Irene Dorfner

Der perfekte Sündenbock


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Mühldorf am Inn. An seiner Seite war Staatsanwalt Eberwein, der sehr angespannt wirkte. Krohmer warf eine dünne Mappe mit lautem Knall auf den Tisch und setzte sich.

      „Was ist denn mit Ihnen los?“, wollte Werner Grössert wissen, der den Chef selten so erlebte.

      „Fuchs wurde verhaftet“, brach es aus Krohmer heraus.

      „Was hat er angestellt?“

      „Ihm wird Mord und schwere Körperverletzung vorgeworfen, er sitzt in U-Haft. Fuchs ist vermutlich auf seine Nachbarn losgegangen. Er hat einen Mann mit der Axt erschlagen und dessen Sohn damit schwer verletzt.“

      „Fuchs? Niemals! Wir alle kennen ihn. Er mag mürrisch und unfreundlich sein, aber er hält sich immer strikt an die Gesetze. Er würde niemals auf jemanden mit einer Axt einschlagen. Nein, das glaube ich nicht.“ Der dreiundfünfzigjährige Leo Schwartz war bester Laune und hatte nicht vor, sich diese verderben zu lassen. Er lachte sogar, denn es stand für ihn außer Frage, dass der Leiter der Spurensicherung in irgendeiner Form straffällig geworden war. Alle, nur nicht Fuchs.

      „Lassen Sie das dämliche Grinsen, Schwartz, die Sache ist ernst. Mord und schwere Körperverletzung sind kein Spaß.“

      „Nur die Ruhe, Chef. Wir gehen der Sache nach und dann wird sich alles aufklären“, sagte Leo gelassen. Für ihn war es selbstverständlich, dass sich die Sache rasch klären würde.

      „Verstehen Sie denn nicht? Wer, denken Sie, hat Fuchs verhaftet? Wir nicht!“

      „Wenn ich da einhaken darf“, mischte sich Eberwein ein. „Ich habe kurz nach Auffinden der beiden Opfer Wind von der Sache bekommen und habe umgehend reagiert. Wir wollen doch nicht, dass ein schlechtes Licht auf die Mühldorfer Kriminalpolizei fällt, indem man Vetternwirtschaft unterstellt. Ich hielt es daher für das Beste, den Fall anderweitig zu vergeben. Die Kollegen aus Landshut haben den Fall übernommen. Um die Ermittlungen zu vereinfachen, habe ich mich dafür eingesetzt, dass der Kollege Fuchs in die JVA nach Landshut gebracht wird.“ Eberwein lehnte sich zurück. Er war stolz darauf, dass er gerade noch rechtzeitig reagieren konnte. Dass es ihm nicht um die Mühldorfer Polizei, sondern um sein eigenes Ansehen ging, behielt er selbstverständlich für sich.

      Alle sahen den Staatsanwalt an.

      „Wir sind nicht zuständig und dürfen nicht ermitteln?“

      „Ja, so ist es“, sagte Krohmer sichtlich um Fassung bemüht. „In Anbetracht des vorliegenden Falles war die Entscheidung des Staatsanwaltes richtig und wurde wohlwollend vom Innenministerium aufgenommen. Es ist bekannt, dass wir in unserer Polizeiinspektion ein gutes Verhältnis unter den Mitarbeitern pflegen. Auch ich möchte nicht, dass meiner Polizei unterstellt wird, nicht ordentlich zu ermitteln. Ich möchte mit Nachdruck betonen, dass der Fall nicht uns gehört und dass es keine Ermittlungen von unserer Seite aus gibt.“ Krohmer sah den Staatsanwalt an, der zufrieden nickte und sich einige Notizen machte. Seinen Kugelschreiber führte er schwungvoll über den dicken Block.

      „Es ist mir völlig gleichgültig, ob wir zuständig sind, oder nicht“, rief der fünfundfünfzigjährige Hans Hiebler aufgebracht. Er schnaubte vor Wut. Trotz der draußen vorherrschenden Kälte hatte er das Hemd weit offen. Außerdem umgab ihn auch heute wieder ein betörender Herrenduft, der neu sein dürfte, denn niemand kannte diese äußerst herbe, aber angenehme Note. „Ich kenne Fuchs seit vielen Jahren und schätze ihn als Kollegen, auch wenn er mir oft mit seiner schlechten Laune auf die Nerven geht“, fuhr Hans fort. „Wenn Fuchs Schwierigkeiten hat, steht es für mich außer Frage, dass ich ihm helfe. Wofür sind Kollegen denn da? Ich würde dasselbe erwarten, wenn ich mich in einer ähnlichen Lage befände.“

      Leo und Werner stimmten sofort zu. Tatjana Struck hielt sich zurück. Die achtunddreißigjährige Leiterin der Mordkommission hatte den Kollegen Fuchs als mürrisch und unsympathisch kennengelernt. Ob der kleine, schmächtige Mann gewalttätig werden konnte oder sogar ein Mörder war? Warum nicht? Sie hatte schon Pferde kotzen sehen. Außerdem würden sich kompetente Kollegen darum kümmern und die würden den Fall sicher aufklären.

