Manuela Tietsch

Die flüsternde Mauer


Скачать книгу

hier gibt es nicht einmal eine Tür!“

      „Ihr seyd eyne Frouwe oder gar eyn Frouwelin?“, fragte er in die Dunkelheit.

      Ich spürte wie er zitterte, noch stärker als ich selbst. Er musste vom Markt sein, der Sprache nach. Es war jedoch ganz schön abgefahren, in solch einer schrecklichen Lage, die Marktsprache zu benutzen. War er ein Irrer?

      „Mein Name ist Alanis“, antwortete ich ihm.

      „Könnet ihr mir gar helfen?“ Ein Zittern lag in seiner Stimme, die ansonsten angenehm wohltönend klang, als hätte er Angst ich würde mich plötzlich in Luft auflösen oder ihn dort stehen lassen und gehen.

      „Ich weiß nicht,“ hörte ich mich sagen, „ich kann versuchen die Steine weiter zu lockern, bis Sie hindurchpassen.“

      Seine Finger wanderten tastend wieder nach unten bis zu meinem Handgelenk, los ließ er mich nicht.

      Mit einer Hand hielt er sie fest und es kostete ihn unendlich viel Kraft dies zu tun, auch weil seine Nägel im Weg waren. Doch wenn er sie losließ, dann ging sie womöglich und das konnte er nicht wagen. Nicht jetzt, nachdem sie ihn aus seinem Schlaf geweckt hatte. Er würde jämmerlich zugrunde gehen. Spürte sie seine Angst? Wer war sie? Er erkannte ihre Stimme nicht. War sie eine der Bedienerinnen? Oder eine Hofdame, die bei seiner Familie zu Besuch war? Er suchte mit seiner freien Hand vorsichtig nach dem Dolch. Wenn er nach unten fiel, war alles verloren. Schließlich bekam er ihn zwischen die Finger und zog ihn heraus. Wenn er ihn ihr übergab, dann war er jegliche Hoffnung los. Hatte er eine Wahl? Sie war seine einzige Möglichkeit in die Freiheit zu gelangen. Er legte ihr den kalten Dolch in die Hand. Sie zuckte zurück und fragte erschrocken:

      „Was, was ist das?“

      „Eyn Dolch, der helfet euch, da ihr so gnädig seyd die Steyne freyzukratzen.“

      „Warum haben Sie es denn nicht selber schon gemacht?“ Sie war misstrauisch.

      „Das hätt ich, doch die Steyne wären gar viel zu fest gewesen. Ich hätt es nicht geschaffet. Außerdem hätt ich eyne lange Zeyt geslafen.“

      Er hielt mich noch immer fest. Wie lange war er schon hier unten eingesperrt gewesen? Ich konnte ihm schon nach dieser kurzen Zeit nachfühlen, wie schrecklich es war.

      „Wenn ich helfen soll, müssen Sie mich erst einmal loslassen“, sagte ich nachdrücklich. Seine Hände zuckten und ich konnte fühlen, wie er mit sich rang. Schließlich ließ er meine Hand los. Er atmete erregt, als rechnete er mit allem, auch, dass ich ihn hier zurückließ.

      „Ich helf euch von meyner Seyte aus“, sagte er leise.

      „Gut, vereint schaffen wir das schon.“ Ich begann mit dem großen Dolch zu kratzen. Es ging bedeutend leichter als mit dem Klappmesser und auch schneller. Stein um Stein lockerte sich, und ich legte sie neben mich auf den Boden der Kammer.

      „Ich glaube, wir könnten den Rest zum Einsturz bringen!“

      „Ich könnt mich nicht groß rühren, es sey gar eng hier.“

      „Ich werde versuchen zu ziehen.“

      Gesagt getan, ich zog mit Kraft an dem etwa kniehohen Rest der ersten Mauer. Ich wollte nicht daran denken, dass dahinter noch eine weitere auf mich wartete. Mit einem lauten Krachen fielen die Steine schließlich auf meiner Seite auf den Boden, einer auf meinen Zeh. Ich schrie auf.

      „Verdammt!“

      „Was sey euch widerfahren?“, fragte er ängstlich.

