Bootshaken aus und packte sie dann.
»Haltet euch fest!« rief er den Kleinen zu; denn im selben Augenblick machte die Brücke eine große Wendung, und es krachte in den Planken.
Aber die gebrechliche Brücke hielt, und der große Ingmar brachte sie aus der ärgsten Strömung hinaus, dann ließ er sie los; denn er wußte, daß sie jetzt von selbst ans Ufer treiben würde.
Wieder stieß er die Stange fest in den Grund und wandte sich um, um selbst an Land zu gehen. Aber er hatte einen großen Balken nicht beachtet, der dahergesaust kam. Der prallte gegen ihn und traf ihn in die Seite, gerade unter den Arm.
Es war ein entsetzlicher Stoß; der Balken war mit mächtiger Wucht dahergesaust, und der große Ingmar schwankte im Wasser hin und her. Aber er ließ den Bootshaken nicht los und gelangte an Land. Als er wieder am Ufer stand, wagte er kaum, seinen Körper zu befühlen; der ganze Brustkasten war gewiß zertrümmert. Sein Mund füllte sich plötzlich mit Blut. »Jetzt ist es mit dir aus, großer Ingmar,« dachte er. Er konnte keinen Schritt weitergehen, sondern sank am Ufer nieder.
Die kleinen Kinder, die er gerettet hatte, schrien so laut, daß Leute kamen und er nach Hause geschafft wurde.
Vom Ingmarshof wurde nach dem Pfarrer geschickt. Der blieb den ganzen Nachmittag dort oben. Als er am Abend nach Hause kam, ging er zu Schulmeisters hinüber. Er hatte im Laufe des Tages etwas gehört, worüber er sich aussprechen mußte.
Der Schulmeister und Mutter Stina waren sehr betrübt, denn sie hatten schon gehört, daß Ingmar Ingmarsson tot war. Der Pfarrer dahingegen kam mit leichten Schritten gegangen. Es lag etwas so Lichtes und Klares über ihm, als er zu ihnen in die Stube trat.
Der Schulmeister fragte gleich, ob er noch rechtzeitig gekommen sei. – »Ja,« sagte der Pfarrer, »aber dort hatte man keine Verwendung für mich.« – »Nein?« fragte Mutter Stina. – »Nein,« sagte der Pfarrer und lächelte geheimnisvoll. »Er konnte ebensogut ohne mich fertig werden.«
»Es kann manchmal sehr schwer sein, an einem Sterbebett zu sitzen,« sagte der Pfarrer. – »Jawohl, jawohl,« nickte der Schulmeister. – »Ja, und namentlich, wenn es der erste Mann im Dorfe ist, der stirbt.« – »Ja, freilich.« – »Aber alles kann auch ganz anders sein, als man es sich gedacht hat.«
Dann schwieg der Pfarrer eine Weile und saß da und starrte vor sich hin, seine Augen leuchteten etwas heller als sonst hinter der Brille.
»Haben Sie, Storm, oder Sie, Mutter Stina, von dem Wunderbaren gehört, das dem großen Ingmar begegnet ist, als er noch jung war?« sagte der Pfarrer. – Der Schulmeister antwortete, sie hätten ja soviel von ihm gehört. – »Ja, natürlich, aber dies ist doch das Allermerkwürdigste.«
»Der große Ingmar hat einen guten Freund, der Häusler auf seinem Hof ist,« sagte der Pfarrer. – »Ja, das weiß ich,« sagte der Schulmeister, er heißt auch Ingmar, die Leute nennen ihn den starken Ingmar, um einen Unterschied zu machen.« – »Ja, der ist es,« sagte der Pfarrer, »der Vater nannte ihn Ingmar zu Ehren seines Herrn.«
»Aber da geschah es einmal, als der große Ingmar noch jung war, es war im Hochsommer und an einem Sonnabendabend, und er und sein Freund, der starke Ingmar, waren mit ihrer Arbeit fertig. Da zogen sie ihre Sonntagskleider an und gingen in das Kirchdorf hinab, um sich einen vergnügten Abend zu machen.«
Der Pfarrer hielt inne und saß still da und dachte nach. »Ich kann mir denken, was für ein herrlicher Abend das gewesen sein muß,« sagte er. »Ganz still mit klarer Luft, so ein Abend, wo Erde und Himmel die Farben vertauschen, so daß der Himmel gleichsam in Lichtgrün übergeht, und die Erde von leichten Nebeln bedeckt wird, die allem einen weißen oder bläulichen Schimmer verleihen.
Aber als der große Ingmar und der starke Ingmar hinabkamen und über die Flußbrücke gehen wollten, war es, als sage jemand zu ihnen, sie sollten ihre Augen erheben. Das taten sie. Sie sahen den Himmel über sich offen. Die ganze Himmelswölbung war wie ein Vorhang zur Seite gezogen, und die beiden standen Hand in Hand da und sahen hinein in all die Herrlichkeit des Himmels.
