Elke Schwab

Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen


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kam ihr der Gedanke, sich aufzurichten.

      Als sie auf ihren Füßen stand, erinnerte sie sich an ihren Sturz von Rondo. Er war im Wahnsinnstempo über einen steinigen Weg galoppiert.

      Was sollte sie jetzt tun? Nach Rondo suchen oder nach den Knochen Ausschau halten? Sicherlich hatte ihr Bewusstsein nur verrückt gespielt. Die Knochen hatte sie sich eingebildet.

      Sie klopfte den Sand von ihrer Reithose ab, wollte sich gerade auf die Suche nach ihrem Pferd machen, als sie tatsächlich ein menschliches Skelett vor sich liegen sah. Genau auf diesen Knochen war sie gelandet. Das erkannte sie daran, dass das Skelett auseinandergerissen worden war.

      Sie erschrak und war sich nicht sicher, was nun schlimmer war: die Tatsache, auf einen Toten gefallen zu sein oder die Tatsache, dass sie mit ihrer Ungeschicklichkeit wertvolle Spuren verwischt hatte?

      Ein Scharren ertönte.

      Sie wandte ihren Blick von den Knochen ab und schaute in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Da stand Rondo in der Herbstsonne – sein Fell so golden wie das Laub am Baum direkt neben ihm. Er hatte auf sie gewartet.

      Obwohl sie ihm für den Abwurf am liebsten in seinen großen Hintern getreten hätte, freute sie sich doch, dass er an einem sonnigen Plätzchen stand und ihr kauend entgegenschaute. Die Zeit, die Anke bewusstlos war, hatte er sich damit vertrieben, das goldgelbe Laub von den Bäumen zu fressen.

      Mit zitternden Händen klopfte Anke ihm den Hals. Rondo schnaubte zufrieden. Geduldig harrte er aus, während Anke sich mit Mühe wieder auf das große Tier setzte. Ihre Beine waren wackelig durch den Sturz. Ihre Courage hatte auch gelitten. Aber sie wusste genau, dass man sich nach einem Abwurf sofort wieder in den Sattel setzen musste, um die Angst zu besiegen. Genau das tat sie jetzt.

      Mit jedem Schritt, den sie sich von der Sturzstelle entfernte, wurde der unangenehme Geruch schwächer. Ihr Verstand registrierte, dass sie nicht Verwesung gerochen hatte, sondern die Mülldeponie, die direkt hinter dem Hügel lag.

      Kapitel 2

      »Wie bitte? Du bist auf einem Toten gelandet?« Jürgen Schnur konnte nicht glauben, was Anke ihm gerade am Telefon auftischte.

      Sie bestätigte. Er hatte sich also nicht verhört.

      »Wie tot?«

      »Mausetot! Schon ein Skelett«.

      »Hoffentlich war der Tote biologisch abbaubar.«

      »Was redest du da?«

      »Mehrere Kommunen, unter anderem auch das Mandelbachtal, haben sich zusammengeschlossen und beantragt, von der UNESCO als Biosphärenreservat anerkannt zu werden. Da sollten sie besser aufpassen, was sie in ihren Wäldern abladen«, erläuterte Schnur.

      »Für gewöhnlich liegen tote Menschen nicht im Wald herum, bis sie verwest sind«, konnte Anke nur dazu sagen.

      »Stimmt! Hier ist irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen.« Schnur legte auf und unterdrückte seinen Zorn, denn die Arbeit ging vor. War er jahrelang nur für Aktensuchen und Fallanalysen am Schreibtisch zuständig, so hatte er jetzt die weitaus bessere Position. Seit einem Jahr war er nicht nur Hauptkommissar, sondern auch mit der Leitungsfunktion betraut. Eigentlich hätte er damit sein Ziel erreicht, säße ihm nicht ständig Kriminalrat Dieter Forseti im Nacken.

      Die Umstände des Leichenfundes verärgerten Schnur, weil er die Kommentare von Forseti jetzt schon in seinen Ohren klingeln hörte. Dabei war das nicht in Ankes Sinn gewesen. Auch war es nicht in ihrem Sinn, einen Tatort zu kontaminieren. Der Zufall hatte ihr übel mitgespielt. Nur – würde Forseti das interessieren, wenn sich herausstellte, dass Spuren vernichtet worden sind?

