Selma Lagerlöf

Nils Holgerssons wunderbare Reise


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Reusen und Netze herein, damit sie nicht von der Überschwemmung weggespült werden sollten. An den Fährstellen wimmelte es von Reisenden: alle, die ausreisen oder nach Hause wollten, beeilten sich, solange sie noch sicher sein konnten, daß die Überfahrt nicht unterbrochen war.

       In der Nähe von Stockholm, wo am Ufer ein Landhaus neben dem anderen liegt, war die Geschäftigkeit am größten. Die meisten Villen lagen freilich so hoch oben an Land, daß für sie keine Gefahr vorhanden war, aber bei jeder Villa war ja eine Badebrücke und ein Badehaus, und die mußten in Sicherheit gebracht werden.

      Doch nicht nur die Menschen wurden unruhig, wenn der Mälar anfing, über seine Ufer zu treten. Die Enten, die ihre Eier zwischen das Gesträuch am Strande gelegt hatten, die Wasserratten und die Spitzmäuse, die am Ufer wohnten und kleine hilflose Junge im Nest hatten, waren in großer Not. Selbst die stolzen Schwäne wurden ängstlich, daß ihre Nester und Eier zerstört werden könnten.

      Und das waren keine unnötigen Sorgen, denn mit jeder Stunde, die verging, stieg der Mälar.

      Den Weiden und Erlen, die am Uferrande wuchsen, ging das Wasser schon hoch an den Stämmen hinauf. In die Gärten war das Wasser eingedrungen und wühlte in den Gemüsebeeten auf seine eigene Weise herum, und auf den Roggenfeldern, die so lagen, daß es dahinzugelangen konnte, richtete es großen Schaden an.

      Mehrere Tage lang fuhr der See fort zu steigen. Die flachen Wiesen rings um Gripsholm standen unter Wasser, so daß das große Schloß nicht nur durch einen schmalen Graben, sondern durch breite Sunde vom Lande getrennt war. In Strängnäs wurde die schöne Strandpromenade in einen brausenden Fluß verwandelt, und in Vestnås bereitete man sich darauf vor, in Booten durch die Straßen zu fahren. Ein paar Elchen, die auf einem Werder im Mälar überwintert hatten, war ihr Wohnort unter Wasser gesetzt, und sie kamen an Land geschwommen. Ganze Holzlager, Unmengen von Planken und Brettern, eine Masse Braukübel und Wassertonnen waren ins Treiben geraten, und überall waren Leute auf ihren Booten aus um zu bergen.

      In dieser beschwerlichen Zeit schlich Reineke Fuchs eines Tages in einem Birkenhain herum, der eine Strecke nördlich vom Mälar lag. Wie gewöhnlich dachte er an die Wildgänse und an Däumling und sann darüber nach, wie er es anstellen sollte, sie zu finden, denn er hatte ihre Spur ganz verloren.

      Als er so recht mutlos war, erblickte er die Sendtaube Agar, die auf einem Birkenzweig saß. »Gut, daß ich dich treffe,« sagte Reineke. »Du kannst mir vielleicht sagen, wo Akka von Kebnekajse und ihre Schar sich augenblicklich aufhalten.« – »Es ist ja nicht unmöglich, daß ich weiß, wo sie sind,« erwiderte Agar, »aber ich habe durchaus nicht die Absicht, es dir zu sagen.« – »Es ist auch schließlich einerlei,« entgegnete Reineke, »wenn du ihnen nur einen Gruß überbringen willst, den ich für sie habe. Du weißt, wie schlimm es in diesen Tagen am Mälar aussieht. Da ist eine große Überschwemmung, und das große Schwanenvolk, das in Hjälstaviken wohnt, ist in größter Gefahr, daß seine Nester und Eier zerstört werden. Aber der Schwanenkönig Tagklar hat von dem Männlein gehört, das mit den Wildgänsen reist und das für alles Rat weiß, und er hat mich hierher gesandt, um Akka zu fragen, ob sie nicht mit Däumling hierher nach Hjälstaviken kommen will.«

      »Den Gruß kann ich ja überbringen,« sagte Agar. »Aber ich begreife freilich nicht, wie der kleine Knirps den Schwänen sollte helfen können.« – »Das weiß ich auch nicht,« sagte Reineke, »aber er übernimmt ja alles mögliche.« – »Es wundert mich auch, daß Tagklar seinen Gruß an die Gänse durch einen Fuchs entsendet,« wandte Agar ein. – »Du hast ganz recht, wir sind ja sonst Feinde,« sagte Reineke mit sanfter Stimme. »Aber wenn die Not so groß ist, muß man einander helfen. Trotzdem ist es wohl besser, wenn du Akka nicht erzählst, daß du den Gruß durch einen Fuchs erhalten hast, denn sie ist mir gegenüber ein wenig mißtrauisch.«

      Die Schwäne in Hjälstaviken

      Die sicherste Zufluchtsstätte für Schwimmvögel am ganzen Mälar ist Hjälstaviken, der innerste Teil der Ekolsundbucht, die wiederum eine Erweiterung des Norra Björkofjords ist, der nächstgrößten von den langen Fären, die der Mälar nach Uppland hinein sendet.

