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Denise Remisberger
Vor der Wahl kommt die Ausmistung
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Inhaltsverzeichnis
1
Gertrude sass unter einem saftigen breiten Blatt im Botanischen Garten der Stadt, direkt neben dem Seerosenteich, in dem es von lärmenden klobigen Fröschen nur so wimmelte. Gertrudes Denkprozesse wurden strapaziert, und wenn sie eines hasste, dann dies.
Gertrude war eine Koboldin, etwas zu fein geraten für ihre Spezies, doch mit genug Willen für Seele und Körper. Ihre Haare trug sie ganz nach der Mode, der Mode der Menschen: struppig. Sie stachen in schwarzen Geflechten von ihrem ovalen Gesicht ab und gaben ihr ein düsteres Aussehen.
Sie steckte in einer ausgefransten braunen Hose, die sie mit einer Hanfgarnschnur um ihre schlanke Taille gebunden hatte, bevor sie heute Mittag ohne jede Vorwarnung aus ihrem Zuhause geworfen wurde: In einem abgerissenen Haus konnte selbst sie nicht mehr wohnen.
Ihre intensiven schwarzen Augen visierten gerade einen der Frösche an, woraufhin dieser sofort verstummte und sich eilends ins Schilf zurückzog, als eine Menschenfrau sich direkt vor ihre Nase setzte. Zuerst sah Gertrude nur einen grossen fransigen Hut aus Jute, der an der Naht geflickt war.
«Wo gibt es so was, wer flickt heutzutage noch Jute?», staunte die Koboldin.
Die ausgebleichte Jeans der Frau war wohl früher einmal schwarz gewesen, doch manche Leute können sich eben nie von ihren Klamotten trennen, die sie zur Darstellung ihrer tiefsten Philosophien brauchen. Wie peinlich, wenn sie jemand mit einem Durchschnittsmenschen verwechseln würde.
Die schwarzen Halbschuhe, die über den Absätzen mit Riemchen versehen waren und eher wie Zoccoli aussahen, machten auch nicht mehr den ungebrauchtesten Eindruck. In dem blaugrünen Kurzpulli hätten es sich durchaus zwei bequem machen können. Die Frau stand wohl nicht auf Körperbetontes, sinnierte Gertrude. Diese Bekleidung setzte eindeutig risikofreudige Männer voraus, die gewillt waren, die Katze im Sack zu kaufen, oder solche, die mehr Interesse am weiblichen Gesicht und an dem, was eine sagte, hatten. Es gab vielleicht sogar einige, die einfach nur auf die Ausstrahlung abfuhren.
Als nun Anna, so hiess die Weitgekleidete, den Kopf hob und Gertrude in die Augen schaute, da wusste diese, dass nicht nur Annas Kleider unüblich waren. Annas Blick war eindringlich und zugleich humorvoll leicht. Ihre Augen erinnerten an Bäume, im dunklen Wasser gespiegelt und von der Sonne fokussiert. Der nun lächelnde Mund drückte Entschlusskraft aus und liess gleichzeitig einen grosszügigen Hang zum Spott erkennen, durchaus fähig, diesen auch über die eigene Person ergehen zu lassen.
«Hallo», sagte Anna, ohne den Mund bewegt zu haben.
Sie sprach in Gedanken. Gertrude hockte völlig verdutzt unter ihrem Blatt und wollte bestimmt nicht begrüsst werden, denn sie hielt sich für unsichtbar, wenigstens, was die Menschen anbetraf. Doch diese Nervensäge hier liess nicht locker und stellte Fragen. Gertrude begann zu antworten und erzählte schliesslich hingebungsvoll von ihrer neuerlichen Obdachlosigkeit und konnte auch nicht logisch erklären, wieso sie unbedingt ein Plätzchen in einem Haus aus Stein wollte. Sie war eben eine spezielle Koboldin.
Anna bot ihr einen Platz in ihrer Stadtwohnung an, in einem Hängekorb mit einer dunkelgrünen vielblätterigen Pflanze darin, die noch keinen Geist beherbergte.
Gertrude nahm an.
Auf dem Heimweg, bei dem sich Gertrude an Annas Schulter festklammern musste, denn diese radelte im Pfeiltempo bergauf, dachte Anna plötzlich grinsend: «Ich habe heftigsten Liebeskummer, doch er verteilt sich auf zwei.»
«Er