Ana Marna

Wandlerin


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wieder wurden Männer aus ihren Käfigen gezerrt. Nur wenige kehrten zurück. Einige vegetierten still vor sich hin, andere verwandelten sich vor ihren Augen in fellbedeckte, wolfsähnliche Riesen, die knurrend und geifernd gegen die Metallgitter angingen, bis sie von den Elektroschockern gebändigt wurden. Einer der Männer blieb mitten in der Verwandlung stecken und wurde gnadenlos mit mehreren Kugeln niedergestreckt.

      Sie verlor den Überblick, wie viele der geschundenen Kreaturen starben und wie viele von ihrem Meister in den Bann geschlagen wurden und ihm folgten.

      Inzwischen hatte sie akzeptiert, dass ihr Meister so etwas wie ein Vampir war. Eine andere Bezeichnung fiel ihr einfach nicht ein. Dass er Blut trank, sprach ja schließlich dafür.

      Doch viel mehr fürchtete sie sich vor seinem Bann. Dieser war so zwingend, dass man sich ihm nicht widersetzen konnte. Daher wunderte es sie nicht, dass die armen Kreaturen seinen Befehlen widerstandslos gehorchten.

      Warum er sie selbst nicht dazu zwang, war ihr noch nicht klar. Der Bann funktionierte schließlich auch bei ihr, das hatte sie ja schmerzvoll erfahren.

      Von ihrem Foltermeister hatte sie vor einigen Stunden gehört, dass der Meister gerade ein neues Spielzeug hatte und sich danach wieder voll und ganz ihr widmen würde. Anschließend hatte er sie gut gelaunt mit seinem Lieblingsgerät malträtiert und verspottet.

      Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was dieser arme Mensch, der als „Spielzeug“ bezeichnet wurde, gerade durchmachen musste. Wenn sie doch nur helfen könnte! Aber da waren diese verfluchten Gitterstäbe und dieser ekelhafte Bewacher.

      In ihrem ganzen Leben hatte sie noch niemanden gehasst, doch sie war sich sicher, dass ihre Gefühle für diesen brutalen und sadistischen Kerl dem Hass ziemlich nahekamen.

      Sie hatte zwangsläufig viel Zeit nachzudenken und sich in den letzten Tagen zu dem Entschluss durchgerungen, diesem Menschen den Tod zu wünschen. Vielleicht hatte er ebenso Schlimmes durchgemacht wie sie oder ihre Mitgefangenen. Vielleicht hatte er allen Grund, so brutal und herzlos zu sein. Doch in seinen Augen las sie jedes Mal, wie er diese Macht genoss. Die Macht, andere zu quälen, sie unter Kontrolle zu halten. Und er würde niemals damit aufhören, davon war sie mittlerweile überzeugt.

      Als er an diesem Abend den Raum betrat, grinste er wie so häufig selbstgefällig in die Runde.

      „Ah, der Meister ist heute gut gelaunt. Bald hat er wieder Zeit, sich mit euch zu beschäftigen.“

      Er trat zu ihrem Käfig und zwinkerte ihr zu.

      „Er will dich wieder testen. Das wird bestimmt ein Riesenspaß für dich.“

      Sie schwieg. Das war im Moment die beste Strategie. Es würde sie zwar nicht vor Misshandlungen schützen, doch zumindest seine Reaktion weniger eskalieren lassen. Er mochte es, wenn man sich hilflos gab.

      Doch dieses Mal kam er nicht dazu, ihr weh zu tun.

      Lautes Heulen und Gebrüll drang durch die offene Tür aus dem Gang zu ihnen herein. Der Bewacher fuhr herum und wirkte mit einem Mal gar nicht mehr so fröhlich.

      Fluchend eilte er nach draußen. Sie lauschte und war sich ziemlich sicher, dass die lauten Schreie auf einen Kampf hindeuteten.

      War das ihre Rettung? Sie blickte auf ihre Hände, die gerade menschlich aussahen. Würde sie ihr Monster geheim halten können? Wohl kaum. Wer auch immer siegte, keiner würde ihr freundlich gesinnt sein.

      Die plötzliche Veränderung in ihr war fast gar nicht spürbar, doch in letzter Zeit hatte sie ihren Körper und ihre Empfindung so gut kennengelernt wie noch nie. Atemlos lauschte sie in sich hinein. Konnte es sein? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.

      Entschlossen trat sie vor und ihre Finger legten sich um die dicken Stahlstangen.

      Nichts passierte.

      Kein Drang, sich zu verletzen. Keine Wandlung.