      Hjälstaviken hat flache Ufer, niedriges Wasser und eine Menge Röhricht, ganz so wie der Tåkere. Die Bucht ist lange nicht so groß wie der berühmte Vogelsee, aber trotzdem ist sie eine gute Heimstätte für Vögel, weil sie seit vielen Jahren für unverletzlich gilt. Sie ist nämlich der Aufenthaltsort für ein großes Schwanenvolk, und der Besitzer der alten Königsburg Ekolsund, die in der Nähe liegt, hat alle Jagd auf der Bucht verboten, damit die Schwäne nicht gestört und geängstigt werden.

      Sobald Akka Nachricht erhalten hatte, daß das Schwanenvolk ihrer Hilfe bedürfe, eilte sie nach Hjälstaviken. Sie langte mit ihrer Schar eines Abends dort an und sah sofort, daß ein großes Unglück geschehen war. Die großen Schwanennester waren losgerissen und trieben in dem starken Sturm auf der Bucht. Einige waren schon auseinandergefallen, ein paar waren umgestürzt, und die Eier, die darin gewesen waren, lagen auf dem Grunde des Sees und schimmerten durch das Wasser.

      Als sich Akka in der Bucht niederließ, waren alle Vögel, die dort wohnten, am östlichen Ufer versammelt, wo sie im besten gegen den Wind geschützt waren. Obwohl sie sehr durch die Überschwemmung gelitten hatten, waren sie viel zu stolz, um ihre Betrübnis zu zeigen. »Es hat keinen Zweck zu trauern,« sagten sie. »Hier sind reichlich Röhrichtfasern und Stengel. Wir können uns bald neue Nester bauen.« Keins von ihnen hatte es sich träumen lassen, Fremde um Hilfe zu rufen, auch hatte niemand eine Ahnung davon, daß Reineke nach den Wildgänsen geschickt hatte.

      Da waren mehrere hundert Schwäne, und sie hatten sich nach Rang und Stellung hingelegt; die jüngsten und unerfahrensten zu äußerst im Kreise, die alten und klugen mehr in der Mitte. Ganz im Innersten lagen Tagklar, der Schwanenkönig und Schneefried, die Schwanenkönigin, die älter waren als alle die anderen, so daß die meisten von dem Schwanenvolk ihre Kinder und Kindeskinder waren.

      Tagklar und Schneefried konnten von den Tagen erzählen, wo Schwäne ihres Stammes nicht irgendwo in Schweden wild lebten, sondern nur in zahmem Zustand auf Schloßgräben und Teichen gefunden wurden. Aber dann waren ein Paar Schwäne der Gefangenschaft entronnen und hatten sich in Hjälstaviken niedergelassen, und von den beiden stammten alle die Schwäne ab, die dort wohnten. Jetzt nisteten in vielen der Mälarbuchten wilde Schwane ebenso wie auf dem Tåkern und dem Hornbörgasee. Alle diese Ansiedler waren von Hjälstaviken gekommen, und die Schwäne, die dort wohnten, waren sehr stolz darauf, daß ihr Geschlecht sich so von See zu See ausbreitete.

      Die Wildgänse hatten sich zufällig an dem westlichen Ufer niedergelassen; als Akka aber sah, wo die Schwäne lagen, schwamm sie sogleich auf sie zu. Sie war selbst sehr erstaunt, daß sie nach ihr geschickt hatten, aber sie betrachtete es als eine Ehre und wollte keinen Augenblick vergeuden, wenn es sich darum handelte, ihnen zu helfen.

      Als Akka in die Nähe der Schwäne kam, hielt sie mit dem Schwimmen inne, um zu sehen, ob die Gänse, die ihr folgten, in gerader Linie und mit gleich großen Zwischenräumen hinter ihr drein schwammen. »Schwimmt jetzt schnell und hübsch!« sagte sie. »Starrt die Schwäne nicht an, als wenn ihr nie etwas Schönes gesehen hättet, und kümmert euch nicht darum, was sie zu euch sagen!«

      Es war nicht das erstemal, daß Akka die alten Schwanenherrschaften besuchte, und sie hatten sie immer mit der Aufmerksamkeit aufgenommen, auf die ein so weitbereister und angesehener Vogel Anspruch erheben konnte. Aber sie mochte nicht zwischen alle die Schwäne hineinschwimmen, die ringsum sie herumlagen. Sie fühlte sich nie so klein und so grau, als wenn sie zwischen die Schwäne kam, und es konnte wohl geschehen, daß der eine oder der andere von ihnen ein paar Worte fallen ließ von gewissen Leuten, die grau und häßlich waren. Das klügste aber war, so zu tun, als höre man es nicht, und schnell weiter zu eilen.

      Diesmal hatte es den Anschein, als wenn alles ungewöhnlich gut gehen sollte. Die Schwäne glitten ganz still zur Seite, und die wilden Gänse schwammen gleichsam durch eine Straße, mit den großen, weißschimmernden Vögeln zu beiden Seiten. Es war sehr hübsch zu sehen, wie sie dalagen und die Flügel wie Segel ausspannten, um einen guten Eindruck auf die Fremden zu machen.