besten Gesprächen. Es war auch eine gewählte kleine Bibliothek an Bord, aber zum Lesen kam man gar nicht, so abwechslungsreich vergingen die Meerestage. Kingscourt war immer beflissen, seinen Gefährten zu zerstreuen. Man hatte bei lebhafterem Wogengange die Insel Kreta passiert, da rückte er plötzlich mit einem Vorschlag heraus: »Sagen Sie ’mal, Doktor, hätten Sie denn keine Lust, noch Ihr Vaterland zu sehen, bevor wir von der Welt Abschied nehmen?«
»Mein Vaterland?« staunte Friedrich. »Sie wollten noch einmal nach Triest zurückkehren?«
»I bewahre!« schrie Kingscourt. »Ihr Vaterland liegt ja vor uns, Palästina!« »Ach, so ist das gemeint? Sie irren sich. Zu Palästina habe ich keinerlei Beziehung. Ich war nie dort. Es interessiert mich nicht. Meine Vorväter sind seit achtzehnhundert Jahren weg. Was habe ich da zu suchen? Ich glaube, nur die Antisemiten können behaupten, daß Palästina unser Vaterland sei …«
Aber während er dies sagte, fiel ihm David Littwak ein. Da fügte er hinzu: »Außer von Antisemiten habe ich es nur noch von einem kleinen Judenjungen sagen hören, daß Palästina unser Land wäre. Wollten Sie mich damit necken, Mr. Kingscourt?«
»Da soll doch gleich ein Donnerwetter reinschlagen, wenn ich Sie geuzt habe. Das hab’ ich ganz ernst gemeint. Wahrhaftig, ich verstehe euch Juden nicht. Ich wär’ auf so etwas furchtbar stolz, wenn ich ein Jude wäre. Und ihr schämt euch wohl gar dessen. Da könnt ihr euch nicht wundem, wenn man euch verachtet — die Anwesenden natürlich ausgeschlossen.«
»Herr von Königshoff, sind Sie vielleicht ein Antisemit?« sagte Friedrich empört. Zum erstenmal redete er ihn mit seinem deutschen Namen an, er wußte selbst nicht warum.
Kingscourt lächelte: »Nu regen Sie sich auf, mein Sohn! Daß ich ’n allgemeiner Menschenfeind bin, das war Ihnen sozusagen schnuppe. Daß ich aber unter andern auch die Jüdischen nicht mag, das nehmen Sie mir geschwind übel. Trösten Sie sich. Doktorchen, ich hasse die Juden nicht mehr und nicht weniger als die Christen, Mohammedaner und Feueranbeter. Alle zusammen keinen Schuß Pulver wert. Ich verstehe den guten ollen Nero: ein einziger Hals, und dann mitten durch mit einem Hieb. Oder nein: noch schöner ist es, daß die Lumpenbande leben bleibt, und daß sie sich langsam gegenseitig zu Tode ärgern.«
Friedrich war schon versöhnt: »Ich war dumm. Daß Sie mich mitnahmen, war doch der beste Beweis.«
Kingscourt sagte: »Da fällt mir ’ne Sache ein, die ich einmal mit einem Ihrer Landsleute oder Glaubensbrüder oder — hol’ mich der Deibel — kurz mit einem Juden hatte. Es war im Re’ment. Wir hatten da so ’nen Freiwilligen — Cohn hieß die Kreete, ein jemein … Entschuldigen Sie! Dieser Cohn war ’n ganz verflucht krummbeiniges Subjekt — wie für die Kavallerie geschaffen. Es war einmal in der Reitstunde. Ich ließ die Schweinehunde Barriere springen. Das heißt, ich wollte; sie wollten nicht oder konnten nicht. War auch ’n bißchen hoch. Na, ich habe sie traktiert, wie’s sich für solche gottverlassene Schweinebande geziemt. Damals konnte ich noch fluchen, hol’ mich der Deibel! Seitdem hab’ ich’s verlernt … Ich gab ihnen zu verstehen, so durch die Kavall’rieblume, daß ich sie für das zitterlichste Lumpenpack hielte. Und den Cohn holte ich mir besonders. ,Sie sind wohl ein besserer Wechselreiter?’ höhnte ich ihn. Da schoß dem Juden das Blut ins Gesicht, und er ritt an. Stürzte aber und brach sich den Arm. Das hat mich dann eine Weile gewurmt. Wozu hat so ’n Aas auch Ehrgefühl?«
»Sie meinen, ein Jude sollte kein Ehrgefühl haben?« »Nee, so was! Sie verdrehen mir ja das Wort im Mutterleibe … Übrigens, wenn die Juden Ehrgefühl haben, warum lassen sie sich alle die Bübereien gefallen?«
»Was sollten die Juden tun, Mr. Kingscourt?«
»Was? Ja, das weiß ich nicht. Irgendwas, wie mein Cohn in der Reitschule, ich habe doch mehr Respekt vor ihm bekommen.«
»Weil er sich den Arm gebrochen hat?«
»Nein, weil er mir seinen Willen gezeigt hat … Ich, wenn ich an eurer Stelle wäre, ich würde irgendwas Mutiges, Großes unternehmen, daß auch die Feinde vor Staunen die Mäuler aufreißen müßten. Vorurteile, mein Lieber, wird’s immer geben. Das Menschenpack nährt sich von Vorurteilen, von der Wiege bis zum Grabe. Also, da man die Vorurteile nicht abschaffen kann, muß man sie für sich erobern … Je mehr ich darüber nachdenke: es müßte ganz interessant sein, heutzutage ein Jude zu sein. Gerade weil man alle Welt gegen sich hat.«
»Ach, Sie wissen nicht, wie das schmeckt.« »Nicht süß, das kann ich mir schon denken … Na, und wie ist’s mit dem ollen Palästina? Wollen wir uns das noch begucken, bevor wir aus der Menschheit verschwinden?«
»Mir ist alles recht, Mr. Kingscourt«
Und so bekam die Jacht den Kurs nach Jaffa.
