Alexander Laszlo

Wem gehört das Huhn?


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Mexiko! Genauer gesagt Mexikaner, die in Amerika leben. Mexikaner wie ich, Luis Olivares.

      »Die Ankündigung« Sonntag, 27.Oktober 2024. Noch 9 Tage bis zur Wahl.

      Eben hatte ich die Mädchen ins Bett gebracht und war die kleine Stufe hinab zur Küche gestiegen, wo Rosalie auf mich wartete. Vor ihr auf dem Tisch lag ihr silbernes iPad. Sie machte einen tief besorgten Eindruck. Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich dicht neben sie.

      „Was ist los?“

      „Trump gibt gleich eine Erklärung ab, live.

      Rosalie flüsterte. In ihrer Stimme lag so viel Unheil, dass mein Herz schwerer schlug.

      „Warum besorgt dich das so?“

      „Es ist so ein Gefühl, ein böses.“

      Ich konnte es nicht sofort einordnen. Hatte ihr Gefühl etwas mit Donald Trump zu tun? Der meldete sich doch ständig zu Wort, was hatte das mit uns zu tun? Im Nachhinein kann ich nur sagen, es war wohl einfach Intuition gewesen. Ein großes Unheil war in unser Haus geschlichen, während ich im Kinderzimmer war und die Mädchen zugedeckt hatte. Und Rosalie hatte es sofort gespürt.

      Ihre Hände zitterten, als sie das iPad hochhob. Ich nahm es ihr ab und stellte es vor uns auf den Tisch. Das Siegel des Präsidenten erschien auf dem Bildschirm, untermalt von der Nationalhymne. Eine Texteinblendung kündigte eine Rede des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika an. Dann erschien Donald Trump. Er saß hinter seinem Schreibtisch im Oval Office. Prominent hatte er darauf eine kleine US-Flagge drapiert, sodass die Zuschauer unwillkürlich auf diese schauen mussten. Seine Botschaft war klar: Wo ich bin, ist Amerika. Ich bin Amerika! Dann begann er zu sprechen.

      „Amerikaner! Meine lieben, patriotischen Amerikaner! Ich spreche zu euch in der Stunde des Schicksals für unsere großartige Nation.

       Seit ich im Amt bin, ist Amerika ein besseres Land geworden, ein stärkeres! Amerika ist so erfolgreich wie nie. Ich habe das China-Virus gestoppt. Die amerikanische Wirtschaft ist seit Jahren auf einem Rekordhoch und wird immer stärker, die Arbeitslosenzahlen so niedrig wie nie. Nie hatten mehr Frauen, Afroamerikaner und Latinos eine Arbeit, als unter meiner Führung. Ich habe internationale Abkommen beendet, die schlecht für Amerika waren, und ich habe neue ausgehandelt, die gut sind für unser Land. Ich habe den Ruf Amerikas in der Welt wiederhergestellt. Wir sind die großartigste Nation der Welt, wir sind von Gott berufen, diese Welt anzuführen und das Böse zu bekämpfen. Und niemand kann unser großartiges Land besser führen als ich.“

      Trump fuhr gleich die ganz großen Geschütze auf. Andere gab es für ihn auch nicht mehr. Die Aussicht auf weitere Jahre als mächtigster Mann der Welt hatte sein narzisstisches Ego endgültig entfesselt. Er fuhr fort.

      „Die Demokraten wollen euer Land verkaufen und euch verbieten, echte Amerikaner zu sein. Sie hassen Amerika und sind in Wahrheit linke Terroristen. Amerikaner! Ihr müsst euch entscheiden. Wollt ihr weiterhin die Freiheit und das stärkste Amerika, das es je gab, oder Chaos und Sozialismus?

       Die Demokraten verachten amerikanische Traditionen und Werte. Vor allem aber verachten sie amerikanische Helden! Sie machen gemeinsame Sache mit den Feinden Amerikas! Und noch immer laden sie schlechte Menschen in unser Land ein, Tausende jeden Tag! Ihr wisst, von wem ich spreche. Mexikaner!

       Millionen sind schon hier und Zehntausende in diesem Moment, in dem ich zu euch spreche, auf dem Weg zu uns. Sie kommen, um euch euer Land wegzunehmen. Dahinter stecken die Demokraten, finanziert und gesteuert von fremden Mächten, Feinden Amerikas, die es nicht ertragen können, dass wir die großartigste Nation der Welt sind. Amerika wird angegriffen. Jeden Tag kommen Menschen illegal in unser Land, euer Land. Sie spazieren einfach über die Grenze, sie laufen nachts durch eure Vorgärten. Sie holen sich, wonach ihnen ihr böser Geist steht. Sie morden, sie vergewaltigen, sie bringen Drogen und Gewalt! Doch damit ist jetzt ein für alle Mal Schluss!

