Hans Jürgen Kampe

Vatter - es kostet nix


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      Vor allem, weil sie so gerne führte. Auch dann, wenn sie einen der wenigen männlichen Exoten im Arm wiegte.

      6

      Am Abend nahm Hildegard Saurbier die Straßenbahn und fuhr in den Stadtteil, wo das Tanzlokal „Zum flotten Jäger“ lag.

      Eigentlich war es ja ein italienisches Restaurant mit hinterem Saal.

      Und diesen Saal mit hinterer Bühne mieteten einige Tanzschulen in Kassel, um ihre Mittel- und Abschlussbälle durchzuführen.

      Für den heutigen Abend hatte sich Fräulein Saurbier nochmal sehr fein rausgeputzt und ein älteres, festliches Kleid etwas kürzen und weiten lassen. Nur die schwarz glänzenden Tanzschuhe hatte sie neu gekauft.

      Am Vormittag durfte ihre Frisöse einige Stunden ein kleines Kunstwerk mit ihren Haaren verbringen, bevor sich Hildegard zu diesem besonderen Anlass noch ein neues, aufregendes Parfum anlegte.

      Sie war also gewappnet.

      Genauso wie ihre Freundin Alma, die aber eine sportliche Kombination von heller Hose und schwarzem Blazer auf weißer Bluse trug.

      Alma war mit ihrem alten, braunen VW Jetta mit Automatik auf dem Parkplatz des „Flotten Jägers“ angekommen, als sie ihre winkende Freundin sah. Die Abgasnorm des anti­quierten Autos kannten nur noch einige wenige Kinder aus dem Geschichtsunterricht.

      Beide Freundinnen betraten den Saal und setzten sich an einen der noch freien Tische. Auf den kleinen runden Tischen standen ältere Telefone mit Wählscheibe und grünem Samtüberzug.

      Denn außer den Bällen der Tanzschulen wurde Sonntag­nachmittag der beliebte Senioren Tanztee „Sie sucht ihn – er sucht sie“ abgehalten. Mit den Telefonen, hinter denen Schilder mit Nummern standen, konnten kontakt- und tanzwütige Senioren das Objekt ihrer Begierde anrufen und zu einem Tänzchen bitten.

      Neben den Telefonen standen auch kleine Stehlampen. Leuchtete die Lampe grün auf, war der am Tisch Sitzende frei und absolut willig. Leuchtete die Lampe rot auf, war die anvisierte Person gerade besetzt oder hatte keine Lust.

      Heute Abend fand für zwei Tanzschulen gemeinsam der Abschlussball statt. Entsprechend voll wurde der Saal in der nächsten Viertelstunde.

      Frau Riebezahl-Schondorf und Herr Pahlhuber-Hurnstein, der Tanzlehrer des anderen Kurses, hatten sich nicht lumpen lassen, und eine kleine drei Mann Kombo engagiert. Heute Abend also mit Live Musik. Wie aufregend.

      Die „3 Tornados“ bestanden aus einem Gitarristen, einem Organisten und einem Schlagzeuger. Auf dem Fell der Schlagzeugtrommel waren sinnigerweise drei verblasste Wirbelstürme mit lachenden Gesichtern abgebildet. Allerdings waren die „Tornados“ mittlerweile nur noch ein sehr laues Lüftchen.

      Die drei, auch schon in die Jahre gekommenen, Musikanten, trugen hellblaue Bühnenanzüge mit Schlag und Schulter­polstern aus den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Bei dem Gitarristen und dem Schlagzeuger spannten die Anzüge so, dass das Jackett offenbleiben musste. Und den Kopf des Organisten zierte ein fast echt wirkendes, schwarzes Toupet, unter dem ziemlich keck der kümmer­liche Rest eines grauen Haarkranzes‘ wie ein Nest hervor­lugte.

      Drei Mikrophone ließen befürchten, dass die drei Herren auch noch singen würden.

      Alma und Hildegard waren sichtlich nervös, als ein Tusch einsetzte und beide Tanzlehrer die Gäste begrüßten.

      Beide Freundinnen hatten sich bereits einen Piccolo bestellt, denn Fräulein Saurbier hatte enttäuscht festgestellt, dass leider kein Eierlikör angeboten wurde.

      Mit bereits geröteten Wangen lauschten die Beiden den Ausführungen der Tanzlehrer. Heute war dafür gesorgt, dass genügend Herren anwesend waren.

      Mit Hilfe von Getränkegutscheinen und einem Nachlass bei der Kursgebühr hatten Frau Riebezahl-Schondorf und Herr Pahlhuber-Hurnstein aus anderen Kursen so viel Herren abgeworben, dass das Verhältnis von Damen und Herren jetzt eins zu eins war.

      Höhepunkt des Abends sollte später eine Tombola sein, mit interessanten Preisen, die Kasseler Geschäftsleute gestiftet hatten.