6. Kapitel.
Sie verbrachten einige Tage im alten Lande der Juden. Von Jaffa hatten sie einen unangenehmen Eindruck. Die Lage am blauen Meere wohl herrlich, aber alles zum Erbarmen vernachlässigt. Die Landung in dem elenden Hafen mühselig. Die Gäßchen von den übelsten Gerüchen erfüllt, unsauber, verwahrlost, überall buntes orientalisches Elend. Arme Türken, schmutzige Araber, scheue Juden lungerten herum, alles träg, bettelhaft und hoffnungslos. Ein sonderbarer Moderduft, wie von Gräbern, beengte einem das Atmen.
Kingscourt und Friedrich beeilten sich auch fortzukommen. Sie fuhren auf der schlechten Eisenbahn nach Jerusalem. Auch auf diesem Wege Bilder tiefster Verkommenheit. Das flache Land fast nur Sand und Sumpf. Die mageren Äcker wie verbrannt. Schwärzliche Dörfer von Arabern. Die Bewohner hatten ein räuberhaftes Aussehen. Die Kinder spielten nackt im Straßenstaube. Und in der Ferne des Horizonts sah man die entwaldeten Berge von Judäa. Der Zug fuhr dann durch öde Felsentäler. Die Abhänge verkarstet, wenig Spuren einer einstigen oder gegenwärtigen Kultur.
»Wenn das unser Land ist,« sagte Friedrich melancholisch, »so ist es ebenso heruntergekommen wie unser Volk.«
»Ja, es ist einfach scheußlich, geradezu polizeiwidrig,« erklärte Kingscourt. »Und doch ließe sich da viel machen. Aufforsten müßte man. So eine halbe Million junger Riesentannen, die schießen hoch wie Spargel. Das Land braucht nur Wasser und Schatten, dann hätte es noch eine Zukunft, wer weiß wie groß«.
»Wer soll da Wasser und Schatten herbringen?«
»Die Juden, Kreuzschockschwerenot!«
Es war Nacht, als sie in Jerusalem ankamen, eine wundersame Mondnacht.
»Donnerwetter, ist das schön!« schrie Kingscourt. Der Wagen, in dem sie vom Bahnhof nach dem Hotel fuhren, mußte auf seinen Befehl halten. Er herrschte den Lohndiener an: »Sie können auf dem Bock bleiben und dem Kamel von einem Kutscher sagen, daß er langsam hinter uns nachfahren soll. Wir gehen ein Stück zu Fuß, Doktor, wollen Sie? … Wie heißt diese Gegend?«
Der Lohndiener antwortete demütig: »Das Tal von Josaphat, gnädiger Herr.« »Hol’ mich der Deibel, das gibt es also wirklich? Das Tal von Josaphat! Ich glaubte, das sei nur so ’ne Sache in der Bibel. Hier ist nu unser Herr und Heiland herumgegangen. Was sagen Sie dazu, Doktor? … Ach so! Na ja, aber Ihnen muß das doch auch etwas sagen? Diese alten Mauern, dieses Tal …«
»Jerusalem!« sagte Friedrich mit leise bebender Stimme halb vor sich hin. Er wußte sich gar nicht zu erklären, warum ihn der Anblick dieser unbekannten Stadtumrisse derart ergriff. Erinnerungen vielleicht an Worte der frühen Kindheit? Gebetstellen, die des Vaters Stimme gemurmelt hatte? Die abendliche Weihe des verschollenen Pessachfestes zog ihm durch die Seele. Einer der wenigen hebräischen Satze, die er noch wußte, klang in ihm auf: LeSchonoh haboh beJruscholajim. — Übers Jahr in Jerusalem! … Und er sah sich plötzlich als kleinen Knaben an der Seite seines Vaters zum Tempel gehen. Ach, der Glaube war tot, die Jugend war tot, der Vater war tot — Und vor ihm ragten die Mauern von Jerusalem in märchenhaftem Mondesglanz. Heiß strömte es ihm in die Augen. Es überwältigte ihn. Er blieb stehen, und die Tränen flössen ihm langsam über die Wangen.
Kingscourt erstickte mehrere Deibel in seiner Kehle, winkte dem nachfahrenden Kutscher gewaltig