Dagmar Isabell Schmidbauer

Und dann kam das Wasser


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      Am Nachmittag, als abzusehen gewesen war, dass sie später als verabredet nach Hause fahren musste, hatte sie ihm in aller Eile eine SMS geschrieben und ihn gebeten, in ihrer Wohnung auf sie zu warten. Kannst ja schon mal alles vorbereiten, hatte sie rasch getippt, einen Smiley drangehängt und sich gefreut. Auf ihn und darauf, dass es mit ihm nie langweilig wurde.

      Tatsächlich war ihre Beziehung noch immer genauso aufregend wie vor gut einem Jahr, als sie sich kennengelernt hatten. Damals hatte Franziska mit ihrem Kollegen Hannes im Fürstbischöflichen Opernhaus im Fall einer ermordeten Sängerin ermittelt, und Walter hatte zu den Hauptverdächtigen gezählt. Zunächst. Nach und nach hatte sich nämlich herausgestellt, dass Walter die Tote zwar gekannt und wahrscheinlich auch begehrt, aber definitiv nicht erschlagen hatte.

      Was dann aber passiert war, klang auch heute noch wie aus einem billigen Groschenroman. Kaum war die Kommissarin den Umgarnungen des Bühnenkünstlers erlegen, wurde er auch schon in einen weiteren Mordfall verwickelt. Diesmal im Fürstenkeller des Oberhauses, wo Walter von der Museumsdirektorin für die Gestaltung einer historischen Wand engagiert worden war. Glücklicherweise hatte er jedoch auch mit diesem Mordfall nichts zu tun, daher stand ihrer Liebe seit der ersten gemeinsamen Nacht in den Kulissen von „Frau Luna“ nichts mehr im Wege. Außer vielleicht, dass Walter als Mann völlig unberechenbar war und als Künstler andauernd nackte Frauen porträtierte, die er durch seine ganz eigene Art zum Leuchten brachte.

      Gerade jetzt fand Franziska sein Benehmen allerdings weder reizvoll noch unberechenbar, sondern einfach nur unmöglich. Wie konnte er sie nur versetzen! Wo sie sich doch so auf ihn …

      Mitten im Gedanken hielt Franziska inne. Aus dem Augenwinkel hatte sie ein Flackern wahrgenommen, und als sie den Kopf drehte, sah sie durch den Türspalt ein orangefarbenes Licht in den Flur scheinen. Das kam aus dem Wohnzimmer.

      Alarmiert schoss sie herum. Hatte der Dauerregen vielleicht einen Kurzschluss ausgelöst und stand, während sie ihr Hirnschmalz an einen eitlen Hallodri verschwendete, vielleicht schon die halbe Wohnung in Flammen? Witternd hob sie die Nase, konnte aber keinen Rauch riechen.

      Dann ein Einbrecher, war ihre nächste Vermutung und der Grund, warum sie mit geübtem Griff die Heckler & Koch aus dem Holster zog, die Waffe entsicherte und leise den Flur entlang schlich.

      Sie hätte später nicht sagen können, womit sie eigentlich gerechnet hatte, aber es war sicher nicht das, was sich in diesem Moment vor ihren Augen abspielte: Der große Tisch, an dem sie normalerweise aß und arbeitete, war ganz an die Wand gerückt worden. Die beiden Korbstühle standen obendrauf, die anderen waren untergeschoben. Bücherregal und Fernseher wurden von einem großen Paravent verdeckt, den eine aufgemalte Hügellandschaft zierte. Die Vorhänge vor dem Fenster waren zugezogen, das Sofa umgekippt und mit einem grauen Stoff verhängt, sodass es an einen massiven Felsen erinnerte. Mitten im Zimmer stand ein Baum, der mit seinen blattlosen Ästen die Decke zu stützen schien. Auf dem Boden lagen dicke Tierfelle, daneben flackerte in einem Feuerkorb eben jenes künstliche Feuer, dessen Flammen sie schon im Flur wahrgenommen hatte. Mittendrin lag ein großer schöner Mann, splitterfasernackt, bis auf ein grobes Tuch, das er sich um die Mitte geschlungen hatte. Auffordernd hielt er ihr einen schweren, prunkvoll verzierten Kelch entgegen.

      „Zur Strafe für dein Zuspätkommen musst du den Sühnetrunk zu dir nehmen“, erklärte er mit strenger Miene.

      Ein Schauer lief Franziska den Rücken hinunter. Nicht wegen der Strafe; die hätte sie gern auf sich genommen. Es lag an Walters perfekt definiertem Oberkörper, von dem sie den Blick nicht wenden konnte und der sie sofort schwach werden ließ.