      Hoffnung durchflutete sie. Der Bann war verschwunden. Warum auch immer. Und dies war vermutlich die einzige Chance zur Flucht, die sie je haben würde.

      Die Wandlung setzte übergangslos ein und sie spannte die Muskeln an. Sie war stark. Stärker als jeder hier im Raum, das hatte ihr Meister inzwischen herausgefunden. Nicht umsonst waren ihre Wächter immer zu dritt, wenn sie den Käfig betraten. Aber reichte es, um diese Stäbe zu verbiegen?

      Ihre Muskeln spannten sich an und sie biss entschlossen die Zähne zusammen.

      Es war knapp. Verzweifelt spürte sie, wie die Stäbe kurz davor waren, nachzugeben, doch der letzte Schub fehlte noch. Ihre Muskeln schrien vor Schmerz, aber sie gab nicht nach. Verzweiflung, Angst schwappten in ihr hoch.

      Sie musste es schaffen!

      Mit einem Mal flutete neue Energie durch sie hindurch und die Stäbe verbogen sich. Knirschend lösten sie sich aus den oberen Verankerungen und schafften Platz für ihren Körper.

      Ohne zu zögern, quetschte sie sich durch die Gitterstäbe und sah zu ihren Mitgefangenen. Die betrachteten sie aus weit aufgerissenen Augen.

      In diesem Moment stürzte ihr Bewacher in den Raum, Panik im Blick. Erst als er kurz vor ihr stand bemerkte er, dass sie frei vor ihm stand. Instinktiv streckte er seinen Stab aus, aber diesmal wischte sie ihn mit einer nachlässigen Bewegung zur Seite.

      Auch in ihr machte sich der Instinkt breit.

      Sie wollte leben! Und dieser Sadist stand ihr im Weg.

      Mit einem Fauchen sprang sie ihn an und verbiss sich in seiner Kehle. Gurgelnde Schreie drangen aus seinem Mund und verstummten dann. Sie ließ den reglosen Körper fallen und sah wieder in die Runde.

      Ausnahmslos alle drängten sich eng an die hinteren Gitterstäbe.

      Sie trat an einen der Käfige heran und deutete auf die Stäbe. Der Gefangene schüttelte heftig den Kopf.

      „Komm mir nicht zu nahe!“, krächzte er.

      „Ich will helfen“, versicherte sie und versuchte, ihrer Stimme einen beruhigenden Klang zu geben. Doch ihr Anblick war offenbar nicht vertrauenerweckend genug. Sie schmeckte Blut und Gewebe an ihren Lippen und von ihren Klauen tropfte es dunkelrot auf den Boden.

      „Verschwinde“, zischte er. „So wie sich das anhört, werden wir gleich gerettet.“

      Wieder erklangen Schreie. Die Zeit lief ihr davon.

      „Ich wünsche euch Glück“, flüsterte sie und rannte los, den Gang entlang, fort von den Schreien.

      Sie gelangte in einen großen Raum, der offenbar als Lagerraum diente. Instinktiv griff sie nach einem dicken Mantel und Stiefeln, die auf einem Haufen vor einem Regal lagen. Gehortete Habseligkeiten der verlorenen Seelen in dieser Hölle, erkannte sie schaudernd. Eine weitere Tür führte in einen schmalen Gang, der schnurgerade durch nackten Fels getrieben war und vor einer dicken Stahltür endete.

      Wieder flackerte Verzweiflung in ihr hoch, die sofort von Zorn überschwemmt wurde. Sie würde hier nicht sterben!

      Ihre Krallen bohrten sich in das Metall, und sie riss und zerrte mit all ihrem Zorn und ihrer Kraft, bis die Tür mit einem Kreischen aus dem Stein brach und scheppernd zur Seite fiel. Dann starrte sie nach draußen in eine tiefdunkle Nacht. Nur weit oben konnte sie im Sternenlicht die düsteren Gipfel einer Gebirgskette ausmachen. Ein scharfer Wind schlug ihr entgegen und es roch nach kaltem Fels und Schnee. Wo war sie?

      Ihre feinen Sinne nahmen Geräusche wahr, die ihr verrieten, dass man ihr auf den Fersen war. Kurz schwappten Trauer und Schuldgefühle in ihr hoch. Sie hatte einen Menschen getötet und ihre Mitgefangenen wehrlos zurückgelassen.

      Auch wenn der eine gehofft hatte, gerettet zu werden, sicher war das nicht.

      Entschlossen trat sie nach draußen. Wo auch immer sie jetzt war, sie würde sich nicht fangen lassen!

       Eine unfreiwillige Rekrutierung