Alexander Bogdanow

Der rote Planet


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      »Wie stark ist dieses Teleskop?« fragte ich.

      »Damit erzielen wir eine deutliche sechshundertfache Vergrößerung«, antwortete Menni. »Wenn das nicht ausreicht, photographieren wir den Ausschnitt und betrachten das Photo unter einem Mikroskop. Auf diese Weise erreichen wir faktisch ein Bild mit sechzigtausendfacher Vergrößerung, und das wegen des Photographierens lediglich um Minuten verzögert.«

      Menni schlug mir vor, durch das Teleskop die Erde zu betrachten. Er stellte selbst das Gerät ein.

      »Die Entfernung beträgt jetzt ungefähr zweitausend Kilometer«, sagte er. »Erkennen Sie, was Sie sehen?«

      Ich erkannte sogleich den Hafen einer skandinavischen Hauptstadt, die ich mehrmals im Parteiauftrag besucht hatte. Sogar die Dampfer an der Reede konnte ich sehen. Mit einer Hebelbewegung setzte Menni anstelle des Okulars die Kamera in das Teleskop. Nach wenigen Sekunden nahm er sie wieder heraus und trug sie zu einem großen Apparat, der sich als Mikroskop erwies.

      »Wir entwickeln und fixieren die Aufnahme gleich im Mikroskop, ohne sie mit den Händen zu berühren«, erklärte er. Nach einigen Handgriffen, die höchstens eine halbe Minute dauerten, überließ er mir das Okular des Mikroskops. Ich erblickte mit so erstaunlicher Deutlichkeit einen mir bekannten Dampfer der Nordischen Schifffahrtsgesellschaft, als befände er sich wenige Dutzend Schritte von mir entfernt. Das Photo wirkte plastisch und hatte eine völlig natürliche Farbe. Auf der Kommandobrücke stand der ergraute Kapitän, mit dem ich mich mehrmals während meiner Reisen unterhalten hatte. Ein Matrose, der eine große Kiste auf das Deck hinunterließ, war gleichsam in seiner Pose erstarrt, ebenso wie ein Passagier, der ihm mit ausgestreckter Hand etwas zeigte. All das war zweitausend Kilometer entfernt.

      Sternis Gehilfe, ein junger Marsmensch, betrat den Raum. Er musste die genaue Entfernung messen, die unser Sternschiff zurückgelegt hatte. Wir wollten ihn nicht bei der Arbeit stören und gingen in den »Wasserraum«. Dort befanden sich ein riesiger Behälter mit Wasser und große Apparate zu dessen Reinigung. Unzählige Rohre leiteten das Wasser aus dem Reservoir in das gesamte Sternschiff.

      Im »Rechenraum« standen Maschinen und Geräte mit vielen Zifferblättern und Zeigern. An der größten Maschine arbeitete Sterni. Aus ihr glitt ein langes Band heraus, das offenbar die Ergebnisse von Sternis Berechnungen enthielt. Ich konnte jedoch mit den Zeichen auf dem Band und auf den Zifferblättern nichts anfangen.

      Mich gelüstete nicht nach einer Unterhaltung mit Sterni. Um ihn nicht zu belästigen, betraten wir schnell den letzten Nebenraum.

      Es war der »Sauerstoffraum«. Hier wurden die Sauerstoffvorräte in Form von fünfundzwanzig Tonnen chlorsaurem Kalium aufbewahrt, aus dem man bis zu zehntausend Kubikmeter Sauerstoff gewinnen konnte. Diese Menge reichte für mehrere Reisen vom Mars zur Erde und zurück. Etliche Apparate dienten zur Spaltung des Kaliums. Außerdem lagerten dort Baryt und Ätzkali, um die freiwerdende Kohlensäure zu binden, und Schwefelsäureanhydrid zum Binden der überflüssigen Feuchtigkeit und des flüchtigen Leukomains, jenes Stoffes, der beim Atmen ausgeschieden wird und schädlicher als Kohlensäure ist. Der Sauerstoffraum unterstand Doktor Netti.

      Dann kehrten wir in den zentralen Maschinenraum zurück, aus dem wir uns mit einem Lift direkt in die oberste Etage begaben. Dort befand sich im zentralen Raum das zweite Observatorium, das dem unteren völlig glich, nur dass die kristallene Hülle oben und nicht unten war und die Instrumente größere Ausmaße besaßen. Aus diesem Observatorium konnte man die andere Hälfte der Himmelskugel mit dem »Zielplaneten« sehen. Seitwärts vom Zenit strahlte der Mars in seinem rötlichen Licht. Menni richtete das Teleskop auf ihn, und ich erkannte deutlich das Festland, die Meere und die Kanäle, wie sie auf Schiaparellis Karten abgebildet sind. Menni photographierte den Planeten, und unter dem Mikroskop wurde ein deutliches Bild sichtbar. Ohne Mennis Erklärungen konnte ich jedoch nichts darauf verstehen. Die Flecken der Städte, Wälder und Seen unterschieden sich lediglich durch unmerkliche Einzelheiten voneinander.

