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Abschied einer Mörderin
Blutbücher
Von Nick Stein
Man tötet einen Menschen, und man ist ein Mörder. Man tötet Millionen, und man ist ein Eroberer.
Man töte sie alle, und man ist ein Gott.
— Jean Rostand,
französischer Biologe und Schriftsteller
Kapitel 1
Ich hatte das Morden längst aufgegeben, als ausgerechnet er mir über den Weg lief.
Ich musste ihn ablenken, bloßstellen oder beseitigen, um mein Lebenswerk nicht zu gefährden.
Nur einer dieser Wege war wirklich sicher. Ich musste ihn beseitigen.
Ich konnte auf ein erfolgreiches Leben zurückblicken. Ich hatte Erfolge gefeiert, ich war reich, ich hatte den gefährlichsten Menschen der Welt unschädlich gemacht. War das nicht Grund genug für einen geruhsamen Lebensabend, wenn man mit Ende dreißig davon sprechen durfte?
Er hatte mich hier rein zufällig angetroffen und leider sofort erkannt. Noch im gleichen Wimpernschlag war mir klargeworden, dass er wegmusste, und wie ich es anstellen konnte.
Das Morden. Es war mir zugelaufen wie ein süßer kleiner Hund.
Mein erster Mord war strenggenommen gar keiner gewesen. Ich hatte eine Freundin mehr oder weniger legitim um ihre fantastischen Manuskripte gebracht, als ihr lüsterner Ehemann, der glaubte, ich wäre an ihm interessiert statt an ihrem Werk, sie eine Schlucht hinuntergestürzt hatte, im Glauben, damit wäre der Weg zu mir frei. Ich war nur indirekt schuld an ihrem Ende gewesen.
Mit ihren Romanen hatte ich meine erste Karriere gestartet, erst als Lektorin, dann als Herausgeberin, später als Autorin, unter wechselnden Pseudonymen.
Meine eigenen Werke waren nie gut genug gewesen; als Lektorin war ich an gute und einsam lebende Autoren herangekommen, die ich bestohlen und dann entsorgt hatte. Niemand hatte sie je vermisst oder an mehr als einen Unfall geglaubt. Ich bin ziemlich stolz darauf.
Auch meine schönste Trophäe gehört dazu. Gero von Witzleben, den ich im Keramikofen zu Asche verbrannt hatte. Mit seinen Überresten und einer Menge Ton hatte ich eine Statue seiner selbst geformt und gebrannt. Einem keramischen Kunstwerk. Witzleben war selbst ein recht erfolgreicher Mörder gewesen, der mit viel Witz und Geschick jene Lektoren und Lektorinnen umgebracht hatte, die seine Werke nicht herausgeben wollten. Ich wäre die Nächste geworden, wäre ich ihm nicht zuvorgekommen.
Er steht heute mit den Skulpturen von sieben anderen toten Dichtern als teures Werk im Haus eines reichen Mafia-Bosses in New York, als Gruppe um einen Tisch platziert, auf dem ihre Werke liegen. Der Klub der toten Dichter.
Damals hatte dieser aufdringliche Jungbulle mich als Zeugin befragt, später aber selbst verdächtigt und mich sogar in meiner Villa in Italien festnehmen können. Ich war ihm und der Mafia, die mich inzwischen als Belastung angesehen hatte, nur entgangen, indem ich meinen Tod vorgetäuscht hatte. Ich hatte eine todessehnsüchtige junge Frau an meiner Stelle ans Steuer eines Sportwagens gesetzt, dessen Bremsleitungen ich beschädigt hatte. Im Wagen selbst waren genügend Spuren von mir, Haare, Fingerabdrücke und Datenträger, alle Hinweise deuteten bei der verbrannten Leiche auf mein erstes Ego. Viola Kroll.
Europa hatte ich verlassen müssen. Ich hatte auf die Beziehungen eines meiner anderen Opfer gesetzt und mich bei einem New Yorker Verlag als Übersetzerin beworben. Schon damals hatte ich die Nase vom Morden voll; ich hatte genug Geld erwirtschaftet und wollte ein neues Leben beginnen.
