Probezeit als Gärtnergehilfe war mir schwer. Während jenes unerquicklichen Monats wurde ich einige Male mit einem Korb voll Gemüse oder Obst in das Herrenhaus hinübergeschickt. Ich ließ mir dort Mitteilungen entlocken, die für Onkel Julip unheilvoll werden und meine eigenen Aussichten in der Gärtnerlaufbahn vernichten sollten.
Mr. Petterton, der erste Diener im Herrenhause, war auch ein Aristokraten-Nachäffer, aber größeren Stils als mein Onkel. Er hatte eine imposante Figur und blickte einen von oben herab an. Der Halskragen, den er trug, bohrte sich in sein rosiges Doppelkinn, und sein Haar war gelb und glänzte von Pomade. Ich hatte ihm einen Korb Gurken abzuliefern und ein Bündel blauer Blüten, Gurkenkraut genannt, aus denen man ein Getränk bereitete. Er stand an einem Tisch und sprach ehrerbietig mit einem kleinen, rothaarigen Mann – Lord Brambles Agent, wie ich später erfuhr –, der ein Käsebrot aß und Bier dazu trank. Außerdem war noch ein junger Diener im Zimmer, einem unterirdischen Raum mit vergitterten Fenstern, und putzte mit großem Fleiße Silbergeschirr.
›Du bringst das also aus der Gärtnerei‹, sagte Mr. Petterton ironisch lächelnd zu mir. ›Und darf ich fragen, warum Mr. – warum Sir John sich nicht selbst herabläßt herzukommen?‹
›Er trug mir auf, die Sachen zu bringen‹, erwiderte ich.
›Und wer bist du, wenn ich fragen darf?‹
›Ich heiße Harry Smith. Mr. Julip ist mein Onkel.‹
›Ah!‹ sagte Mr. Petterton, und es schien ihm plötzlich ein bestimmter Gedanke zu kommen. ›Du bist der Sohn des Gemüsewarenhändlers Smith in Cliffstone?‹
›In Cherry Gardens, Herr.‹
›Ich hab' dich bisher noch nie gesehen, mein Junge. Bist du früher schon manchmal bei uns gewesen?‹
›Hier im Herrenhause nicht.‹
›Nein, hier nicht, aber vielleicht in der Gärtnerei?‹
›In der Gärtnerei war ich fast jeden Sonntag.‹
›So, so. Und hat es da nicht gewöhnlich etwas mit nachhause zu nehmen gegeben, mein Junge?‹
›Ja, fast immer.'
›Etwas ziemlich Schweres, nicht wahr?‹
›Nicht allzu schwer‹, meinte ich.
›Sehen Sie wohl?‹ sagte Petterton zu dem rothaarigen Mann.
Dieser stellte nun, rasch und in scharfem Ton sprechend, ein Kreuzverhör mit mir an, und ich begann zu fühlen, daß etwas Bedrohliches in der Luft lag. Was ich heimgetragen hätte? Ich errötete bis über die Ohren und erklärte, ich wisse nicht, was es gewesen sei. Ob ich öfter Trauben mitgenommen hätte? Ich wisse es nicht. Birnen? Ich wisse es nicht. Sellerie? Das wisse ich auch nicht.
›Na, ich aber weiß es‹, sagte der Agent. ›Wozu sollte ich dich also weiter ausfragen? Und somit pack' dich.‹
Ich ging in die Gärtnerei zurück und sagte meinem Onkel nichts von diesem unangenehmen Gespräch. Ich wußte aber sehr genau, daß die Sache damit nicht zu Ende war.«
Drittes Kapitel
Die Familie Smith gerät ins Unglück
1
»Und nun«, sagte Sarnac, »muß ich euch von einem Wirbelsturm unheilvoller Ereignisse erzählen, der über unser unsicheres kleines Heim in Cherry Gardens hereinbrach und es vernichtete. In jener Welt des Zufalls, der Planlosigkeit und der Übervölkerung gab es weder Sicherheit noch soziale Gerechtigkeit in dem Sinne, wie wir heute diese Begriffe verstehen. Wir können uns die Unsicherheit und Verworrenheit des damaligen Lebens kaum vorstellen. Bedenkt nur: Die Wirtschaft der ganzen Welt ruhte auf einem Geld- und Kreditsystem, das lediglich aus Fiktionen und Übereinkommen bestand; es gab keine hinreichenden Schutzmaßregeln gegen den wucherischen Mißbrauch der das Geldwesen betreffenden Konventionen; Weltproduktion und Weltverbrauch wurden in keinerlei Weise überwacht; man wußte so gut wie nichts über die alljährlich fortschreitenden Veränderungen des Klimas; und so schwankte nicht nur das Schicksal der Individuen, sondern auch das der Staaten und Nationen unberechenbar und unbeeinflußbar hin und her. In jener Welt war das Leben der Menschen, Männer wie