Janet Borgward

Tote Weinbergschnecken schleimen nicht


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zwischen dem demolierten Traktor und einem mitgerissenen Befestigungspfeiler. Ein beklemmendes Gefühl beschlich sie und wurde zur Gewissheit.

      „Scheiße“, fluchte sie und erkannte die brandrote Lederjacke. Die Augen des Verunglückten starrten ins Leere.

      Kapitel 4

      Bald wimmelte es um Cara herum von Menschen. Polizei, Spurensicherung, Rettungssanitäter, ein Bergungsfahrzeug der Feuerwehr und Journalisten der hiesigen Presse.

      „Sie haben den Unfall gemeldet?“, fragte ein uniformierter Kollege, abseits des Trubels. Er sah sie forschend an.

      „Ja.“

      „Wie heißen Sie?“

      „Cara Goldmann, Mordkommission Düsseldorf.“ Sie zückte ihren Dienstausweis.

      „Düsseldorf? Na, da waren Sie ja schneller am Unfallort als wir“, scherzte er.

      „Ich verbringe hier meinen Urlaub“, betonte sie und setzte nach, „Schrecklicher Unfall.“

      „Leider erleben wir das oft zu dieser Zeit.“ Er sah zur Unfallstelle und wieder zu Cara. „Wo sind Sie untergebracht?“

      „In einer Ferienwohnung in Lausgrott.“

      „Und bei wem?“

      „Marie Steiert.“

      Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. „Bei der Steiert Marie?“ Es schien dem hiesigen Dialekt geschuldet zu sein, stets den Nachnamen vor den Rufnamen zu setzen.

      „Sie kennen sich?“

      „Eher Maries Bruder.“ Mehr verriet er nicht. Stattdessen fragte er, seit wann sie in Lausgrott sei und was sie zu ihrer Wanderung veranlasst hätte.

      „Ich kenne den Toten“, räumte Cara ein und sah dem Zinksarg nach, der an ihnen vorbei den Hang hinaufgetragen wurde. „Nicht seinen Namen, aber ich habe ihn gestern in Begleitung eines anderen Burschen im Reblaus Stüble gesehen.“

      Der Beamte hielt in seinen Notizen inne. „Warten Sie bitte einen Augenblick.“ Er winkte dem ermittelnden Kommissar aus Freiburg zu sich.

      „Dann lassen Sie mal hören“, übernahm dieser die weitere Befragung. Er überragte Cara um einen Kopf und besaß die Statur eines Türstehers.

      „Die beiden schienen im Reblaus Stüble nicht erwünscht zu sein“, schilderte sie ihre Sichtweise vom gestrigen Abend.

      „Woraus schließen Sie das?“

      „Der Wirt drohte damit, die Polizei zu holen, wenn sie das Lokal nicht verließen. Ferner ließ der Sohn des Gastwirtes durchblicken, er hoffe, es wäre der letzte Besuch der beiden.“

      „Und wo ist das Reblaus Stüble?“, hakte er nach.

      „In Lausgrott.“ Dabei hatte sie längst den Eindruck gewonnen, dass ihm das Wirtshaus geläufig war.

      „Frank, kommst du mal zu uns? Wir brauchen dich bei den Presseleuten“, rief der Kollege, der Cara zuerst befragt hatte, überfordert. Presseleute! Cara schnaufte verächtlich.

      „Seid ihr dazu nicht selbst in der Lage?“, gab er unwirsch zurück.

      „Würde ich dich dann fragen?“

      „Ich bin hier gleich fertig.“ Und wieder an Cara gewandt: „Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen? Ich meine, hier, am Unfallort?“ Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen.

      Sie sind mit der Situation völlig überfordert, mutmaßte Cara. „Eine Erntemaschine verschwand in dem Hohlweg da hinten“, sie deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger in die entsprechende Richtung, „bevor ich den Abhang hinabkletterte.“

      „Ein Vollernter?“

      „Nennt man die so?“

      „Ja. Farbe?“

      „Gelb würde ich sagen. Der Fahrer müsste eigentlich etwas von dem Unfall mitbekommen haben …“

      „Haben Sie eine Ahnung, wie laut diese Maschinen sind? Da bekommt man kaum mit, was um einen herum geschieht. Sonst noch was?“