Haben Sie je etwas Ähnliches gehört, Mutter Stina und Sie, Storm?« sagte der Pfarrer. »Die beiden, der große Ingmar und der starke Ingmar, standen dort auf der Brücke und sahen den Himmel offen.
Ich glaube, sie haben niemals zu Fremden darüber gesprochen, aber es ist ihr größter Schatz und ihr unantastbarstes Heiligtum gewesen, daß sie die Herrlichkeit des Himmels geschaut haben. Sie haben eigentlich nie zu jemand davon gesprochen, sondern nur zu ihren Kindern und den nächsten Angehörigen gesagt, daß sie einmal dort auf der Brücke gestanden und den Himmel offen gesehen hätten.«
Der Pfarrer saß wieder eine Weile da und sah vor sich nieder, dann seufzte er tief. »Ich habe noch nie von so etwas erzählen hören,« sagte er. Seine Stimme zitterte ein wenig, als er fortfuhr: »Ich hätte gern dort auf der Brücke mit dem großen Ingmar und mit dem starken Ingmar gestanden und den Himmel offen gesehen. –
Nun heute, sobald sie den großen Ingmar heim auf dem Hof geschafft hatten,« sagte der Pfarrer, »bat er, daß nach dem starken Ingmar geschickt werde, und das taten sie gleich zur selben Zeit, als sie nach dem Doktor und nach mir schickten. Aber der starke Ingmar war nicht zu Hause. Er war hoch oben im Walde und fällte Bäume und war nicht leicht zu finden. Sie sandten einen Boten über den anderen nach ihm aus, und der große Ingmar lag da und war unruhig, daß er ihn vor seinem Tode nicht mehr sehen würde.
Es währte so lange, daß ich kam, und der Doktor kam, aber der starke Ingmar war nicht zu finden.
Der große Ingmar kümmerte sich nicht mehr viel um uns andere; er war dem Tode nahe. ›Nun sterbe ich bald, Herr Pfarrer‹, sagte er. ›Ich wünsche nur, daß ich den starken Ingmar noch sehen könnte.‹
Er lag auf dem breiten Bett in der Kammer, und die schönste Decke, die sie hatten, war über ihn ausgebreitet. Seine Augen waren offen, er sah die ganze Zeit vor sich hin, nach etwas, das weit entfernt war, und das niemand anders sehen konnte. Die drei kleinen Kinder, die er gerettet hatte, sie hatten sie zu ihm auf das Bett gesetzt, und sie saßen still da und kauerten zu seinen Füßen. Wenn er hin und wieder einmal den Blick von dem abwandte, was er in weiter Ferne sah, fiel er auf die Kinder, und dann lächelte er über das ganze Gesicht.
Schließlich hatte man den Häusler gefunden. Der große Ingmar lächelte, als er die schweren Schritte des starken Ingmar draußen in der guten Stube hörte.
Als der Mann an das Bett trat, ergriff er seine Hand und streichelte sie sanft, dann fragte er ihn:
›Weißt du wohl noch, Ingmar, wie wir da unten auf der Kirchbrücke gingen und den Himmel offen sahen?‹
›Ja, wahrlich, weiß ich es noch, wie wir beide in den Himmel hineinsahen,‹ sagte der starke Ingmar.
Da wandte sich der große Ingmar ganz nach ihm um; er lächelte und das ganze Gesicht strahlte, als habe er eine große Freude zu verkündigen.
›Jetzt gehe ich da hin,‹ sagte er zum starken Ingmar.
Da beugte sich der andere über ihn nieder und sah ihm tief in die Augen. ›Ich komme dir nach,‹ sagte er. Der große Ingmar nickte ihm zu. ›Aber du weißt wohl, daß ich nicht kommen darf, ehe dein Sohn von der Wallfahrt heimkehrt.‹
›Ja, freilich weiß ich das,‹ sagte der große Ingmar und nickte. Und nachdem er das gesagt hatte, atmete er nur noch ein paarmal tief auf, und dann war er tot.«
Die Schulmeistersleute waren sich mit dem Pfarrer drüber einig, daß dies ein schöner Tod sei. Sie saßen alle drei eine Weile schweigend da.
»Aber,« sagte Mutter Stina plötzlich, »was meinte der starke Ingmar mit dem, was er von der Wallfahrt sagte?«
Der Pfarrer sah verwirrt auf. »Das weiß ich nicht,« sagte er. »Der große Ingmar starb gleich darauf; ich habe keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Es waren ganz merkwürdige Worte, darin haben Sie recht, Mutter Storm.«
»Der Herr Pfarrer weiß wohl, daß man sagt, der starke Ingmar