in meinem Herzen den Entschluß faßte, um Ihres und meines Glückes willen mich erst weiter in der Welt hinaufzuarbeiten, würden Sie dann auch noch sagen, daß ich nicht genügend Selbstvertrauen hätte?«

      Sie erwiderte nichts darauf und legte nur ihre Hand in die seine. Schweigend gingen sie bis zum Tor.

      »Ich sehe Sie morgen noch«, sagte sie schließlich, ohne ihn anzuschauen. »Wollen Sie nicht nach Southampton an den Dampfer kommen und Abschied von mir nehmen?«

      »Eine glänzende Idee. Es wird mir zwar sehr schmerzlich sein, aber – ja, ich komme bestimmt. Ich fahre mit dem Zug hin.«

      »Warum wollen Sie uns nicht im Auto begleiten?« .

      »Das ist mir leider nicht möglich. Ich muß Sonnabend morgen in London sein. Aber ich fahre noch mit dem Zug um Mitternacht zur Hauptstadt, sehe dann ganz früh unseren Generaldirektor und nehme den Spezialzug zur Abfahrt des Dampfers. Gute Nacht.«

      Er reichte ihr die Hand, und sie sah sich um.

      Hinter ihnen stand der Reitknecht, der Jims Pferd am Zaum führte.

      »Gute Nacht«, sagte sie dann. »Aber bringen Sie morgen nicht Ihr Pferd mit.«

      »Kommen Sie mit Ihrer Schwägerin in die Stadt?« fragte er.

      »Das wäre möglich.«

      Er schwang sich in den Sattel, und Margot rieb die Nase seines Pferdes.

       »Jim«, sagte sie plötzlich, »wenn – wenn Sie ein großes Vermögen verdienen ... dann wollen Sie wohl irgend etwas Plötzliches, Unvorhergesehenes unternehmen?«

      Er neigte sich vor und legte seine Hand auf ihre Schulter. Sie schaute zu ihm auf.

      »Ja, es wird irgend etwas sein, woran kein Mensch denkt.«

      3

      Mr. Stephen Sanderson hatte einen dicken, umfangreichen Brief mit der amerikanischen Post erhalten und die halbe Nacht darüber gesessen und geschrieben. Er hatte die einzelnen Notizen verglichen, die er von Frank Camerons Freund erhalten hatte, und trug nun die einzelnen Daten in die Tabellen ein, die schon recht stattlich waren.

      Eine lange, mühselige Arbeit, aber es war nun einmal seine Liebhaberei. Er hatte Tausende von Zeitungen durchgelesen und Ausschnitte gesammelt, die sich mit Verbrechen befaßten, sowohl in England und Frankreich als auch in anderen Ländern. Vor allem kam es ihm darauf an, die Einbruchsmethoden der einzelnen Leute mit Verbrechen zu vergleichen, die noch nicht aufgeklärt waren, und nun hatte er eine Fülle neuen Materials aus New York erhalten. Er hatte so lange gearbeitet, bis der Morgen graute. Vor ihm lagen etwa ein Dutzend Photographien von Männern und Frauen auf dem Schreibtisch ausgebreitet, und er suchte alle möglichen Einzelheiten zusammen, um die große Reihe von Verbrechen aufzuklären, die miteinander in Zusammenhang standen. Nur eine oder zwei Tatsachen fügten sich noch nicht ins Ganze ein.

      Nachdem er vier Stunden geschlafen hatte, erhob er sich mit der Zuversicht, daß es ihm in Zukunft doch gelingen würde, die Sache ganz aufzuklären. Jim kam um zehn Uhr ins Büro und fand seinen Assistenten etwas übernächtig und bleich am Schreibtisch. Aber Sandersons Augen leuchteten, und er war so munter, wie ihn Jim noch nie gesehen hatte.

       Nach der Begrüßung wollte Jim ihn schon etwas fragen, aber er unterließ es, denn er betrachtete seinen Assistenten jetzt mit mehr Achtung.

      »Gibt es heute morgen etwas Besonderes?« erkundigte er sich, als er seinen Hut ablegte und seinen Mantel aufhing.

      »Nein, nichts. Das Geld für Mrs. Cameron und Mrs. Markham habe ich bereitgelegt.«

      »Gut. Aber sie hebt doch nicht etwa ihr ganzes Konto ab?«

      »Doch, aber ihr Guthaben ist gerade nicht sehr groß. Etwa zweitausend Pfund. Eine Kleinigkeit läßt sie stehen, weil sie wiederkommt. Ich erwarte Mr. Winter jeden Augenblick. Wollen Sie ihn auch sprechen?«

      »Wer ist denn das? – Ach, richtig, der Butler. Nein, ich möchte ihn nicht sprechen«, erwiderte Jim gleichgültig. »Wenn er mich sehen will, bin ich ja in meinem Büro.«

      Er ging in sein Zimmer, und Sanderson fuhr mit seiner Arbeit fort.

      Gleich darauf klopfte es.

      »Mr. Winter ist da«, meldete ein Angestellter.

      »Bitten