      „Mein Zeh, so ein blöder Stein.“ Ich hielt und rieb mir den Zeh, bis der Schmerz nachließ. „Ich mache jetzt weiter.“

      „Ich dank euch von Herzen, edles Frouwelin.“

      Wie gestelzt er sich ausdrückte. Trotz der Lage, in der wir uns befanden, musste ich darüber schmunzeln. „Bist du vom Markt?“

      „Wie meynet ihr? Welcher Markt?“

      „Ist schon gut, hilf lieber weiter mit.“ Er hatte `ne Macke, bestimmt, aber er schien nicht bösartig zu sein, sondern eher zurückhaltend. Ich strengte mich an, ich hatte die Nase gestrichen voll vom Maueraufkratzen, und ich hatte verdammt noch mal schrecklichen Hunger! „Wie lange bist du schon hier unten?“

      „Ich könnt es nicht mit Bestimmtheyt sagen.“

      „Verstehe, so geht es mir auch und ich bin wahrscheinlich nur ein paar Stunden hier.“ Ich spürte, dass die Steine so gelockert waren, dass ich den Versuch wagen konnte, sie umzureißen. „Ich versuch es jetzt.“ Ich zog mit letzter Kraft an dem Mauerrest. Es dauerte viel zu lange, kostete mich meine ganze Überwindung, doch es gelang endlich. Auch diese Mauer brach nach innen ein. Ich tastete den Rand ab. Es war zwar kein Loch für Riesen, indes ein Mensch mit üblicher Größe würde hindurchpassen.

      „Ich glaube, du kannst durchgehen!?“

      „Ich könnt nicht“, kam es flüsternd aus der Öffnung.

      Ich war verwirrt. Hatte er nicht darum gebeten, dass ich ihm helfen sollte? „Wieso nicht?“

      „Meyne Beyne zittern gar zu heftig.“

      Seine Stimme klang brüchig, als würde er im nächsten Augenblick in Tränen ausbrechen. Ich streckte den Arm aus, ertastete seine Hände. Er zitterte wie Espenlaub. Es war seltsam, obwohl ich ihn nicht kannte, noch irgendetwas von ihm wusste, so verband uns doch die Einsamkeit und die Angst. Ich zog ihn mit leichtem Druck in meine Richtung. Er streckte einen Arm aus und stützte sich schwer auf meine Schulter. Er schien tatsächlich Beine aus Gummi zu haben. Langsam stieg er durch die entstandene Öffnung über den knapp kniehohen Mauerrest, bis er neben mir stand. Doch er ließ mich nicht los, sondern stützte sich weiterhin schwer auf mich.

      „Setz dich doch erst mal auf die Steine.“ Ich versuchte ihm stützend nach unten zu helfen. „Warst wohl doch ein bisschen zu lange dort? Wie bist du da eigentlich reingefallen?“

      „Ich sey nicht gefallen, ich glaub, ich wär schon eynige Wochen hier.“

      Ich musste auflachen, konnte nichts dafür. „Dann wärst du längst verdurstet oder hattest du Wasser?“

      An seiner Körperbewegung konnte ich spüren, dass er den Kopf verneinend schüttelte.

      „Ihr habet wohl Recht, Frouwelin, doch meyn Gefühl saget mir anderes.“

      „Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch jegliches Zeitgefühl verloren.“

      „Wo seyen wir hier, wisset ihr das?“

      „Ich habe keine Ahnung. Nur, dass es sich um zwei Räume handelt, die keine Tür haben und durch einen Gang verbunden sind.“ Ich kratzte mich am Kopf. „Und in diesem Gang sind wir gerade.“

      „Hm. Und wie seyd ihr hier hereyn gelanget?“, fragte er nach.

      „Ich habe einen Schlüssel aus Holz gefunden, ihn in eine passende Öffnung in die Wand gedrückt und plötzlich gab der Boden unter mir nach.“ Zu dumm, dass ich den Schlüssel noch mitgerissen hatte, sonst hätte ihn vermutlich jemand gefunden und nachgesehen oder die Tür wäre gar nicht zugefallen.

      „Eyne Falltüre! Und von wo seyd ihr gefallen?“

      „Wie von wo?“

      „Von welchem Gang aus?“

      Ich überlegte. Ich war im oberen Stockwerk gewesen. „Ich glaube der Gang über dem Gang in dem die Bilder hängen.“

      „Von welchen Bildnissen redet ihr?“

      „Ach, ich weiß nicht. Vielleicht war es auch woanders? Irgendwie weiß ich gerade gar nichts mehr.“ Ich lehnte mich an die Wand und ließ mich daran heruntergleiten. Er saß neben mir auf den Steinen.

      „Ich würd´ gar so gern eynen Schluck Wasser trinken, hättet ihr welches dabey?“

      Ich holte meinen Rucksack hervor und die Flasche heraus. „Hier, lass noch was drinnen.“