Julie Burow

Der Weg in den Himmel


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kehrst Du, mein Bruder, mein Bräutigam, mein Kind.

      Wann kehrst Du zurücke, das sag’ mir geschwind?

      Sind Luft und Wasser und Land erst frei,

      Dann säum’ ich nicht länger, dann eil’ ich herbei.«

      Während noch die Mutter sang, hatten die drei das kleine Häuschen erreicht, das einzige Besitztum der Familie.

      Das niedrige, mit Stroh gedeckte Dach war grün vom langbärtigen Moose, das darauf wuchs. Eine hohe weißstämmige Birke stand unweit der Haustür und ihre feinen Zweige regten sich und flüsterten im Abendwinde. Neben ihrem Stamm stand ein mit wahrhafter Kunst geflochtener Binsenstuhl und darauf saß ein schon ältlicher Mann von würdigem Aussehen. Es war der Geistliche des Orts, Herr Pfarrer Ostermeier und er reichte der Witwe mit dem Gruß Laps waker manumetis (Guten Abend Frau) die Hand, die sie ehrerbietig an die Lippen zog. Dann aber griff er in die weiten Taschen seines langen schwarzen, keiner Mode der Welt angehörenden Rockes, und holte daraus Brot, Wurst, Käse und noch einige andere Nahrungsmittel hervor, die er liebreich unter die Kinder verteilte.

      Es war ein wackrer und ein wohlhabender Mann, der Pfarrer Ostermeier.

      Die Pfarrstellen in Litauen sind alle einträglich und von großem Um fange. Denn da es ein unerlässliches Erfordernis ist, dass der Geistliche die Landessprache geläufig spricht, so finden sich unter der zahllosen Menge der Kandidaten der Theologie, welche die Universität Königsberg hervorbringt, immer nur wenige, welche für eine litauische Predigerstelle geeignet sind. Ostermeier aber war von Geburt ein Litauer, d. h. sein Vater, Groß- und Elternvater waren schon Prediger in Litauen gewesen, und er hatte die Sprache seiner Pfarrkinder mit seiner Muttersprache zu gleich von seiner litauischen Wärterin erlernt. So saß er denn auch bald im heitersten Geplauder mit den Kindern und der Mutter und die weichen Sprachlaute klangen süß und melodisch durch die stille Nachtluft.

      Juragis saß gedankenvoll im Grase zu den Füßen des Geistlichen und blickte noch immer hinaus in das Abendrot.

      »Woran denkst Du, Knabe?« fragte Ostermeier endlich, dem Träumenden freundlich die Hand auf die Schulter legend.

      »Ob ich zu meinem Vater in den Himmel kommen kann, Herr Pfarrer.«

      »Das kannst Du, das wirst Du, Juragis, sei nur Dein Leben lang so brav, so fleißig, ehrlich und wahrliebend als jetzt.«

      »Fängt der Himmel da an, Herr, wo die Erde und das Meer zu Ende sind?«

      »Ja, Juragis, wo das Erdenleben zu Ende ist, fängt der Himmel an.«

      »Kann man hinkommen, wenn man immer gerade übers Meer fährt?«

      »Ob über Meer oder Land, Juragis, der gerade Weg führt stets in den Himmel.«

      »Aber übers Meer geht’s rascher?«

      Der Pfarrer lächelte.

      »Das mag wohl mancher Matrose gefunden haben, den der Sturmwind auf seinen Flügeln in den Himmel führte.«

      »Und mein Vater ist im Himmel?«

      »Ja mein Sohn, gewiss; einen bessern Mann als Deinen Vater hat’s nicht gegeben, und Herzen, wie dem seinigen, ist der Himmel gewiss.«

      Zweites Kapitel.

      Das Meer war seit Wochen ruhig. Ein stattliches Schiff, in Bauart und Takelage als ein französischer Kauffahrer kenntlich, glitt vor dem Winde dahin. Die lustigen, schwarzbärtigen Matrosen hingen wie kletternde Affen im Segelwerk oder saßen plaudernd am Steuerruder.

      Am Bugspriet stand ein schlanker, schöner Mann in der Kleidung eines Obristen der französischen Republik und sah durch ein Fernglas bald auf den wolkenlosen Himmel, bald auf das spiegelglatte Meer. Neben ihm lehnte ein blonder großer Mann mit den ernsten Zügen und dem kräftigen Bau des Nordländers.

      Es war ein Lotse von Bornholm, Lars Anderson, von Geburt ein Schwede. Die Wetter aller Zonen hatten seiner hellen Stirn einen rötlich braunen Schimmer mitgeteilt und sein blondes Haar weiß gebleicht.

