Rudolf Steiner

Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit


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in unserem Bewusstsein vorhandenen Gedanken und Gedankenverbindungen bestimmen (vergleiche Ziehen, Leitfaden der physiologischen Psychologie, Jena 1893, S. 171), wird Gegenstand einer späteren Auseinandersetzung sein. Vorläufig wollen wir bloß die Tatsache feststellen, dass wir uns fortwährend gezwungen fühlen, zu den ohne unser Zutun uns gegebenen Gegenständen und Vorgängen Begriffe und Begriffsverbindungen zu suchen, die zu jenen in einer gewissen Beziehung stehen. Ob dies Tun in Wahrheit unser Tun ist, oder ob wir es einer unabänderlichen Notwendigkeit gemäß vollziehen, lassen wir vorläufig dahingestellt. Dass es uns zunächst als das unsrige erscheint, ist ohne Frage. Wir wissen ganz genau, dass uns mit den Gegenständen nicht zugleich deren Begriffe mitgegeben werden. Dass ich selbst der Tätige bin, mag auf einem Schein beruhen; der unmittelbaren Beobachtung stellt sich die Sache jedenfalls so dar. Die Frage ist nun: was gewinnen wir dadurch, dass wir zu einem Vorgange ein begriffliches Gegenstück hinzufinden?

      Es ist ein tiefgreifender Unterschied zwischen der Art, wie sich für mich die Teile eines Vorganges zueinander verhalten vor und nach der Auffindung der entsprechenden Begriffe. Die bloße Beobachtung kann die Teile eines gegebenen Vorganges in ihrem Verlaufe verfolgen; ihr Zusammenhang bleibt aber vor der Zuhilfenahme von Begriffen dunkel. Ich sehe die erste Billardkugel in einer gewissen Richtung und mit einer bestimmten Geschwindigkeit gegen die zweite sich bewegen; was nach erfolgtem Stoß geschieht, muss ich abwarten und kann es dann auch wieder nur mit den Augen verfolgen. Nehmen wir an, es verdecke mir im Augenblicke des Stoßes jemand das Feld, auf dem der Vorgang sich abspielt, so bin ich – als bloßer Beobachter – ohne Kenntnis, was nachher geschieht. Anders ist das, wenn ich für die Konstellation der Verhältnisse vor dem Verdecken die entsprechenden Begriffe gefunden habe. In diesem Falle kann ich angeben, was geschieht, auch wenn die Möglichkeit der Beobachtung aufhört. Ein bloß beobachteter Vorgang oder Gegenstand ergibt aus sich selbst nichts über seinen Zusammenhang mit anderen Vorgängen oder Gegenständen. Dieser Zusammenhang wird erst ersichtlich, wenn sich die Beobachtung mit dem Denken verbindet.

      Beobachtung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen, insofern er sich eines solchen bewusst ist. Die Verrichtungen des gemeinen Menschenverstandes und die verwickeltsten wissenschaftlichen Forschungen ruhen auf diesen beiden Grundsäulen unseres Geistes. Die Philosophen sind von verschiedenen Urgegensätzen ausgegangen: Idee und Wirklichkeit, Subjekt und Objekt, Erscheinung und Ding an sich, Ich und Nicht-Ich, Idee und Wille, Begriff und Materie, Kraft und Stoff, Bewusstes und Unbewusstes. Es lässt sich aber leicht zeigen, dass allen diesen Gegensätzen der von Beobachtung und Denken, als der für den Menschen wichtigste, vorangehen muss.

      Was für ein Prinzip wir auch aufstellen mögen: Wir müssen es irgendwo als von uns beobachtet nachweisen, oder in Form eines klaren Gedankens, der von jedem anderen nachgedacht werden kann, aussprechen. Jeder Philosoph, der anfängt über seine Urprinzipien zu sprechen, muss sich der begrifflichen Form, und damit des Denkens bedienen. Er gibt damit indirekt zu, dass er zu seiner Betätigung das Denken bereits voraussetzt. Ob das Denken oder irgendetwas anderes Hauptelement der Weltentwickelung ist, darüber werde hier noch nichts ausgemacht. Dass aber der Philosoph ohne das Denken kein Wissen darüber gewinnen kann, das ist von vornherein klar. Beim Zustandekommen der Welterscheinungen mag das Denken eine Nebenrolle spielen, beim Zustandekommen einer Ansicht darüber kommt ihm aber sicher eine Hauptrolle zu.

      Was nun die Beobachtung betrifft, so liegt es in unserer Organisation, dass wir derselben bedürfen. Unser Denken über ein Pferd und der Gegenstand Pferd sind zwei Dinge, die für uns getrennt auftreten. Und dieser Gegenstand ist uns nur durch Beobachtung zugänglich. So wenig wir durch das bloße Anstarren eines Pferdes uns einen Begriff von demselben machen können, ebenso wenig sind wir imstande, durch bloßes Denken einen entsprechenden Gegenstand hervorzubringen.

      Zeitlich geht die Beobachtung sogar dem Denken voraus. Denn auch das Denken müssen wir erst durch Beobachtung kennenlernen. Es war wesentlich die Beschreibung einer Beobachtung, als wir am Eingange dieses Kapitels darstellten, wie sich das Denken an einem Vorgange entzündet und über das ohne sein Zutun Gegebene hinausgeht. Alles was in den Kreis unserer Erlebnisse eintritt, werden wir durch die Beobachtung erst gewahr. Der Inhalt von Empfindungen, Wahrnehmungen, Anschauungen, die Gefühle, Willensakte, Traum, und Phantasiegebilde, Vorstellungen, Begriffe und Ideen, sämtliche Illusionen und Halluzinationen werden uns durch die Beobachtung gegeben.

