Hein Bruns

Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten


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warf sich stöhnend auf sie, so wie er war, halb angezogen oder halb ausgezogen. Und Meiler drückte sein Geschlecht auf ihr Geschlecht, sein Wollen auf ihr Wollen. Dazwischen waren Unterhose und Hose, dazwischen waren Rock und Seidenhöschen. Weit ab von einem Gewaltakt, weit ab! Es ist doch seltsam, wie weit haben uns doch die Zivilisation und die Religion und das Elternhaus und die Erziehung von der Natur entfernt, wie weit. Was muss man doch alles überbrücken und niederreißen, aufknöpfen, ausziehen, aushaken, aufziehen, bis man so ist, wie man natürlich sein muss oder will - nämlich nackt. Scham? Ist die Scham eigentlich natürlich? Tiere kennen doch auch keine Scham. Ist die Scham anerzogen? Sie müsste doch wohl natürlich sein, denn Meiler dachte an Baströckchen und Lendenschurz und Feigenblatt. Ja, ans Feigenblatt dachte er auch, besonders ans Feigenblatt. Natürlich dachte er ans Feigenblatt, denn wo das saß, darunter, dahin, dahinein wollte er, das war jetzt das Bestreben seines Wollen, seiner Begierde und seiner Sehnsucht. Getan werden musste etwas, aber es war doch schwer für ihn. Schattete noch die Krankenschwester über ihn, sah er doch ihre reine, weiße Tracht und ihre weiße Haube. Hemmte ihn die Erinnerung an ihre Hände, die ihn pflegten, ihn verbanden, ihm die Ente anlegten oder das Sitzbecken unterschoben? Sah er wieder die liebende pflegende Mutter? Deubel noch mal! jetzt hatte sie doch keine weiße Tracht an und trug auch kein weißes Häubchen. Jetzt pflegte sie doch auch nicht, verband ihn nicht, legte ihm keine Ente an und schob kein Sitzbecken unter. Jetzt lag sie doch halbnackt vor ihm, und nur noch der Rock und nur noch das Höschen, dann war der Weg doch frei, frei, um einzudringen in ihr Geschlecht. Dann war es doch soweit! War es dann soweit? Nein, das war auch noch nicht alles, und das war es auch nicht, denn er musste sich auch noch entkleiden. Und das war schlimm und schwer, das war überhaupt das schwerste. Aber sie hat doch die Augen geschlossen und blinzelt auch nicht. Widerstandslos ließ Mira sich den Rock ausziehen, und, das schwarze Seidenhöschen war die letzte Hülle. Er aber zog sich nicht aus, er tat es doch nicht und noch nicht, entledigte sich nur seiner Jacke, knöpfle seine Hose auf, und sein Geschlecht, bis zum äußersten gespannt, suchte sich mühelos seinen Weg und wurde aufgehalten. Melchior Meiler kannte die Krankenschwester Mira Vignaud nicht wieder, sie verleugnete ihr französisches Blut nicht. Mit fast wilder Gier griff sie nach seinem Geschlecht, drückte es schmerzhaft und führte es ein. Warm und nass drang es ein! Miras Augen waren weit geöffnet, und sie stieß kurze abgehackte Schreie aus. Meiler erschien es, als seien ihre Augen noch dunkler, dunkler noch als ein Bergsee, auf den die Schatten des Abends und der großen Tannen lagen. Und als die Erfüllung kam, und sie kam zuerst bei ihr und kurz darauf bei Meiler, stand ein Schrei im Zimmer, ein Schrei, als ob ein Mensch in Todesangst schrie. Mira schlang ihre Beine um die Lenden Meilers, und ihr Körper zuckte wie eine Katze, die man erschlagen hatte. Ihre Nägel gruben sich in sein Rückenfleisch. Diese Nacht blieb sie bei ihm. Sie badeten und liebten sich und badeten und liebten sich wieder. Lagen dann ermattet nebeneinander, und ihre Körper berührten sich, so eng lagen sie nebeneinander.

      Sind die Menschen leer und körperlich ausgebrannt, dann huscht die Seele hervor und die Sprache und die schonungslose Offenheit. Sie sagte, dass sie ohne das nicht leben könne, dass sie krank sei, wenn sie das nicht hätte und dass ihr Körper das verlange. Sie müsste einen Mann haben, täglich, nächtlich. Aber warum sie denn bei ihm so lange gewartet hätte, das, alles könnte doch schon vorher gewesen sein. Ja, sein Verlangen wäre wohl nicht so stark gewesen, und es sollte auch nicht ohne Sympathie sein. So wäre es ja nun auch nicht, dass sie mit jedem x-beliebigen Mann ins Bett gehen würde, so nun auch nicht. Sympathie und Zuneigung müssten schon da sein, und so lange könne sie auch warten. Außerdem wolle sie den Mann nicht gleich erschrecken, erschrecken und schockieren mit ihrem Trieb. Das sagte sie auch noch, dass, so er wieder auf See sei, sie auch mit einem anderen Mann schlafen ginge. Er könne aber auch getrost irgendwo in einem ausländischen Hafen mit einer Frau schlafen gehen, das würde sie ihm nicht verübeln. Gleiches Recht für alle, für Mann und Frau. Sollte sein Schiff wieder im Heimathafen liegen, wolle sie für ihn da sein, nur für ihn, und er müsse für sie da sein, nur für sie. „Liebst du mich, Mira?“ „Du, ich weiß wirklich nicht, was Liebe ist, und ob es sie überhaupt gibt, das weiß ich auch nicht. Du bist mir sympathisch, und du erfülltest mich, und das beim ersten Male. Du bist, glaube ich, kein Egoist!“