      „Was ist das?“

      Franziska steckte ihre Pistole wieder ins Holster und kniete sich neben Walter auf eines der Felle. Neugierig schnupperte sie an der Flüssigkeit in dem Kelch, den der Bühnenkünstler ihr in die Hand gedrückt hatte. Sie roch nach Wein und irgendwelchen fremdländischen Gewürzen.

      „Trink!“, befahl Walter mit gespieltem Ernst. „Danach wirst du mir hemmungslos verfallen, und nichts wird mehr sein, wie es einmal war.“

      Franziska grinste und rückte noch ein bisschen näher. „Sagt wer?“

      „Tristan.“

      „Isoldes Tristan?“

      „Sehr gut.“ Walter sprach immer noch mit dieser gekünstelten tiefen Stimme. „Du kennst dich aus. Dann weißt du sicher auch, dass wir uns beeilen müssen, weil es sonst zu spät für uns ist.“

      „Musst du weg?“ Franziska warf einen Blick auf die Uhr. Halb neun schon.

      „Jetzt sei doch nicht so unromantisch“, mahnte Walter, mit gewohnter Stimme, und erhob sich, um sich ihr gegenüber zu knien. Dann räusperte er sich und veränderte seine Stimme erneut. „Du bist König Marke von Cornwall versprochen, meinem Onkel“, erklärte er voller Ernst, fasste sie bei den Schultern und schüttelte sie vorsichtig. „Nachdem ich deinen Verlobten im Kampf getötet habe, soll ich dich nun zum König bringen, damit er dich heiraten kann. So lautet die Vereinbarung.“

      „Und, äh … will ich das?“ Franziska rutschte auf den Knien süffisant lächelnd auf Walter zu und berührte mit ihrer freien Hand zärtlich seine nackte Brust.

      „Nicht mehr, wenn du diesen Trank zu dir genommen hast“, erklärte Walter grimmig und deutete mit dem Kopf auf den Kelch in ihrer anderen Hand. Dann grinste er lüstern und flüsterte: „In der Geschichte war es übrigens umgekehrt. Da sollte Tristan den Sühnetrunk nehmen, aber schließlich bist du ja zu spät gekommen.“

      „Und du meinst, wenn ich das trinke, vergesse ich alles um mich herum?“ Franziska führte den Kelch zum Mund, trank aber nicht.

      „Ja.“

      „Das wäre ja wunderbar. Weißt du, bei uns war heute der Teufel …“

      „Den wollen wir noch nicht rufen, der kommt später. Jetzt musst du trinken.“

      Franziska nippte an der blutroten Flüssigkeit. „Hmmm! Das schmeckt ja lecker. Was ist da drin?“ „Ein Liebeselixier.“

      „Uhh. Igitt.“ Franziska verzog das Gesicht. „Du meinst Schlangen, Nashornhoden und Yak-Penis?“

      Walter lachte hell auf. „Warum musst du eigentlich immer alles so genau wissen? Nimm lieber noch einen Schluck.“

      Franziska trank, bis ihr etwas einfiel. „Sag mal, hat nicht Isolde mit Tristan gemeinsam getrunken, weil sie mit ihm sterben wollte, und nur weil die Dienerin den Todestrunk gegen einen Liebestrunk ausgetauscht hat, haben sie sich verliebt statt tot umzufallen?“

      Walter zuckte mit den Schultern. „Was du alles weißt.“

      Franziska reichte ihm den Kelch und stand auf. „Du bist dran. Trink!“, hauchte sie, legte das Holster ab und begann sich schmunzelnd die Bluse aufzuknöpfen.

      Aber Walter tat nichts dergleichen. Stattdessen starrte er sie an. „Merkst du denn schon, wie er wirkt?“, fragte er skeptisch.

      Franziska schüttelte den Kopf und ließ die Bluse zu Boden gleiten. „Quatsch, so schnell wirkt das doch nicht“, sagte sie, obwohl sie überrascht bemerkte, dass der Trank ihre Stimmung zu heben schien. Sie öffnete ihre Jeans und schob sie sich langsam über die Hüften. „Na los, du musst auch trinken“, forderte sie und lächelte verführerisch.

      Aber anscheinend war Walter noch nicht überzeugt. „Wie fühlst du dich?“, fragte er zögernd, als Franziska die Hose von den Beinen streifte und mit einem beherzten Schlenker des Fußes in die Zimmerecke schleuderte.

      „Großartig.“ Sie trug nicht mehr als das sündige Set aus schwarzer Spitze, das mehr verriet als verbarg und das ihr Walter anlässlich ihres Halbjährigen geschenkt hatte. Er verschlang sie mit seinen Blicken, als sie sich auf die Knie sinken ließ und geschmeidig wie eine Wildkatze auf ihn zu kroch.

      Walter grinste. „Hemmungslos?“

      „Ja-haa!“ Franziska setzte sich rittlings auf seinen Schoß, führte ihm den Kelch an die