      »Gibt es Walfische in der Ostsee?« fragte der Obrist Dufour Französisch den Lotsen, der schon seit geraumer Zeit auf einen Punkt hinstarrte, der sich mit den leichten Wellen gleichmäßig hob und senkte.

      »Das ist kein Walfisch«, antwortete der in derselben Sprache, »aber geben Sie mir einmal Ihr Glas, Colonel, es ist besser als meines, ich halte das Ding da drüben für ein leeres Boot.«

      Der Lotse fasste jetzt den schwimmenden Gegenstand, der sich offenbar dem Schiffe näherte, fest ins Auge und sagte dann in seiner Muttersprache:

      »Das ist ein Boot und ein Mensch ist darin.« –

      Capitain Macleen, ein Schotte und Führer des guten Schiffs l’aigle, von der Marseiller Reederei, kam jetzt auch hinzu und befahl eilig das Schiff so zu richten, dass es dem treibenden Boote sich nähere, und bald war der größte Teil der Mannschaft auf dem Deck versammelt und starrte neugierig und teilnehmend auf den Gegenstand, der sich mit jeder Minute mehr als ein Boot auswies, in dem ein schöner blondhaariger Knabe ausgestreckt und totenbleich, ein Bild der tiefsten Abspannung, am Boden lag. Einige tüchtige Matrosen waren in Boote gesprungen und hatten sich des treibenden Fahrzeuges bemächtigt. Das Kind in demselben war, wahrscheinlich aus Mangel an Nahrungsmitteln, ohnmächtig, aber sein Puls schlug noch, obgleich matt und schwach genug. Der Knabe konnte seiner Größe nach neun bis eilf Jahre alt sein. Lange goldene Locken ringelten sich um eine zarte Stirn, dunkle Wimpern kränzten das geschloss’ne Augenlid und auf dem feinen rosigen Kindermunde spielte ein engelhaftes Lächeln.

      Die ganze Schiffsmannschaft sammelte sich auf dem Vordeck um den Geborgenen, den man auf eine Matratze gelegt hatte, vorsichtig flößte der junge Schiffsarzt, ein Deutscher, ihm ein wenig Tee und sodann etwas Brühe ein. Der Untersteuermann, ein Pole aus der Gegend von Krakau, der auch sehr gut russisch sprach, redete zuerst das Kind an, das sich rasch erholte, aber es verstand die Sprache nicht und vergebens bemühte sich der Schotte, der Schwede, der Deutsche und die anwesenden Franzosen sich dem Findling, für den alle sich interessierten, verständlich zu machen. Der Knabe sprach. Er sprach bald sogar sehr lebhaft. Seine feinen Wangen röteten sich während des Sprechens, seine Augen glänzten. Weich und mild wie Töne einer Äolsharfe klangen seine fliegenden Worte, die lebhafte Gestikulationen begleiteten, aber niemand verstand ihn. Man redete ihn in allen bekannten Sprachen Europas an, denn auch ein Baske war unter den Franzosen, und der Schotte sprach ziemlich geläufig italienisch, in keiner aber vermochte er zu antworten, und als er noch einige leichte Nahrungsmittel zu sich genommen, versank er, die Augen nach dem Himmel gerichtet, den die Abendröte mit Gold und Purpur malte, in einen sanften Schlaf.

      Oberst Dufour stand lange neben dem schlummernden Kinde.–

      Welch ein schönes Geschöpf, sagte er zu sich selbst, und welch’ eine seltsame Kleidung! Das Hemd von grober aber weißer Leinwand war auf den Schultern mit roten Blumen gestickt. Die Beinkleider, von einem festen, grauen Drell, die, weit und kurz nur bis an die Knie gehend, die tadellos geformte Wade des Knaben nackt ließen, waren ebenfalls mit Stickerei und blanken Knöpfen verziert, ein blauer, langer Kittel hatte neben ihm im Boote gelegen und die Füßchen des Kindes steckten in Bastschuhen vom feinsten Geflechte. Welch einem Geschlechte, welch einem Volke kann das junge, reizende Geschöpf angehören, das eine so wohlklingende Sprache spricht und eine so eigentümliche Tracht trägt? – Mag eine Mutter den Knaben beweinen? Ein Vater ängstlich nach dem Liebling ausschauen? Welch’ eine Verkettung von Umständen hat das Kind einsam aufs Meer geführt? Hat es sich unvorsichtig in ein unbefestigtes Boot gewagt? Ist vielleicht ein Verbrechen an ihm verübt worden? Der Gegenstand dieser verschiedenen Vermutungen schlief indes und träumte süß, denn er lächelte im Traum und alsdann drangen glänzende Tränentropfen unter seinen langen, seidenen Wimpern her vor, und endlich erwachte er mit einem lauten Jubelrufe.

      Obrist Dufour stand noch neben seinem Lager und der Knabe sprang rasch von demselben