Rotraut Mielke

DER ULL und die PLIMPIS


Скачать книгу

„Oh“ und „Ah“, als sie die Königin in ihrem Kleid sahen. Es war aus veilchenblauem Samt gemacht. Auch der König sah sehr würdevoll und elegant aus. Er trug seine weiße Galauniform, an der die silbernen Knöpfe nur so blitzten.

      Alle Plimps waren begeistert von ihrem Königspaar, alle bis auf Antonio. Der hatte nur Augen für seine Josefine und fand, dass sie noch viel schöner war als die Königin.

      Mathilde dirigierte mit schwungvollen Armbewegungen das Auftragen der Speisen. Ganz stolz war sie, dass keiner ihrer Küchenhelfer stolperte oder sonst einen Fehler machte. Als alle Speisen auf den Tischen standen, klatschten die Bewohner der Burg Beifall. Mathilde war so gerührt, dass sie den Lausebengel Fridolin an sich zog und ihm einen dicken Schmatzer gab. Der verzog das Gesicht und wischte sich verstohlen die Backe mit dem Hemdsärmel ab.

      Nun begann ein Essen und Trinken, wie es der große Saal der Plimpis schon lange nicht mehr gesehen hatte. Die Glühwürmchen tauchten den Raum in helles Licht, und die ‚Super Grillen‘ sorgten mit ihren lustigen Liedern für musikalische Unterhaltung.

      Endlich waren alle satt, und der König stand auf. Die Kapelle spielte einen Tusch, dann wurde es mucksmäuschenstill im Saal. Alle wollten hören, was der König ihnen zu sagen hatte.

      „Mein liebes Volk“, begann er seine Rede. Und dann musste er sich erst einmal räuspern, denn er war etwas aufgeregt.

      „Wie ihr alle wisst, ist heute ein besonderer Abend. Heute, in der Mittsommernacht, besucht eine Morgentauprinzessin unsere Burg. Das passiert sehr selten, nämlich nur, wenn in der Mittsommernacht der volle Mond zu sehen ist.“

      Im Saal breitete sich Gemurmel aus, und Mister Fletcher winkte heftig, damit wieder Ruhe eintrat.

      „Die Jüngeren unter euch werden sich nicht mehr erinnern, dass wir schon einmal eine Morgentauprinzessin zu Besuch hatten. Denn das ist viele Jahre her. Aber heute ist es wieder so weit. Und schon bald wird sie hier sein.“

      Es gab Applaus und Bravo-Rufe. Und der Minister musste wieder herumfuchteln, damit Ruhe herrschte.

      „Vor unvorstellbar langer Zeit hat der Mondkönig die Erde besucht. Er hat die vielen Sorgen und Probleme der Menschen gesehen und beschlossen, ihnen zu helfen. Seitdem schickt er nun in solch einer besonderen Nacht wie heute eine Morgentauprinzessin herunter. Sie hilft, wo Hilfe gebraucht wird. Not kann sie lindern und Unrecht wieder gut machen. Sie hat ganz besondere Kräfte, und sie ist sehr klug. Leider kann sie nur einem einzigen Menschen helfen, und sie allein entscheidet, wer das ist. Einen Monat lang hat sie Zeit für ihre schwierige Aufgabe. Das ist nicht sehr lang. Aus dem Vollmond wird der Neumond, der dann wieder zunimmt. Und wenn der volle Mond wieder am Himmel steht, muss sie uns verlassen.“

      Der König nippte an seinem Glas. „Liebes Volk, hört zu und denkt gut nach. Wir haben die Aufgabe, der Prinzessin zu helfen. Wir müssen Vorschläge machen, welchem Menschen geholfen werden soll. Denkt daran, dass dieser Mensch ohne eigene Schuld in Not gekommen ist. Und es muss ein guter und ehrlicher Mensch sein.“

      Nun war es so still im Saal, dass man eine Vogelfeder hätte fallen hören. Der Küchenjunge Fridolin bekam Schluckauf, so angestrengt dachte er darüber nach, was der König gesagt hatte. Viele dieser großen Lebewesen, die ‚Menschen‘ hießen, hatte er noch nicht gesehen. Sie waren ihm auch nicht geheuer. Er duckte sich immer unter ein Blatt oder eine Blüte, wenn er auch nur von weitem ihre riesig langen Beine mit den großen Füßen auf der Wiese sah. Gefährlich waren sie nicht, dazu waren die Menschen viel zu schwerfällig. Und er war auch noch nie auf seinen Streifzügen von einem Menschen entdeckt worden.

      So ein kleiner Mensch, ein Kind, das wäre vielleicht ein lustiger Spielgefährte Ganz in der Nähe gab es zwei solche Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Früher hatte er sie oft lachen gehört, wenn sie auf der Wiese Nachlauf spielten.