      Kapitel 6

      Die Nacht war lang. Die Nacht wurde ruhig. „Das Mädchen fürs Geld“ ging lallend ein. Sie waren am Ende. Zum Teil lagen sie in ihren Arbeitsklamotten auf den Kojen, zum Teil hockten sie, vom Alkohol k. o. geschlagen, in der Matrosenmesse zwischen leeren Flaschen und vollen Aschenbechern. Aber was macht’s? Nichts macht es. Sie können feiern und saufen und singen. Die Schiffsleitung drückt alle Augen zu. Was sollte wohl werden, wenn die gesamte Crew hier das Schiff verlässt, denn im Suff sind sie sich leicht einig. Wo sollte wohl der Reeder so rasch Leute hernehmen? Das Schiff muss fahren, muss fahren. Das Holz muss nach England, nicht damit die Engländer Häuser bauen können, nein, damit die Schillinge für die Fracht in die Säckel der Reeder rollen. Und es muss schnell gehen mit dem Fahren, je eher rollen die Schillinge und je mehr Reisen macht das Schiff. Wenn auch die Crew besoffen ist. Wenn auch der Alte nervös ist und einen Vogel hat. Wenn auch die Augenbrauen vom Chief einen Boogie tanzen - das Schiff muss fahren. Und es fährt. Warum holen eigentlich die Engländer ihr Holz nicht selbst? Fahren wir billiger? Sind unsere Heuern niedriger? Die zeternde Frau, mit der zum Abschied ein Matrose noch rasch eine Nummer gemacht hat, und das Kind sitzen nun wohl im warmen Wartesaal mit der Bierhahnattrappe und warten auf den Morgenzug. Ob die Frau sich wohl die Bluse zugeknöpft hat? Der Koch schlief auf harter Pritsche in einer Polizeizelle und weiß nichts davon. So dicht liegen Freiheit und Zellenheit beieinander. Das Bündel saß in einer Kneipe, und das Schankmädchen entfernte das Bücklingsfett aus dem Perlonhemd. Der Murki hatte seinen Kopf hinter einem Flügel versteckt und der Lispeler sein Gebiss in ein Glas versenkt. Die Augenbrauen des Chiefs tanzten nun einen Schlafwalzer. Die Nacht war ruhig. Auch die Kugel war in die Koje gerollt. Ein Schiff, Motorschiff MISTRAL, schläft. Nur die schwarze Schlange atmet. Nur der Hafendiesel, benötigt für Licht, Heizung und Wasser, tötet tuckernd die Zeit. Weiter streicht die Winternacht mit ihrem frostigen Glasur-Pinsel über die Eisburg Schiff. Im Kontor der Bunkerstation brannte warmes Licht, und das Scheißhaus war eingefroren. Meiler war vom Schiff gefressen, und nun begann die Verdauung. Die Nacht war ruhig.

      Die Nacht war ruhig und Meiler allein! Allein war auch der „Assi“ unten im Maschinenraum, allein mit dem tuckernden Diesel, den laufenden Pumpen, dem Ölheizungskessel und mit der gelbfarbigen Hauptmaschine. Meiler war allein mit einem Koffer, einer Matratze, einem Sofa, einer fettigen Zeitung, dem breitgetretenen Bücklingsrest und... mit seinen Gedanken. Alles ordnete er erst einmal. Warf allen Dreck und Mist aus dem Bullauge, wischte mit einem vergessenen, noch nach Arbeit stinkenden Twistlappen, in Unterstützung mit klarem Wasser aus der Leitung, das Fischfett vom Boden auf. Packte seinen Koffer aus (der andere stand ja noch an Deck), legte eine Tischdecke auf. Ein helles freundliches Muster hatte die. Ordnete soweit alles, nur seine Gedanken, die konnte er noch nicht ordnen... Gedanken kann man sowieso im Hafen nicht ordnen, geschweige, so man eben eingestiegen ist. Gedanken ordnet man auf See. Auf langen Seetrips, da kann man seine Gedanken ordnen, sie ausrichten und voreinanderstellen, verschieben, neu verpacken… und dann ist alles gut, so lange gut, bis man wieder in einem Hafen ist oder Post hat. Meiler hob den Kopf. Oben an Deck tapste es, oder im Gang oder in der Kammer über ihm. Nun trappelte es den Niedergang herab, und jetzt trabte es im Gang, Richtung Meilers Kammer. Zögerndes Klopfen. „Herein!“ Eine bemützte „Uniform“ stand in der Tür. „Ich bin der wachhabende Offizier, Linke ist mein Name. Sie sind wohl der neue Dritte von der Maschine, ja?“ Seine etwas grünlichen Augen schielten hin und her, die Mütze hielt er nun in der Hand, und mit der anderen strich er verlegen, fast zärtlich über seine rötlichen Haare, schob eine Locke zurecht, und dann erst gab er Meiler die Hand, die weich, weibisch und schlaff und ohne Druck sich präsentierte. Wie Schleim, dachte Meiler, neugierig darauf, was nun wohl kam. Die „Uniform“ war an sich ein heller Fleck auf diesem Schiff, dem Schiff mit Besoffenen und Grölenden, mit Kanarienvogelkapitän und Augenbrauen-Boogie tanzendem Chief, küssender Kugel und Bücklingsresten. Ja, der Mann schien eine Insel der Hoffnung zu sein. Menschen können überhaupt Hoffnungsinseln und Ankerplätze sein, oder Kaimauern und Duckdalben, ja, das können sie. Und wenn man seine Gedanken noch nicht geordnet hat, mag man wohl so eine