Thomas Frick

SchriftZüge 14 eBook


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und dunkelblond, ich gehe gern ins Kino, der Film, der mir zuletzt am besten gefallen hat, heißt: Boxhagener Platz.

      Er nennt sich Second-Chance, woraus ich schließe, dass er nicht nur ein Scheitern hinter sich hat, sondern auch über einen gewissen Witz verfügt.

      Währenddessen laufen kleine Botschaften ein: Wir haben einiges gemeinsam, oder: Dein Foto gefällt mir, gefolgt von der Aufforderung: Triff mich im Chat. Die Männer geben sich erstaunliche Namen: ichwillnurdaseine und masterbohrer und schlingel, einer nennt sich robertredford, es gibt den klausi63 und den zausel und den knuddel. Ein seitensprungxxl schreibt mir, dass er gern erotische Erfahrungen mit mir austauschen möchte. Rechts auf der Seite tummeln sich all die altersmäßig passenden Männer, die gerade online sind, mit ihrem Pseudonym. Es ist ein wuselnder Haufen von Namen, dauernd tauchen neue auf, andere verschwinden, es sieht aus wie ein Mückenschwarm an einem heißen Sommerabend.

      Guten Abend, schreibe ich, a second für Mr Second-Chance.

      Er antwortet sofort. Klavierlehrerin sind Sie, schreibt er, ich wollte, ich könnte Klavier spielen.

      Er ist Zahnarzt, ich verstehe, dass er nicht von seinen Patienten identifiziert werden will, er lebt getrennt, seine Frau ist vor zwei Jahren mit dem Nachbarn durchgebrannt, den sie immer morgens beim Einkaufen traf, ein Hausmann wie sie eine Hausfrau, da gab es Berührungspunkte. Er hat drei Kinder, die bei ihm leben, ich auch. Er arbeitet zu viel, das bringt sein Job mit sich. Wo ist seine Frau jetzt, ist er traurig, nein, erleichtert, und ich, wie es bei mir aussieht nach der Trennung.

      Es geht wie von selbst, wir tanzen.

      – Warum treibt sich eine Frau wie Sie in einer solchen Partnerbörse rum? – Das Gleiche frage ich Sie. – Mir fiel die Decke auf den Kopf, Job plus Kinder, da komme ich nie raus, ich geh auch nicht allein abends ein Bier trinken. – Ich auch nicht, ähnliche Lage bei mir. –

      Ich sehe von meinem Fenster aus auf das Rathaus, er wohnt am anderen Ende der Stadt.

      – Wo kommen Sie her? – Aus Göttingen. – Da hatte ich mal eine Freundin, ist lange her, die wohnte in der Roten Straße. – Ich um die Ecke, in der Burgstraße. Gab es damals noch das Geschäft vom Kiffer-Klaus in der Roten Straße? – Nein, sagt mir nichts. Aber Cron & Lanz in der Weender. – Mmmmh, der Baumkuchen. Nichts für arme Studenten. - Ich sehe den Mond oben über den Dächern. – Ich auch, antworte ich, es ist sogar derselbe Mond. – Seltsame Vorstellung, wir gucken jetzt beide den Mond an. – Das ist ein bisschen, wie wenn man einen gemeinsamen Freund hat, obwohl man nichts voneinander weiß. –

      Mich macht das Alleinsein fertig, schreibt er, ich möchte wieder eine Frau spüren ... War ich jetzt zu direkt? Habe ich Sie verschreckt? Hallo, sind Sie noch da? – Nein, nicht verschreckt, ich höre nur die Sehnsucht heraus. – Haben Sie auch Sehnsucht, Sonatine?

      Mein Herz klopft und ich zögere einen Augenblick.

      Ja, tippe ich und halte die Luft an. – Wie schön, dass Sie das sagen. Geistreiche Leidenschaft, das wünsche ich mir. – Ja, schreibe ich, ich auch.

      Wir tanzen, er gibt den Impuls zu einem Schritt, ich habe die Distanz verringert, wir liegen Brust an Brust wie bei einem Tango, ich fühle seine Wange an meiner, es ist spät, meine Stirn sinkt auf seine Schulter. Mein Herz klopft. Ich glaube, diesen Mann zu kennen, schon ganz lange zu kennen, so vertraut sind wir miteinander, es sind erst zwei Stunden vergangen, seit ich ihm die ersten Worte geschickt habe, es ist zwölf Uhr nachts, ich muss morgen früh wegen der Kinder um sechs Uhr aufstehen.

      Wollen wir lieber Schluss machen für heute? – Ja, ist besser. Reden wir morgen weiter? – Ja. – Also, gute Nacht. – Gute Nacht. – Sind Sie morgen wieder da? – Ja, ich freu mich schon. – Ich mich auch, es war schön mit Ihnen. – Das finde ich auch. – Wir haben uns ziemlich weit aus dem Fenster gehängt, nicht? Bedauern Sie es, Sonatine? – Nein. – Ich auch nicht. Ich freu mich, wenn wir weiterreden morgen.

