Andreas Kollmann

ich. und du.


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war die gebrochene Schrift. Deutsche Schrift ungeeignet. Er wollte Vereinheitlichung. Für alle. Daher wohl der Schritt. Glaub ich nicht. Doch. Nicht nur Erlaß. Wurde auch umgesetzt. Ich habe ein Buch. Von Alfred Rosenberg. Heute würde man ihn Chefideologen des Dritten Reichs nennen. Mythus des XX. Jahrhunderts. Von 1943. Ist in moderner Antiqua. Anders als frühere Auflagen. Ist Folge des Hitler-Erlasses. Wenn Du ein Buch von dem hast. Bist Du auch Nazi. Ich habe auch Bücher von Marx und die Bibel. Und den Koran. Bin ich dann wenigstens marxistischer christo-islamischer Nazi?

      Ich dachte. So ein paar Semester würden Euch helfen. Nicht so klein zu denken. Eher im Großen. Und Ganzen. War aber nix. Scheints.

      Sie kamen zurück auf die Schrift. Was für ein unwichtiges Zeug. Nicht Inhalt. Nur Formalkram. Wen interessiert das. Formen waren über Jahrhunderte wichtiger als Inhalte. Das könnt Ihr Euch gar nicht mehr vorstellen. Das gibt es aber auch heute manchmal. Z.B. im Recht. Oder auch in der Kirche. Stimmt.

      Heike schaute auf. Zum anderen Lorenz. Der saß wieder. Mit krummem Rücken. Auf dem Stuhl. Gebeugt. Nach vorne. Und hinten. Lorenz hörte zu. Nicht dem anderen, der mit dem Stuhl auf dem Boden Geräusche machte. Sondern ihm. Mit Verwunderung. Und Widerstand. Aber auch mit. Interesse. Heike schwieg. Hatte geschwiegen. Die ganze Zeit. Sie wußte nicht. Was sie davon halten sollte. Wollte er Ihnen etwas unterjubeln. War er. Ein Nazi. Oder so. Sah nicht danach aus. Aber das sind die Schlimmsten. Sagt man. Immer.

      1788. Sagte er. Das Buch hier ist von 1788. Das ist lange zurück. Lange vor den Nazis. Ist sogar nicht einmal 19. Jahrhundert. Als der Rassismus. Und der Antisemitismus. Geboren wurden. Sagt man. Also vor der Geburt. Von Rassismus. So grob. Gab es natürlich auch davor. Schon immer. Antisemitismus zum Beispiel. Auch schon im Mittelalter. Das war vor 1900. Übrigens. Vor 1500. Sogar.

      Und. Was sagt Ihr. Der Text klingt doch ganz normal. Finde ich. Ja. Die Schreibweise ist anders. Zum Teil. Zum Beispiel „seyn“. Aber das kann man modernisieren. Beim Abschreiben. Beim Vorlesen spielt es sowieso keine Rolle. Stimmt.

      Bestimmt. Und was soll das jetzt. Was willst Du damit machen. Wir könnten doch.

      Blöde Idee! Wo ist da die Geschäftsidee? Was – solche Ausdrücke kennst Du? Hast Du mal den Wirtschaftsteil in der FAZ gelesen? Sogar den Wetterbericht! Also: Geschäftsidee? Geschäft ist es weniger, aber vielleicht doch. Auch. Man kann aber zeigen, wie aktuell die Vorlagen aus der alten Zeit heute noch sind. Und vielleicht auch ein bißchen Geld bekommen. 10 %. Sagt man. Vom Umsatz. Wenn es funktioniert. Ja. Und wenn es keiner merkt. Ja.

      Dann ist es Betrug. Oder so. Wirklich? Hätte ich nicht gedacht. Ich finde es schön, kann kein Betrug sein. Also.

      Sie sahen sich einige Tage nicht. Wochenende. Montag. Dienstag. Mittwoch. Er ging zur Cafeteria. Dort traf er den anderen Lorenz. Der hatte ein Brötchen. Im Mund. Halb. Hallo Lorenz. „Thomas“. Mit vollem Mund. Vorlesung. Seit zwei Minuten. Nachher komme ich in die Cafeteria. Heike auch. Lorenz auch. Soweit ich weiß. Gut. Dann zeige ich Euch was.

      Heike saß ungeduldig. Auf dem Stuhl. Das hatte er bisher noch nicht gesehen. Was hatte Heike? Lorenz. War da was. Oder nichts. Lorenz kaute. Am Kaffee. Am Becher. Am Papp. Der andere Lorenz war nicht da. War da. Habt Ihr was zu Eurer Hausarbeit erfahren? Sieht aus wie Beerdigungskaffee. Nur Streuselkuchen fehlt. Und Bienenstich. Ne, erst in zwei Wochen. Oder so. Kann ich einen Kaffee ausgeben. Lorenz, Du auch? Er kam zurück. Mit dem Tablett. Von Georgia. Heute. Und vier Kaffeepappbechern. Und Kaffee. Bechern. Und Apfelkuchen. Zwei für alle. Das reicht. Muß. Zur Feier des Tages.

      Was für eine Feier. Was für ein Anlaß? Kein. Es gibt keinen. Ich wollte nur etwas Nettes machen. Traut man mir nicht zu. Weiß ich.

      Der andere Lorenz. Das Deckblatt von Mannert. Wie. Von Mannert? Das Du beim letzten Mal gezeigt hast. Was ist damit. Da stand „M. Konrad Mannert“. Wofür steht das „M“. Martin. Quatsch. Ist in anderer Schrift gesetzt. Nicht gebrochene, sondern. Sozusagen Arial. Quatsch, Arial ist neumodische Computerschrift. Ist bei Mannert in Antiqua geschrieben. Warum? Warum. Weil es einen lateinischen Ausdruck abbildet. Deutsche Begriffe und Texte sind gebrochen. Lateinische Wörter in Antiqua. Gedruckt. Hat man seit dem Beginn des Buchdrucks so gemacht. Also ab 1450 oder so. War also auch schon kurz vor 1900.