      Er rieb sich über sein Kinn, eine Geste, die er nicht mehr abstellen konnte, seit sich sein Bartwuchs als feuerrot herausgestellt hatte. Damit tastete er die Stoppeln ab, um rechtzeitig zum Rasierapparat greifen zu können. Denn die ewige Häme, die ihn schon seit seiner Jugendzeit verfolgte, wollte er nicht auf seinen Arbeitsplatz ausdehnen. Doch das war schwieriger als angenommen. Die Kollegen hatten seinen vermaledeiten Spitznamen rausgekriegt. Jetzt musste er nur noch zusehen, dass er ihnen kein Wasser auf die Mühle gab. Nach einer raschen Trockenrasur eilte er in das Nachbarbüro zu Erik Tenes, den er aufforderte, ihn nach Ormesheim zu begleiten.

      Kapitel 3

      Weiträumig war alles mit grünweißem Polizeiband abgesperrt, eine Vorsichtsmaßnahme, die Anke an dieser gottverlassenen Stelle für überflüssig hielt. Wer ging schon freiwillig solche steinigen Wege? Die Bäume standen so dicht, dass wenig Tageslicht durchdringen konnte. Obwohl es noch hell war, mussten starke Lampen aufgestellt werden.

      Sie selbst hätte sich diese Route niemals ausgesucht – Rondo hatte sie in einem halsbrecherischen Galopp dorthin geführt.

      Je mehr sie sich der Fundstelle näherte, umso holpriger wurde der Boden. Dicke Steine, querliegende Äste, sogar umgefallene Baumstämme lagen dort. Anke staunte darüber, wie ihr Pferd so lange darüber galoppieren konnte, ohne zu stolpern. Sie hatte schon Mühe, im langsamen Tempo nicht ins Straucheln zu geraten.

      Als sie näher kam, sah sie Jürgen Schnur, den Kommissariatsleiter, Erik Tenes, ihren Kollegen und einige Mitarbeiter der Spurensicherung. Ein älterer, stämmiger Mann saß gebückt vor dem Fund und machte vorsichtige Bewegungen mit einem Pinsel, während er von einem gro­ßen, schlanken Mann mit Argusaugen beobachtet wurde.

      Was hatte das zu bedeuten?

      »Gut gemacht, Anke.« Erik grinste. »Du findest die Leichen erst, wenn du schon darauf liegst.«

      »Immerhin finde ich Leichen«, konterte Anke. »Ohne mich wärt ihr arbeitslos.«

      »Ich muss euch enttäuschen«, mischte sich Jürgen Schnur in das Geplänkel ein. »Die ›Helden der Arbeit‹ gibt es seit der Auflösung der DDR nicht mehr.«

      Anke und Erik verstummten.

      Die Arbeiten an dem Skelett gingen emsig weiter.

      »Was tun die Männer da?«, fragte Anke.

      »Sie untersuchen, wie alt das Skelett ist. Wir dürfen nicht ausschließen, dass wir hier einen alten Fund aus der Keltenzeit vor uns haben, da der Fundort nahe an den Ausgrabungen in Reinheim liegt«, erklärte Schnur.

      »Wie kommst du darauf, dass das Skelett schon zweitausend Jahre dort liegt? Hier gehen regelmäßig Menschen vorbei, die es längst entdeckt hätten.«

      »Hierher verirrt sich niemand«, widersprach der Archäologe. Seine Stimme klang undeutlich. Er machte sich noch nicht einmal die Mühe, Anke anzuschauen. Er warf ihr die Worte über seine Schulter entgegen.

      Ganz anders verhielt sich der ältere Mann, der die Knochen mit einem Pinsel bearbeitete. Er ließ von seiner mühsamen Arbeit ab, erhob sich schwerfällig, wobei er sich seine beiden Knie festhielt. Neugierig schaute er Anke über den Rand seiner Hornbrille an.

      »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen! Mein Name ist Kehl – Ernst Kehl – mit einem Doktor der forensischen Anthropologie vorne dran.« Er grinste, wobei er seinen Blick von Ankes Gesicht bis zu ihren Füßen wandern ließ. »Hier haben Sie ja ganze Arbeit geleistet.«

      Sofort fühlte sich Anke unwohl. Der Mann hatte winzige Augen, die unangenehm glitzerten. Seine Gesichtsfarbe war so grau, wie die wenigen Haare auf seinem Kopf. Er reichte ihr gerade bis zum Hals. Es fiel ihm leichter, auf ihre Brust anstatt in ihr Gesicht zu schauen, während er mit ihr redete.

      »Ich werde Tage brauchen, um die zertrümmerten Knochen zu einem Ganzen zu fügen«, sinnierte er weiter.

      »Dann hoffe ich, dass Sie das richtig machen«, entgegnete Anke unfreundlich. »Der Teil gehört nämlich zu Ihrer Arbeit, während ich meinen Teil der Arbeit schon gemacht habe.«

      »Worin bestand Ihr Teil der Aufgabe?«, fragte der Alte amüsiert, womit er Anke noch mehr