Irene Dorfner

Der Heinrich-Plan


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Örtlichkeiten. Sabrina hatte den Weg sehr gut beschrieben. Nach wenigen Minuten standen sie vor dem Steg, der zu dem Platz führte, wo die Strandpartys stattfanden. Im Sand war eine riesige Tanzfläche aus Holz. Auf dem riesigen Tisch daneben wurde ganz sicher die Musikanlage aufgebaut. An drei Stellen befanden sich verschiedene Bars, die jeweils locker fünfzig Personen Platz boten. Überall dazwischen standen abgedeckte Strandkörbe.

      „Der Platz ist sehr schön. Von hier aus kann man direkt zum Strand gehen,“ rief Anna begeistert. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, hier zu feiern. Sieh dich um! Hier stört man niemanden.“

      Sie besahen sich den Partyplatz und das Hotel von allen Seiten. Sie gingen den Strand ab und nahmen auch die Straße vor dem Hotel unter die Lupe. Anna machte mit ihrem Smartphone jede Menge Bilder.

      Dann war es Zeit, ein Taxi zu rufen und zum Flughafen zu fahren. Der wenige Schlaf, die frische Luft und die Aufregung weckten in Leo die Hoffnung, dass er vielleicht während des Fluges etwas schlafen konnte. Sobald er im Flugzeug saß, ging es ihm wieder schlecht und die Müdigkeit war verflogen. Panik stieg in ihm auf, als das Flugzeug abhob.

      5.

      Der Rückflug war sehr ruhig. Anna schlief, während Leo angeschnallt und ohne sich zu bewegen auf seinem Sitz saß. Zitternd und erleichtert stieg Leo in München aus dem Flugzeug und war stolz auf sich: Auch diesen Flug hatte er überlebt.

      Leo und Anna fuhren direkt ins Büro. Es war in Sylt schneller gegangen, als sie gedacht hatten. Am Flughafen Sylt mussten sie nur wenige Minuten warten, bis ihr Flugzeug startete und sie waren daher gegen 16.00 Uhr bereits wieder in Ulm. Obwohl sie beide müde und erschöpft waren, kam es nicht in Frage, jetzt schon Feierabend zu machen. Sie waren gespannt darauf, ob sich in der Zwischenzeit irgendetwas Neues ergeben hatte. Auch waren sie neugierig, wer alles auf der Liste der Hafenbehörde Sylt aufgeführt war und mit seinem Boot dort zur fraglichen Zeit angelegt hatte. Sie waren nur noch wenige Minuten vom Präsidium entfernt, als Leos Handy klingelte. Es war Stefan Feldmann.

      „Hallo Leo. Ich bin hier in dem abgesperrten Areal auf der Schwäbischen Alb, wo wir den Toten gefunden haben. Wir versuchen, hier unsere Arbeit zu machen. Hier ist eine Frau von Kellberg, die unbedingt mit einem Medium das Areal betreten möchte. Ich gebe auf keinen Fall mein Okay dafür. Bitte klär das so schnell wie möglich ab.“

      „Willst du mich verarschen?“

      „Keineswegs, ich verstehe das auch nicht. Diese Frau von Kellberg macht keine Probleme, die steht am Rand. Aber dieses Medium will auf das abgesperrte Gelände. Mir ist egal, wer das ist. Keiner betritt das Gelände ohne, dass du das persönlich abgesegnet hast.“

      Leo hörte deutlich Stefans Verärgerung, die er durchaus nachvollziehen konnte. Was sollte das?

      „Alles klar. Ich komm so schnell wie möglich.“

      „Beeile dich, bevor ich gegenüber den Damen ausfällig werde. Lange kann ich mich nicht mehr zurückhalten.“

      Leo bremste den Wagen und lenkte ihn in eine andere Richtung.

      „Das war eben Stefan, wir haben ein Problem auf der Schwäbischen Alb. Frau von Kellberg und ein Medium möchten auf das abgesperrte Areal.“

      „Ein was?“, fragte Anna ungläubig.

      „Ein Medium. Ich bin mir auch nicht sicher, was das zu bedeuten hat. Auf jeden Fall ist Frau von Kellberg vor Ort. Wenn das so ein Psychoquatsch ist, mit dem das Fernsehen vollgestopft ist, dann kann das lustig werden.“ Leo war enttäuscht und verärgert, denn er hielt Frau von Kellberg für eine vernünftige Frau. Er musste umgehend herausfinden, was das zu bedeuten hatte.

      Kurze Zeit später parkten die beiden den Wagen und machten sich auf zum Fundort der Leiche. Sie mussten sich beeilen, denn die Zeit und somit die Dunkelheit saßen ihnen im Nacken. Anna hatte die falschen Schuhe an. Sie hätte nicht die hochhackigen Stiefel anziehen sollen! Sie schimpfte ständig vor sich hin, wollte es sich aber nicht nehmen lassen, Leo zu begleiten. Er hatte sie mehrmals aufgefordert, auf ihn am Wagen zu warten, die Strecke war mit vernünftigen Schuhen schon schlecht zu gehen. Leo war sauer und Anna neugierig, sodass die beiden die Strecke trotz der Umstände in 40 Minuten schafften.