      „Wie nennt man die Art von Traktor?“ Cara wies auf das umgekippte Fahrzeug. „Das ist ein Schmalspurtraktor.“ Miene und Tonfall ließen erahnen, dass er nicht erpicht darauf war, ihr Nachhilfe in Maschinenkunde zu erteilen. „Aha. Der hat sicher ein anderes Reifenprofil.“ „Ja, und?“ „Ich meine nur, weil an dem Abhang zwei unterschiedliche Reifenspuren zu sehen waren, die ineinander verliefen.“ „Das haben Sie in dem Durcheinander erkannt?“ Er pfiff anerkennend durch die Zähne, doch sein Gesichtsausdruck war spöttisch. „Kommst du?“, drängte sein Kollege. „Bitte halten Sie sich zur Verfügung, falls wir weitere Fragen haben.“ Er wandte sich um und ließ Cara stehen. „Der Verunglückte könnte absichtlich abgedrängt worden sein“, rief sie ihm hinterher. Der Kriminalkommissar wirbelte herum und kam mit energischen Schritten auf Cara zu. „Geht’s noch was lauter? Möchten Sie vielleicht mit der Presse sprechen?“, zischte er. „Wir haben das hier im Griff, Frau Kollegin. Genießen Sie Ihren Urlaub.“ Er stapfte davon. Es folgte ein knapper Wortwechsel, gefolgt von Köpfen, die sich verstohlen in ihre Richtung drehten. Souverän stellte er sich daraufhin den Fragen der Reporter. Eine Frau zwängte sich aus der Gruppe der Schaulustigen hervor und steuerte mit gezielten Schritten auf Cara zu. Marie Steiert. „Du liebe Güte. Was ist denn da vorgefallen?“ Ihr Mienenspiel wechselte zwischen Entsetzen und Faszination, als sie ihre Kommissarin erreichte, die verloren am Rande des Geschehens stand. „Sind Sie mit dem Auto hier?“, antwortete Cara mit einer Gegenfrage. „Ja. Ich stehe gleich da vorne.“ „Können Sie mich mitnehmen?“ „Ja, sicher.“ Marie erhoffte sich Informationen aus erster Hand. Warum sonst hätte man die Kommissarin aus Düsseldorf befragt? „Steigen Sie ein.“ Sie setzte zurück und wendete ihren Wagen. „Was ist passiert?“, bohrte sie weiter, um ihren Wissensdurst zu stillen. „Jemand ist mit dem Traktor den Hang hinabgestürzt.“ „Ach herrje. Weiß man schon, wer es war?“ „Wie kommt es, dass Sie in so kurzer Zeit hier waren?“, stellte Cara eine Gegenfrage. „Ich war zufällig auf dem Blankenhornsberg, da sah ich Polizei und Krankenwagen vorbeijagen. Da habe ich gleich vermutet, dass etwas in den Reben passiert ist.“ „Kommt das denn öfter vor, dass ein Traktor den Abhang hinunterstürzt? Die Weinberge kommen mir nicht so steil vor wie an der Mosel.“ Wenn sie dagegen Maries Fahrstil auf sich wirken ließ … In halsbrecherischem Tempo jagte sie über den schmalen Wirtschaftsweg bis zur Hauptstraße, die nach Lausgrott führte. „Das ist die Zeit des Herbstens. Alle stehen unter Druck. Da passieren dauernd Unfälle, weil die Ladung nicht festsitzt oder der Anhänger ins Trudeln gerät.“ Marie sah Cara von der Seite an. „Und Sie haben den gefunden?“ „Achten Sie bitte wieder auf den Weg“, mahnte Cara, die nicht darauf erpicht war, dass sie die nächsten waren, die den Hang herunterstürzten. „Ich meine, da empfehle ich Ihnen einen Wanderweg und Sie stolpern gleich über eine Leiche.“ Maries Wangen glühten vor Aufregung. „Wie kommen Sie darauf, dass es einen Toten gab?“ „So wie der durch die Weinberge abgegangen ist? Das konnte der Fahrer unmöglich überlebt haben. Und der Leichenwagen …“ „Das haben Sie alles mitbekommen?“ „Ich war natürlich wie paralysiert. Später dachte ich: Die Frau Goldmann, wenn der was passiert ist, wo ich der den Wanderweg empfohlen habe … Zum Glück habe ich Sie dann bei den Polizisten stehen sehen.“ Sie verließen die Weinberge und fuhren auf die Bundesstraße. Marie überholte zwei Fahrzeuge und gliederte sich hinter einem Traktor ein. „An dem kommen wir jetzt bis Lausgrott nicht mehr vorbei“, jammerte sie – und behielt recht. „Danke, dass Sie mich mitgenommen haben.“ Hektisch kramte Cara ihren Schlüssel wie einen rettenden Anker hervor. Maries draufgängerische Fahrweise war ihr in die Glieder gefahren. „Mögen Sie noch auf einen Kaffee reinkommen?“, fragte Marie. Sie bemerkte Caras Zögern und setzte nach: „So ein Erlebnis muss ja erstmal verarbeitet werden. Obwohl, für Sie als Kriminalbeamtin ist das sicherlich nichts Ungewöhnliches.“ „Wie meinen Sie das?“ Cara folgte ihr und ließ sich auf der Eckbank ihrer offenen Küche nieder. Die Stube war rustikal eingerichtet und vermittelte Gemütlichkeit. „Sie werden oft mit dem Tod konfrontiert.“ „Selten auf diese Art.“ „In welcher Abteilung