      Warum Antiqua? Weil das die Schrift war, die schon die ollen Römer nutzten. So ähnlich jedenfalls. In Großbuchstaben. Wenn man römische Grabinschriften liest oder römische Säulen oder so sieht, ist das ganz einfach. Die gebrochene Schrift ist da schon sehr viel schwieriger zu lesen.

      Und wofür? Wofür steht M? Weiß nicht. Ich denke. Für Magister. Dort steht Lehrer an der Schule St. Sebald Nürnberg. Lehrer ist Magister. Oder so. Im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert waren viele Lehrer fleißig. So was kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ein Lehrer, der wissenschaftlich tätig ist. Nebenbei. Und es mit einem Prof durchaus aufnehmen kann. Das war nicht nur Mannert. Im 19. Jahrhundert wimmelte es nur von Gymnasialprofessoren, die ihr Leben der Wissenschaft widmeten. Das lebt häufig noch heute nach. Etwa der Pauly. Paulys Real Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Den Neuen Pauly gibt es auch heute. Wieder. Als Enzyklopädie der Antike. In 15 Bänden. Oder so. August Friedrich Pauly. Ab 1822 war er Rektor der Lateinschule in Biberach, dann sog. Gymnasialprofessor in Heilbronn. Und bis zu seinem Tod am Gymnasium in Stuttgart. Sind aber schlimme Dinge, die er getan hat. Denn diese Lebensdaten erfährt man in der deutschen Wikipedia nicht. Nur in der englischen.

      Oder Franz Ludwig Carl Friedrich Passow. Kurz Franz. Also Franz Passow. Er war zunächst auch Gymnasiallehrer bei Danzig. Danach hat er es zum ordentlichen Prof gebracht. Wie man so sagte. Sein großes Werk ist das Handwörterbuch der griechischen Sprache. Das auch heute auf Basis der Fassung von 1847 fortgeführt wird. Der Passow war sogar Grundlage für ein englischgriechisches Lexikon. Während wir heute wie das Kaninchen vor der Schlange in die umgekehrte Richtung starren.

      Ja. Gut. Aber was soll das Ganze. Die Lehrer heute sind nicht mehr so wie früher. Hätte ich mir fast gedacht. Irgendwie nicht bahnbrechend. Was willst Du von uns. Nichts. Eigentlich nichts. Ich dachte nur. Daß wir vielleicht gemeinsam. Ein Ding drehen können. Legal. Wie gesehen. Die 70 Jahre vom Urheberrecht sind ja in allen Fällen rum. Zusammen. Das bis zur Veröffentlichung bringen. Und was haben wir davon. Da kriegen wir kein Geld. Auch Heike. Nicht. Also. Wozu. Stellt Euch vor. Wir würden das schaffen. Bei Charles Richet. Das ist der Nobelpreisträger für Medizin mit seinem verschollenen Buch. Das Buch finden. Und ausgraben. Und veröffentlichen. Es hat schon mal so was Ähnliches gegeben. Die Welt in 100 Jahren. Wurde 1909 und 1910 geschrieben. Ein gewisser Arthur Brehmer hat damals Mitautoren gefunden. Sollte zeigen, wie die Zukunft aussieht. 100 Jahre später wurde es wieder veröffentlicht. 2010. Wurde ein Schlager. Das Buch war aber auch vorher bekannt. Der Richet wäre es nicht. Soweit ich weiß. Das wäre ein noch größeres Ding. Vor allem wenn wir herausfinden, was der Inhalt. Daß der Inhalt wirklich zukunftsweisend war. Ist. Könnte man ja jetzt beurteilen.

      Fühlt Ihr nicht. Daß das ein Ding wär.

      Oder wir machen den Mannert. Wär auch ein interessantes Ding. 1788 – wie heute. Mein ich. Heike. Du. Schweigst. Die ganze Zeit. Nerv ich Euch damit. Dich?

      Ich muß arbeiten. Heute. Kneipe. Bedienen. Fertig. Tschüß.

      Sie sahen sich länger nicht. Vor allem. Heike. Lorenz. Anders der andere Lorenz. Ihn traf er manchmal. Auf der Treppe, auf dem Gang. Wenn er ging, wenn er kam. Eile. Kein Gespräch. Nur kurz. Hallo. Ja. Bald. Mal sehen. Vielleicht. Denke auch. Ja.

      Seid Ihr verärgert. Fragte er sich. Niemand da. Er war für zwei Wochen weg. Urlaub. Erholung. Nein. Kam wieder. Wußte nicht. Ob sie. Oder nicht. Hatte ein Gefühl. Komisch.

      Er fühlte sich schlecht. Warum. Er wußte es nicht. Konnte es ahnen. Konnte es sehen. Wenn er. In den Spiegel schaute. Morgens. Abends. Nie. Wollte nicht. War 68. Oder so. Wußte es selbst. Nicht. Mehr. Wie alt. War Heike. So 20. oder 21. Oder so. Das geht nicht. Paßt nicht. Passiert nicht. Nie. Doch. Immer. Wieder. Nicht ihm. Bestimmt nicht. Heike. Nein. Das Leben. Er. 68. Oder so. Im Juli.

      Er ging wieder in die Bibliothek. Nach der Vorlesung morgens. Um 9. Um 9.15. Uhr. Alles so fremd. Er sah die anderen. Alten. Senioren. Studenten. Sah sich. Dabei zu. Hörte. Wie er nicht