      Frau Riebezahl-Schondorf trug sehr flache, schwarze Lack­schuhe, um die ein Meter einundachtzig nicht nennenswert zu überschreiten. Ihre Stimme erinnerte an eine ketten­rauchende Münsteraner Staatsanwältin. So als hätte sie mit Rohrreiniger gegurgelt. Herr Pahlhuber-Hurnstein hatte sich extra neue Schuhe im Internet bestellt, die ihn sieben Zentimeter verlängerten, sodass er in der Lage war, mit Frau Riebezahl-Schondorf zu tanzen, ohne eine Genickstarre zu kriegen. Seine quengelnde Stimme glich der von Homer von den Simpsons. „So ein Päarchen vergisst man nicht, meine Liebe“, flüsterte Alma Hildegard ins Ohr.

      Die Tanzlehrer baten alle Herren ohne Partnerin auf die eine Seite der Tanzfläche und alle Damen, die solo erschienen waren, auf die andere Seite.

      Der Ball begann mit einer Damenwahl.

      Alma, die Sportliche, erreichte knapp vor einer etwas korpulenteren Dame ihren Wunschpartner: Otto.

      Mitte siebzig, ziemlich schlank und gut erhalten, sehr breiter, glänzender Scheitel zwischen den stark behaarten Ohr­wuscheln. Der verbliebene Haarkranz war so übersichtlich, dass Otto jedes einzelne Haar mit Namen kannte. Die helle Hose hatte noch einen ordentlichen Schlag und der schwarze Blazer war mit rustikalen Schulterpolstern gefüttert. Leicht erhöhter Cholesterinspiegel, aber an­sonsten noch willig und belastbar.

      Fräulein Saurbier wurde kurz vor ihrem Zielobjekt von einer energischen Konkurrentin abgedrängt und landete bei Waldemar.

      Ebenfalls mitte siebzig, sehr gut entwickelter Bauch, aber auch noch relativ volle Haare, schwarzer Anzug. Und bereits jetzt schon durchtranspiriert. Der Bauch und das gerötete Gesicht ließen darauf schließen, dass Waldemar weder Probleme mit hopfenartigen Getränken noch mit zu niedrigem Blutdruck hatte.

      „Er hieß Waldemar, weil es im Wald geschah“, erinnerte sich Hildegard an den alten Gassenhauer aus ihrer Jugend, als sie Waldemar zum Tanz bat.

      Nach den ersten Tänzen ohne Ansage hatte sich Fräulein Saurbier durchgesetzt. Der dicke Waldemar ließ sich jetzt anstandslos führen.

      Alma gab sich gleich den gelenkigen Vorgaben von Otto hin, sodass beide Paare die erste Runde ohne Blessuren überstanden hatten.

      In der Pause fragten die beiden Kavaliere höflich, ob sie sich zu den beiden Damen an den Tisch setzten durften. Sie durften.

      Beide waren seit langen Jahren befreundet. Und beide waren verwitwet und kamen aus dem Kurs von Herrn Pahlhuber-Hurnstein. Nach dem Tod ihrer Frauen hatten ihnen ihre Kinder nach einer Anstandsfrist einen Tanzkurs geschenkt, damit sie wieder unter nette Menschen kamen. Denn Tanzen war gut für Körper, Seele und Gehirn, wie die Kinder sie motivierten.

      Die nächste Tanzsession klappte noch harmonischer. Vielleicht lag es ja auch an der glitzernden Discokugel, die sich unter der Decke drehte, Lichtsprenkel auf die ver­schwitzten Gesichter warf und alle zusätzlich motivierte.

      Hildegard war erstaunt, dass Waldemar trotz seiner Leibes­fülle ein wieselflinker, gelenkiger Tänzer war, der sich aber bedingungslos ihrer Führung unterwarf.

      Bei einigen Pärchen ging es allerdings nicht ganz so harmonisch zu. Sie stritten offensichtlich, welcher Tanz nun gemeint war, welcher Fuß zuerst kommt und wer führen durfte.

      „Das sind bestimmt ziemlich alte Paare“, meinte Alma lachend, als sie sich beim Disco Fox mit drei peppigen Schritten auf Otto zubewegte, um dann in eine Drehung abzugleiten.

      In der nächsten Pause wurden Lose verkauft. Alle vier Tischpartner kauften je drei Stück.

      Die ersten zwei waren wie immer Nieten. Aber beim dritten Los krachte es richtig.

      Der dicke Waldemar hatte passenderweise einen Gutschein für ein Essen zu zweit in einem bekannten Kasseler Restaurant gewonnen.

      Alma wusste sofort, dass sie den gewonnenen Golf Schnupperkurs ihrem Sohn Klaus schenken würde.

      Ottos