Frauen, fast ebenso unsicher wie heute das einer Feldmaus oder einer Mücke, die von einem Augenblick zum anderen das Opfer einer Katze, Eule oder Schwalbe werden können. Durch Zufall in die Welt gesetzt, erfuhren die damaligen Menschen zufällig Leid und Freud, Ruhm und Schmach und schließlich ein unvorhergesehenes Ende; und ihre Umgebung war weder auf ihre Geburt noch auf ihren Tod vorbereitet. Ein plötzlicher Tod kann uns auch heute ereilen, es gibt immer noch gefahrvolle Abenteuer – ein Blitzstrahl hätte gestern uns alle oder einen von uns hinstrecken können; doch ein solches Ende ist etwas Seltenes und etwas Reinliches. Das allgemeine Schicksal der Vergangenheit war ein fürchterliches, verzweiflungsvolles Hinsterben durch Entbehrungen und Sorgen oder infolge einer Krankheit, deren Ursachen man nicht kannte und die man schlecht behandelte; dergleichen gibt es heute nicht mehr. Und heute wird durch einen Todesfall nicht die Existenz einer ganzen Anzahl von Menschen zerstört, wie das in den alten Tagen oft geschah. Eine Witwe der damaligen Zeit hatte nicht nur den geliebten Gefährten, sondern auch ihren Lebensunterhalt verloren. Das Leben schafft jedoch die wunderbarsten Ausgleiche. Die Menschen damals fühlten die Gefahren nicht, die sie bedrohten. Es war ihnen eine erstaunliche Gleichgültigkeit eigen, bis das Unglück über sie hereinbrach.«
»Alle Kinder«, fuhr Sarnac fort, »beginnen ihre Laufbahn mit einem unbedingten Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der Dinge, die sie umgeben. Das Erwachen aus dem Wahn der Sicherheit setzt klare Erkenntnis voraus. Wir können uns die Gefahren, die uns bedrohen, nur vorstellen, wenn wir klar denken; und sobald wir klar denken, haben wir auch die Kraft, der Gefahr zu begegnen. Die Menschen der alten Zeit dachten verworren und irrig wie Kinder, sie waren blind gegen den fortschreitenden Verfall der schwankenden Zivilisation, in der sie lebten. Trotz der allgemeinen Unsicherheit schien ihnen das Dasein im Grunde ganz sicher. Ein Unglücksfall setzte jedermann in Erstaunen, obwohl jedermann dauernd auf Unheil aller Art hätte gefaßt sein müssen.
Der erste Schlag traf meine Familie ganz unvorbereitet, etwa sechs Wochen, nachdem ich aus Chessing Hanger zurückgekehrt war, um mein letztes Schulsemester zu absolvieren, ehe ich Gärtner wurde. Es war am späten Nachmittag. Ich war aus der Schule heimgekommen und saß lesend in unserem unterirdischen Zimmer. Die Mutter räumte eben den Teetisch ab und zankte mit Fanny, die ausgehen wollte. Die Lampe war angezündet, und ich sowie Vater, der, wie er sagte, die Zeitung überflog, waren so nah als möglich an sie herangerückt, denn das Licht, das sie gab, war völlig ungenügend. Da hörten wir oben die Türglocke des Ladens kreischen.
›Zum Kuckuck,‹ sagte Vater, ›wer kommt denn da noch so spät am Abend?‹
Er schob seine Brille in die Höhe. Er hatte sich aufs Geratewohl bei einem Trödler eine Brille gekauft und setzte sie auf, wenn er las. Sie machte seine ohnehin schon großen, milden Augen noch größer. Er schaute uns fragend an. Wer konnte um diese Zeit noch etwas wollen? Gleich darauf hörten wir Onkel John Julip die Treppe herunterrufen:
›Mortimer‹, sagte er, und seine Stimme kam mir dabei ganz ungewöhnlich vor. Niemals hatte ich ihn meinen Vater anders als Smith nennen hören.
›Bist du es, John?‹ sagte Vater, indem er sich erhob.
›Ja, ich bin es. Ich möchte mit dir sprechen.‹
›Komm doch herunter und trink eine Tasse Tee mit uns‹, rief Vater, unten an der Treppe stehend.
›Nein, ich muß dir etwas erzählen, es ist besser, du kommst herauf. Etwas Ernstes.‹
Ich überlegte, ob ich vielleicht irgendetwas angestellt hätte und Onkel deshalb herübergekommen sei. Mein Gewissen war aber ziemlich rein.
›Was kann denn nur los sein?‹ fragte Vater.
›So geh doch und laß es dir erzählen‹, meinte Mutter.
Vater