      Aber in letzter Zeit, das fiel Fridolin jetzt ein, war das Lachen nicht mehr so oft zu hören gewesen. Und einmal hatte er beobachtet, wie das kleine Mädchen sich neben dem großen Holzstapel zusammengekauert hatte, der nicht weit vom Haus der Menschen stand. Es hatte eine Puppe im Arm, die es fest an sich drückte. Das Mädchen hatte immer wieder zu einem offenen Fenster geschaut. Von dort waren zwei Stimmen zu hören gewesen, eine laute, tiefe, und eine leisere, hohe. Ganz genau hatte Fridolin gespürt, dass das kleine Mädchen sehr traurig war und auch ein bisschen Angst hatte.

      Er hatte sich nicht getraut, den anderen Plimpis davon zu erzählen. Die nahmen ihn nicht ernst, weil er einer der kleinsten und jüngsten Bewohner der Burg war. Das wäre vielleicht etwas für die Morgentauprinzessin, dachte er. Aber er wusste ganz genau, dass er sich nie trauen würde, mit ihr zu reden.

      Ein heftiger Stoß in die Rippen riss ihn aus seinen Gedanken. Das war Mathilde, und nun sah er, dass sich bereits alle zu einer großen Prozession aufstellten. Sein Herz fing an, ganz schnell zu klopfen. Nun ging es hinaus auf die Wiese, und dann würde er die Prinzessin bald zu sehen bekommen.

      Mister Fletcher hatte viel zu tun, bis die Plimpis in einer ordentlichen Reihe aufgestellt waren. Voran gingen der König und die Königin, begleitet von der königlichen Garde. Es folgten der Hofstaat und dann alle anderen Bewohner der Burg. Am Ende des Zuges gaben die ‚Super Grillen‘ mit einem Lied den Takt zum Marschieren vor.

      Drittes Kapitel, in dem die Morgentauprinzessin ankommt. Na ja, fast!

      Die Wiese lag ruhig da im weichen Mondlicht. Die Nacht war klar, und am Himmel standen viele Sterne. Die Strahlen des Vollmondes fielen auf die Gräser und Blumen und überzogen sie mit silbernem Glanz. Kein Windhauch war zu spüren, und nur ein ganz leiser, heller Ton ließ die warme Luft der Mittsommernacht ein wenig erzittern.

      Die Plimpis waren an einem kleinen Hügel angekommen und schauten angestrengt in den Himmel. Die Glühwürmchen hatten ihre Lichter kleiner gemacht, so dass rundherum nur noch winzige rote Pünktchen zu sehen waren. Es war, als würde die ganze Erde den Atem anhalten.

      Groß und klar stand die leuchtende Scheibe des Mondes in der Mitte des Himmels. Wenn man genau hinsah, konnte man das lachende Gesicht des Mondkönigs erkennen. Plötzlich war da ein winziger Funke. Wie eine Sternschnuppe näherte er sich in rasender Fahrt der Erde. Gebannt standen die Plimpis da und sahen, wie der Funke näher und näher kam und dabei immer größer wurde.

      Don plötzlich verschwand er wieder. Die Plimpis stöhnten auf, und einige hatten vor lauter Enttäuschung Tränen in den Augen. War etwas schief gegangen? Würde die Prinzessin am Ende doch nicht kommen?

      Da zuckte ein greller Blitz über das Dunkel der Wiese. Die Plimpis rieben sich die Augen und waren für einen Moment geblendet. Mister Fletcher war der erste, der wieder etwas sehen konnte. Er schaute sich um, woher der Blitz wohl gekommen war.

      Da lag etwas im Gras, ein kleines Stückchen entfernt, mitten in einer Pfütze, die vom letzten Regen übrig geblieben war. Es sah aus wie ein sehr großes Ei. Ein rotes Glimmen ging davon aus, das nach einer Weile erst orange und dann gelb wurde. Schließlich verwandelte sich das Glimmen in ein strahlendes Weiß. Das Ding sah nun wirklich aus wie ein ziemlich großes Hühnerei. Merkwürdige Geräusche waren aus dem Inneren zu hören, ein tiefes Brummen und Surren, dann ein Klopfen. Jetzt konnte man kleine Sprünge in der Schale sehen. Und dann hob sich ganz langsam der obere Teil des Gegenstandes ab wie die Spitze von einem Frühstücksei. Ein sanftes, wunderbares Licht breitete sich aus und spiegelte sich den Augen der faszinierten Plimpis.

      Der König und die Königin, die dem Licht am nächsten standen, stellten sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Jemand kletterte heraus aus der Hülle – das musste die Morgentauprinzessin sein.

      „Halle Leute! Schön, euch zu sehen. War ein langer Flug hierher, und ich bin total hungrig und durstig. Auch eine Dusche wäre vielleicht nicht schlecht.“

      Die tiefe, raue Stimme ließ alle zusammenzucken. Gespannt sahen sie zu, wie jemand ziemlich unbeholfen aus dem zerbrochenen Ei herauskletterte. In einer Hand hielt er einen großen Hammer, in der anderen einen spitzen Metallstab. Die Plimpis schauten einander verblüfft an. Das sollte eine Morgentauprinzessin