       Wählt mich am 5. November, mich, Donald John Trump, den großartigsten Mann für das großartigste Amt der Welt, und ich gebe euch ein Versprechen, nehmt mich beim Wort. Ihr wisst, dass ich mein Wort halte. In einem Jahr, in genau 365 Tagen, von Morgen an, wird kein einziger Mexikaner mehr in den USA leben, der nicht hierhergehört! Sie werden alle weg sein. Ich habe einen Plan, einen wunderschönen Plan, ihr werdet es sehen. Alle werden es sehen!“

      Der bedrohliche Ton in seiner Stimme war selbst für Trumps Verhältnisse außergewöhnlich. Im ganzen Land würden sich Menschen in diesem Augenblick in ihrem Hass gegen Mexikaner bestätigt fühlen. Der mächtigste Mann der Welt erklärte gerade der Nation, dass es richtig ist, zu hassen. Hass ist gut für Amerika!

      „Ich habe ein präsidiales Dekret erlassen, denn ich bin der Präsident. Meine Macht ist allumfassend. Es wird morgen Mittag in Kraft treten und wirft ein für alle Mal alle unrechtmäßigen Mexikaner aus unserem Land! Ob Mann oder Frau, Kind oder Greis, vorbestraft oder nicht: Wer bis morgen Mittag, 12:00 Uhr keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Einbürgerungsurkunde vorweisen kann, wird dahin zurückgeschickt, wo er herkam. Alle laufenden Asylverfahren werden von Mexiko aus weitergeführt. Wer freiwillig gehen will, soll das tun, eine Belohnung gibt es dafür nicht. In einem Jahr sind alle weg, so oder so.

       Dieses Versprechen gebe ich Amerika! Und ich habe bewiesen, dass ich meine Versprechen halte. Wählt mich, und ich befreie Amerika von seinen Feinden! Und wenn ich sage, ich werde persönlich für Ordnung sorgen, dann meine ich es auch so. Ich mache es selbst, höchstpersönlich. Ja, ihr habt richtig gehört, stolze Amerikaner, ich mache es selbst. So machen wir das in Amerika. Wir nehmen die Dinge selbst in die Hand. Den ersten Mexikaner werde ich eigenhändig zurück nach Mexiko bringen. In einem Flugzeug. Nicht in einer großen Regierungsmaschine mit Dutzenden Menschen an Bord, sondern mit einem kleinen, schnellen Flugzeug! Einem Flugzeug MADE IN USA!“

      Trump legte eine kurze Pause ein, um die Dramatik der folgenden Worte so groß wie möglich zu machen:

      „Ich werde dieses Flugzeug selbst steuern!”

      Er legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. Der Präsident weidete sich an der Aufmerksamkeit seiner Zuschauer, auch wenn er sie nicht sehen konnte. Er spürte sie, da war ich mir sicher. Mit vorgeschobenem Kinn und geschürzten Lippen, die Arme vor der mächtigen Brust verschränkt, lehnte er sich zurück und fixierte die Kamera mit zusammengekniffenen Augen. Erneut atmete er tief ein, seine Nasenhöhlen blähten sich auf zu zwei schwarzen Löchern, die so groß und böse aussahen, als wären sie der Eingang zur wahrhaftigen Hölle.

      „Niemand wird im Flugzeug sein außer mir und einem illegalen Mexikaner, irgendeinem. Ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der großartigsten Nation auf der Welt, und als Präsident gehe ich voran, damit Amerika mir in eine großartige Zukunft folgen kann. In drei Tagen hebt die Maschine ab, und niemand kann sie stoppen.“

      Er zog die kleine Flagge vom Rand des Schreibtisches zu sich heran und küsste sie mit seinen dünnen, bösen Lippen.

      „Morgen wird ein großartiger Tag für Amerika sein. Morgen beginnt eine noch glorreichere Zukunft für Amerika. Jetzt ist die Zeit zu handeln. Und jeder echte Amerikaner kann etwas tun. Wählt mich am 5. November, und die Großartigkeit Amerikas wird unendlich werden! Gute Nacht, patriotische Amerikaner!“

      Schock. Rosalie und ich blickten uns ungläubig an. „Was, wenn er es wahr macht? Was, wenn die Abschiebeliste schon in seiner Schublade liegt? Was, wenn es uns trifft?“ Rosalie war eine Kämpferin, aber in diesem Moment sah ich zum ersten Mal in meinem Leben echte Hilflosigkeit in ihren Augen.

      Fünf Millionen Menschen würden betroffen sein. Menschen, von denen die meisten gute Menschen waren. So wie die meisten Menschen auf der Welt gut sind, und die bösen nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit bösartig. Jeder Mensch wird gut geboren, und wieviel davon im Laufe seines Lebens verloren geht, hängt davon ab, wie ein Mensch selbst behandelt wird.

      Auch