      Schon von weitem konnten sie mehrere Personen ausmachen, die heftig miteinander diskutierten. Leo erkannte Stefan, der wild mit den Händen gestikulierte. Er war 1,75 Meter groß, die wilden schwarzen, kurzen Locken umrahmten sein hübsches Gesicht. Leo kannte ihn schon, seitdem er in Ulm war, und das waren gut vier Jahre. Er schätzte seinen Kollegen sehr und wusste, dass es nicht mehr lange dauerte, bis ihm der Geduldsfaden riss. Neben Stefan stand Frau von Kellberg, die dritte Person musste das „Medium“ sein, was auch zu der chaotischen Kleidung passen würde. Es handelte sich bei der Frau um eine kleine, rundliche Person Mitte 60 mit weißen, langen Haaren, in denen ein langes, rotes Tuch eingebunden war, das fast bis zum Boden reichte. Sie trug ein langes, weißes Kleid und eine riesige Kette mit roten Glaskugeln. Leo war zwar kein Schmuckkenner, aber bei dieser Größe musste es sich um Glas handeln. Wenn diese Steine echt gewesen wären, hätte „das Medium“ ein paar Security-Leute gebraucht. Abseits des Geschehens waren vier Polizisten der Spurensicherung bei der Arbeit, sahen aber immer wieder interessiert zu den Diskutierenden. Mittlerweile war es 17.45 Uhr.

      „Guten Abend, Frau von Kellberg. Können Sie mir bitte erklären, was hier vor sich geht?“ Leo war außer Atem und stinksauer. Er nickte Stefan nur kurz zu, der sehr erleichtert war, dass er endlich hier war.

      „Guten Abend, Herr Schwartz. Bitte entschuldigen Sie, aber das hier ist wirklich sehr wichtig für mich. Ich arbeite schon seit einiger Zeit mit Madame Esmeralda zusammen. Sie ist ein Medium und verfügt über Fähigkeiten, die über die normale Vorstellungskraft hinausgehen. Wir wollen den Fundort der Leiche meines Sohnes abgehen, aber dieser Polizist hindert uns daran.“ Frau von Kellberg war sehr aufgebracht und Leo versuchte, ihr die Situation zu erklären.

      „Selbstverständlich hindert er sie daran. Er hat den Auftrag, das Gelände nicht nur abzusuchen und eventuelle Spuren zu sichern, sondern auch Unbefugte daran zu hindern, das abgesperrte Areal zu betreten. Er muss Unbefugte davon abhalten, dass Spuren durch deren Aufenthalt vernichtet werden oder Spuren dazukommen, die uns nur unnötig aufhalten.“

      Erschrocken sahen sich Frau von Kellberg und Madame Esmeralda an, daran hatten sie nicht gedacht.

      „Wir müssen trotzdem darauf bestehen, dass Madame das Gelände abgeht. Nur dadurch kann sie Kontakt zu meinem Sohn aufnehmen und irgendetwas wahrnehmen, das uns zum Mörder von Maximilian führt. Je frischer die Spuren sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Madame etwas wahrnehmen kann.“ Sie sah zu Madame Esmeralda, die heftig nickte. „Ich möchte nur, dass Madame das Gelände abgeht. Wir machen nichts kaputt und nehmen auch nichts mit. Sie können selbstverständlich das Ganze überwachen,“ sagte Frau von Kellberg völlig verzweifelt.

      Leo runzelte die Stirn. Das war genau das, was er erwartet hatte. Irgendetwas Übersinnliches, an das er sowieso nicht glaubte. Er sah aber auch die Verzweiflung in Frau von Kellbergs Augen und wandte sich Stefan zu.

      „Welches Gebiet habt ihr schon fertig?“

      „Von hier vorn bis zum Fundort der Leiche, bis rüber zu der Baumreihe,“ zeigte er mit dem Finger.

      „Wenn Ihnen das Stück ausreicht, das mein Kollege gerade gezeigt hat, dann können Sie loslegen, Frau Esmeralda.“

      Stefan war zwar nicht begeistert, aber er war auch neugierig, was dieses Medium jetzt wohl vorhatte. Er setzte sich zu seiner Freundin Anna, die sich völlig außer Atem auf einen dicken Ast gesetzt hatte. Beide warteten gespannt darauf, welches Schauspiel ihnen jetzt geboten wurde.

      Frau von Kellberg strahlte Leo erleichtert an. Madame, die bisher kein einziges Wort gesagt hatte, sagte mit ihrer dunklen, rauen Stimme „Vielen Dank“.

      Madame ging langsam über das Gelände, breitete dabei die Arme aus, wobei die Handflächen nach oben zeigten. Sie hatte die Augen geschlossen und den Kopf gen Himmel gerichtet. Trotzdem ging sie kreisförmig um