      Es geht noch eine Stunde lang, dann noch eine halbe. Wir können uns nicht trennen. Wir wollen nicht wieder zur Erde zurück, wir schweben losgelöst im Weltraum. Um Ade sagen zu können, muss ich seinen Namen wissen, damit ich mich daran festhalten kann. Michael, schreibt er, und Sie? – Christina.

      Danach sitze ich vor dem erloschenen Bildschirm des Computers wie vor einer erkalteten Feuerstelle. Ich weiß, dass ich nicht werde einschlafen können, ich habe einen Jetlag, denn gerade erst bin ich von einem Ausflug zur Milchstraße zurückgekommen, die Erde hat sich unter mir weitergedreht, aber nur wenig, messbar in drei oder vier Stunden nach unserer Uhr, während ich eine unendliche Weile ihrer Schwerkraft entwichen war. Ich habe dort einen fremden Stern gestreift und trage noch seinen Staub an mir, den ich einatme. Wir sind miteinander geflogen ohne Raum und Zeit, aber nun spüre ich meine eigene Schwere, als sei mein Körper mit Gewichten beladen.

      Bist du da, Christina, fragt er am nächsten Abend.

      Den Tag habe ich überlebt wie jeden anderen, die Kinder geweckt, Schulbrote geschmiert und heute dabei an die vergangene Nacht gedacht wie an einen heimlichen Liebhaber, ich habe zum ich weiß nicht wievielten Male den Fingersatz einer Goldberg-Variation verändert und mir danach Schuberts Impromptu in Ges-Dur vorgespielt, um meine Nerven ruhig zu halten. Erst die Klavierschüler am Nachmittag brachten mich mit ihren gewöhnlichen kleinen Aufregungen wieder ins Fahrwasser der Zeit.

      Hallo, antworte ich. – Wie war dein Tag?, fragt er.

      Er duzt mich, gestern haben wir uns gesiezt.

      Ich habe Schubert gespielt und Klavierschüler gehabt. –

      Ich habe schlecht geschlafen. – Ich auch, mir ging unser Gespräch im Kopf rum, ich konnte nicht abschalten. – Du hast mir eine schlaflose Nacht beschert, Christina. Bist du noch da? Bin ich wieder frech? - Ich will, dass er frech ist. Aber auf einmal muss ich wissen, wie er aussieht, damit es weitergehen kann.

      Ich warte auf das Foto, er wartet auf meinen Kommentar. – Na jaaaa, schreibt er kokett.

      Er ist ein schöner Mensch, seine Haare sind voll, sein Gesicht ist schmal und er schaut aus klugen Augen. Ich falle in diese Augen hinein und weiß nicht weiter. – Und?, fragt er. Ich möchte schreiben: Du bist schön. Stattdessen schreibe ich: Das Foto gefällt mir, du siehst jung aus. – Du aber auch, wie alt ist das Foto? – Vom letzten Jahr. – Meins auch.

      Ich stelle mir vor, wie der Mann, der dieses Gesicht trägt, in seiner Wohnung sitzt. Er ist allein in seinem Zimmer, seine Augen, die ich jetzt kenne, schauen aufmerksam auf den Bildschirm, auf mich, er ist bei mir, wir sind zusammen unterwegs, Nachtschwärmer. Über uns steht der Mond.

      Magst du mal mit mir ins Kino gehen?, fragt er.

      Ein freudiger Schreck fährt mir ins Herz: Wir werden uns sehen! Aber schon wird die Angst laut vor all der Schwere, die uns bevorsteht, dem Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken, den größeren und kleineren Schritten, und wie der Andere dabei mithalten kann. So wie wir einander Namen und Gesicht gezeigt haben, werden wir uns selbst preisgeben, wir haben angesetzt zum Landeanflug. Ich werde nicht von ihm enttäuscht sein, aber ich weiß, dass wir von vorn beginnen und unsere Vorstellungen wegwerfen müssen. Meine Sehnsucht, papierne Hülle um ein Nichts, wird zerreißen, und mein Bild von ihm als einem fernen nächtlich schimmernden Planeten, der ruft und lockt, wird im Licht verschwinden wie ein Traum. Vielleicht tauge ich nicht mehr für das richtige Leben, und vielleicht hat er sich an die Grenzenlosigkeit der Begegnungen gewöhnt, daran, zu einer Fremden von der Sehnsucht zu sprechen, einer Fremden, an der er am nächsten Tag auf der Straße unerkannt vorbeigehen wird.

      Bist du noch da, fragt er, wie wär’s mit Kino?

      Ich möchte mit ihm ausgehen, Nacht für Nacht, mit ihm Hand in Hand am Himmel unterwegs sein und das Leben träumen. Aber wir sinken bereits hinab.

      Ja gern, bald, schreibe ich und spüre mein Herz wie einen schmerzenden Klumpen.

       Elisabeth Richter lebt in der Prignitz.

       Studium der Pädagogik und Soziologie. Berufsjahre als Buchhändlerin, Internatslehrerin, Journalistin,