      Rudolf Krohmer musste für einen kurzen Moment schmunzeln, was den anderen nicht entging. Er hatte damit gerechnet, dass die männlichen Kollegen, die Fuchs seit vielen Jahren kannten, so reagieren würden. Frau Struck war noch nicht lange in Mühldorf und würde sich an seine Anweisung halten. Krohmer vertraute darauf, dass die Männer sie überzeugen würden, sobald sie die Unterlagen durchgelesen hatten, die er in aller Eile besorgt hatte und die jetzt vor ihm auf dem Tisch lagen.

      „Ich verbiete Ihnen, in dem Fall zu ermitteln“, wiederholte Krohmer mit fester Stimme. „Die Landshuter Kollegen sind zuständig. Sie haben die klare Anweisung, nichts zu unternehmen. Ich hoffe, wir haben uns verstanden. Sollte mir etwas Gegenteiliges zu Ohren kommen, werde ich sehr ungemütlich. Das war es für heute.“ Krohmer stand auf und ging, dicht gefolgt vom Staatsanwalt. Der hatte die Blicke und das Schmunzeln des Mühldorfer Polizeichefs als einziger nicht bemerkt.

      „Haben Sie Ihre Leute nicht zu hart angefasst?“

      „Nein, das denke ich nicht. Frau Struck ist kein Problem, sie wird nichts unternehmen. Bei Grössert, Hiebler und Schwartz bin ich mir da nicht so sicher. Ihnen muss man deutlich machen, dass ich es nicht dulden werde, wenn im Fall Fuchs ermittelt wird. Ich hoffe, Sie sind zufrieden, Herr Eberwein.“

      „Ja, das bin ich durchaus. Gut gemacht, Herr Krohmer.“

      Leo, Werner, Tatjana und Hans stürzten sich auf die Mappe, die Krohmer zurückgelassen hatte. Den vieren war klar, was Krohmer im Schilde führte. Offiziell durften sie nichts unternehmen, die Anweisung war deutlich und konnte vom Staatsanwalt bestätigt werden. Trotzdem erwartete der Chef, dass sie sich sehr wohl um den Fall kümmerten.

      Die spärlichen Informationen gingen reihum. Dann war es still.

      „Für die Fuchs zur Last gelegten Taten gibt es keine Zeugen. Die Fotos des Toten und des Verletzten sehen schlimm aus.“

      „Die Tatwaffe wurde kurz nach Fuchs‘ Verhaftung auf dessen Grundstück von einem Bauarbeiter in der Erde gefunden. Der Mann arbeitete an einem geplanten Gewächshaus. Das ist doch lächerlich. Jeder könnte die Tatwaffe dort vergraben haben.“

      „Fuchs‘ Aussage spricht nicht gerade für seine Unschuld. Die beiden Opfer und unser Kollege waren direkte Nachbarn und hatten mehrere Auseinandersetzungen, was Fuchs bestätigt hat und wofür es vermutlich jede Menge Zeugen gibt. Allerdings bestreitet er, den Nachbarn getötet und dessen Sohn niedergeschlagen zu haben. Schon gar nicht mit einer Axt, die zugegebenermaßen ihm gehört.“

      „Passen die Verletzungen überhaupt zu der Tatwaffe?“

      „Keine Ahnung, darüber steht nichts in den Unterlagen.“

      „Ich finde keinen Hinweis darauf, weshalb man Fuchs als Täter verdächtigt. Gut, der Tatort ist vermutlich sein Grundstück, außerdem hat man die Tatwaffe, die Fuchs gehört, auch da gefunden. Aber er bestreitet die Tat und es gibt keine Zeugen.“

      „Die Sache stinkt“, sagte Leo. „Wenn es sich um einen Fremden handeln würde, wäre die Sache klar. Aber Fuchs? Niemals! Dem will man was anhängen.“

      „So sehe ich das auch.“

      „Und wenn ihr euch irrt? Wenn Fuchs tatsächlich die Taten begangen hat?“, warf Tatjana ein.

      „Und dann ist er so blöd und vergräbt die Tatwaffe genau an der Stelle, an der gerade gegraben wird? So dumm ist Fuchs bestimmt nicht. Nein, ich stimme Leo zu: Die Sache stinkt!“ Hans war sich sicher, dass dem so war. Tatjana war nicht überzeugt. Alle versuchten die Kollegin mit Beispielen auf ihre Seite zu ziehen, was ihr mehr und mehr auf die Nerven ging. Ja, gegen vieles hatte sie nichts einzuwenden, trotzdem war ihr der Leiter der Spurensicherung mit seiner ruppigen, unfreundlichen Art ein Dorn im Auge. Hans und Werner gaben auf, aber Leo redete sich in Rage.

      „Hör endlich auf!“, rief sie irgendwann genervt. „Ich mag Fuchs nicht und aufgrund dessen, was ich gelesen habe, ist der Mann für mich vorerst der Täter, auch wenn mir ebenfalls die vorliegenden Beweise dürftig erscheinen.