      Nur unterscheidet sich das Denken als Beobachtungsobjekt doch wesentlich von allen andern Dingen. Die Beobachtung eines Tisches, eines Baumes tritt bei mir ein, sobald diese Gegenstände auf dem Horizonte meiner Erlebnisse auftauchen. Das Denken aber über diese Gegenstände beobachte ich nicht gleichzeitig. Den Tisch beobachte ich, das Denken über den Tisch führe ich aus, aber ich beobachte es nicht in demselben Augenblicke. Ich muss mich erst auf einen Standpunkt außerhalb meiner eigenen Tätigkeit versetzen, wenn ich neben dem Tische auch mein Denken über den Tisch beobachten will. Während das Beobachten der Gegenstände und Vorgänge und das Denken darüber ganz alltägliche, mein fortlaufendes Leben ausfüllende Zustände sind, ist die Beobachtung des Denkens eine Art Ausnahmezustand. Diese Tatsache muss in entsprechender Weise berücksichtigt werden, wenn es sich darum handelt, das Verhältnis des Denkens zu allen anderen Beobachtungsinhalten zu bestimmen. Man muss sich klar darüber sein, dass man bei der Beobachtung des Denkens auf dieses ein Verfahren anwendet, das für die Betrachtung des ganzen übrigen Weltinhaltes den normalen Zustand bildet, das aber im Verfolge dieses normalen Zustandes für das Denken selbst nicht eintritt.

      Es könnte jemand den Einwand machen, dass das gleiche, was ich hier von dem Denken bemerkt habe, auch von dem Fühlen und den übrigen geistigen Tätigkeiten gelte. Wenn wir zum Beispiel das Gefühl der Lust haben, so entzünde sich das auch an einem Gegenstande, und ich beobachte zwar diesen Gegenstand, nicht aber das Gefühl der Lust. Dieser Einwand beruht aber auf einem Irrtum. Die Lust steht durchaus nicht in demselben Verhältnisse zu ihrem Gegenstande wie der Begriff, den das Denken bildet. Ich bin mir auf das bestimmteste bewusst, dass der Begriff einer Sache durch meine Tätigkeit gebildet wird, während die Lust in mir auf ähnliche Art durch einen Gegenstand erzeugt wird, wie zum Beispiel die Veränderung, die ein fallender Stein in einem Gegenstande bewirkt, auf den er auffällt. Für die Beobachtung ist die Lust in genau derselben Weise gegeben, wie der sie veranlassende Vorgang. Ein gleiches gilt nicht vom Begriffe. Ich kann fragen: Warum erzeugt ein bestimmter Vorgang bei mir das Gefühl der Lust? Aber ich kann durchaus nicht fragen: Warum erzeugt ein Vorgang bei mir eine bestimmte Summe von Begriffen? Das hätte einfach keinen Sinn. Bei dem Nachdenken über einen Vorgang handelt es sich gar nicht um eine Wirkung auf mich. Ich kann dadurch nichts über mich erfahren, dass ich für die beobachtete Veränderung, die ein gegen eine Fensterscheibe geworfener Stein in dieser bewirkt, die entsprechenden Begriffe kenne. Aber ich erfahre sehr wohl etwas über meine Persönlichkeit, wenn ich das Gefühl kenne, das ein bestimmter Vorgang in mir erweckt. Wenn ich einem beobachteten Gegenstand gegenüber sage: Dies ist eine Rose, so sage ich über mich selbst nicht das Geringste aus; wenn ich aber von demselben Dinge sage: Es bereitet mir das Gefühl der Lust, so habe ich nicht nur die Rose, sondern auch mich selbst in meinem Verhältnis zur Rose charakterisiert.

      Von einer Gleichstellung des Denkens mit dem Fühlen der Beobachtung gegenüber kann also nicht die Rede sein. Dasselbe ließe sich leicht auch für die andern Tätigkeiten des menschlichen Geistes ableiten. Sie gehören dem Denken gegenüber in eine Reihe mit anderen beobachteten Gegenständen und Vorgängen. Es gehört eben zu der eigentümlichen Natur des Denkens, dass es eine Tätigkeit ist, die bloß auf den beobachteten Gegenstand gelenkt ist und nicht auf die denkende Persönlichkeit. Das spricht sich schon in der Art aus, wie wir unsere Gedanken über eine Sache zum Ausdruck bringen im Gegensatz zu unseren Gefühlen oder Willensakten. Wenn ich einen Gegenstand sehe und diesen als einen Tisch erkenne, werde ich im Allgemeinen nicht sagen: Ich denke über einen Tisch, sondern: Dies ist ein Tisch. Wohl aber werde ich sagen: Ich freue mich über den Tisch. Im ersteren Falle kommt es mir eben gar nicht darauf an, auszusprechen, dass ich zu dem Tisch in ein Verhältnis trete; in dem zweiten Falle handelt es sich aber gerade um dieses Verhältnis. Mit dem Ausspruch: ich denke über einen Tisch, trete ich bereits in den oben charakterisierten Ausnahmezustand ein, wo etwas zum Gegenstand der Beobachtung gemacht wird, was in unserer geistigen Tätigkeit immer mitenthalten ist, aber nicht als beobachtetes Objekt.

      Das ist die