      »Wie groß ist die Entfernung bis zum Mars?« fragte ich.

      »Ungefähr hundert Millionen Kilometer.«

      »Und warum befindet sich der Mars nicht in der Mitte der Kuppel? Fliegen wir nicht direkt auf ihn zu, sondern steuern ihn von der Seite an?«

      »Ja, anders ist es nicht möglich. Beim Abflug behalten wir unter anderem auf Grund des Trägheitsgesetzes die Geschwindigkeit des Erdumlaufs um die Sonne — dreißig Kilometer in der Sekunde. Der Mars hat nur eine Geschwindigkeit von vierundzwanzig Kilometern, und wenn wir in einer geraden Linie zwischen beiden Umlaufbahnen flögen, würden wir mit sechs Kilometern pro Sekunde auf die Marsoberfläche stürzen. Deshalb müssen wir einen Umweg wählen, auf dem die überflüssige Geschwindigkeit ausgeglichen wird.«

      »Wie lang ist dann unser Weg?«

      »Ungefähr hundertsechzig Millionen Kilometer, wofür wir mindestens zweieinhalb Monate brauchen.«

      Wäre ich kein Mathematiker gewesen, hätten mir diese Zahlen nichts bedeutet. So erweckten sie jedoch in mir ein Gefühl, das einem Alpdruck ähnelte, und ich beeilte mich, das Observatorium zu verlassen.

      Die sechs Nebenräume des oberen Segments, welche das Observatorium kreisförmig umgaben, waren völlig fensterlos, und ihre Decke bog sich bis zum Fußboden. An der Decke befanden sich große Vorräte an Minus-Materie, durch die das Gewicht des Sternschiffs aufgehoben wurde.

      Die beiden mittleren Etagen enthielten Gemeinschaftsräume, Laboratorien, Kajüten, Badezimmer, die Bibliothek und den Gymnastikraum.

      Netti wohnte neben meiner Kajüte.

      7. Die Menschen

      Der Gewichtsverlust wurde immer spürbarer. Das Gefühl der Leichtigkeit war nicht mehr angenehm. Dazu kamen Unsicherheit und eine vage Unruhe. Ich ging in meine Kajüte und legte mich ins Bett.

      Zwei Stunden in entspannter Lage bei angestrengtem Nachdenken ließen mich einschlafen. Als ich erwachte, saß Netti an meinem Tisch. Mit einer recht heftigen Bewegung erhob ich mich und schlug, wie von einer unsichtbaren Kraft emporgeschleudert, mit dem Kopf an die Decke.

      »Wer weniger als zwanzig Pfund wiegt, sollte vorsichtiger sein«, bemerkte Netti in gutmütig-philosophischem Ton.

      Er war gekommen, um mir alle notwendigen Hinweise über die »Seekrankheit« zu geben, die bei mir wegen der Schwerelosigkeit begann. In der Kajüte war eine Klingel zu seinem Zimmer, mit der ich ihn rufen konnte, falls ich seiner Hilfe bedurfte.

      Ich nutzte die Gelegenheit, um mich mit dem jungen Arzt zu unterhalten. Mich zog es unwillkürlich zu diesem sympathischen, hochgebildeten, aber auch sehr fröhlichen Burschen. Ich fragte ihn, warum von allen Besatzungsmitgliedern außer Menni allein er meine Muttersprache beherrsche.

      »Das ist sehr einfach«, erklärte er. »Als wir einen Menschen suchten, nahm mich Menni mit in Ihr Land, und wir verbrachten dort über ein Jahr, bis wir Sie gefunden hatten.«

      »Das heißt, andere ›suchten‹ in anderen Ländern?«

      »Natürlich, bei allen wichtigen Völkern der Erde. Aber wie Menni vorausgesehen hatte, konnten wir am ehesten in Ihrem Land erfolgreich sein, weil dort das Leben am kraftvollsten und deutlichsten voranschreitet und die Menschen am weitesten vorausblicken. Als wir unseren Menschen gefunden hatten, benachrichtigten wir unsere Kameraden, sie kamen aus allen Ländern zurück, und nun fliegen wir heim.«

      »Was meinen Sie eigentlich damit, wenn Sie sagen, dass Sie ›einen Menschen gesucht, einen Menschen gefunden‹ hätten? Es ging doch um eine Person, die sich für eine bestimmte Rolle eignen würde, wie mir Menni erklärt hat. Für mich ist es sehr schmeichelhaft, dass Sie mich ausgewählt haben, doch ich möchte gern wissen, wie ich zu dieser Ehre komme.«

      »Das kann ich Ihnen sagen. Wir brauchten einen Menschen, der gesund, intelligent, aufgeschlossen und arbeitsam ist. Es durfte kein Individualist sein, und ihn sollte möglichst wenig Privates an die Erde binden. Unsere Physiologen und Psychologen meinen, der übergang von den Lebensbedingungen Ihrer Gesellschaft, die durch ewigen Kampf zerrissen