Meine Geschichte hatte mich eingeholt. Der Verlag, genauer einer seiner Direktoren, hatte herausgefunden, dass ich nicht Johanna Svensson war, als die ich mich ausgab, denn die Schwedin war genauso tot wie meine sonstigen Lieferanten, sondern ihre Mörderin Viola.
Der Verlag lag in einer Übernahmeschlacht mit einem anderen Medienkonzern, der Dumb Media Group, die ihn übernehmen wollte.
Der Direktor hatte einen Plan. Wenn ich, die erfolgreiche Mörderin, Ronald Dumb, den sattsam bekannten Milliardär, auf meine unauffällige Weise erfolgreich vom Leben zum Tode beförderte, würde er mich laufenlassen und außerdem über die Börse Hunderte von Millionen zusätzlich verdienen. Das Letztere hatte er mir nicht erzählt, ich war ihm trotzdem draufgekommen.
Was ein guter Plan war. Den ich leicht abänderte, damit ich selbst dieses Geld verdienen konnte, denn auch Ronald Dumb bekam eine ähnliche Geschichte vorgesetzt, so dass ich auf beiden Seiten über Derivatehandel massiv verdienen konnte.
Ronald Dumb war ein eitler Pfau von Milliardär, der mehr auf seine Frisur als auf seine Sicherheit bedacht war. Ich ertränkte ihn nach einem gemeinsamen Golfspiel in seinem opulenten Waschbecken, indem ich ihn beim Haare färben unter seine goldenen Wasserhähne zwängte, bis er ertrunken war. Es sah wie ein Unfall aus.
Trophäe Nummer zwei, die größte von allen, nicht zu toppen. Den gefährlichen Unhold beseitigt, viele Millionen verdient, ohne Schrammen davongekommen.
Von New York aus hatte ich mich erst nach England abgesetzt, nach London, und von dort aus nach Schottland.
Auf dem New Yorker Flughafen war mir dieser Jungbulle begegnet, der mich dort nicht erkannt hatte. Ich war mir zumindest nicht sicher; er hatte mich trotz meines veränderten Aussehens angestarrt. Nun tun das viele Männer, denn ich bin eine sehr ansehnliche Frau; bei ihm war das anders. Kritisch, zweifelnd, verdächtigend.
Danach hatte ich ein paar Jahre Ruhe gehabt. Ich hatte nichts getan, mich in meiner neuen Identität in London herumgetrieben, Leute kennengelernt, nur leider keinen der Royals.
Andererseits wäre mir als gesuchter Mörderin zu viel Publicity schlecht bekommen, selbst wenn mich alle für tot hielten.
Nichtstun war noch nie etwas für mich. Ich habe schon immer den Erfolg gebraucht, den Rausch der Bewunderung, den ansteigenden Schwall des Applauses, den Kick, den mir Morde genauso gaben wie Erfolg. Macht über andere. Ich war die Beste, und alle sollten das wissen.
Andere Gefühle waren etwas für Loser.
Irgendwann erzählte mir ein flüchtiger Bekannter in einem Londoner Club, dass er eine der geschlossenen Destillen in Schottland kaufen wolle; es gäbe einige mit hervorragenden Namen, und schottischer Whisky wäre noch für Jahre eine erfolgversprechende Investition.
Das war etwas nach meinem Geschmack. Ein Schloss in den Highlands, Beschäftigung als Herstellerin eines erstklassigen Brandes, Zeit zum Schreiben und für die Kunst. Werke in 3D-Druck sind meine Spezialität; sie mussten ja nicht wieder die Asche von Leichen enthalten. Eine Destillerie als Feigenblatt für mein zusammengemordetes Vermögen, das war es. Korrekt Steuern zahlen, ansonsten im Hintergrund bleiben, nur die Creme der Gesellschaft treffen, als eine neue Frau, die mit den Mörderinnen Viola und Johanna nichts zu tun hatte.
Bis mein schlechtes Karma wie ein Bumerang auf mich zurückgeflogen kam, in Form des Schnüfflers Lukas Jansen, der scheinbar gern Whisky trank und plötzlich und unerwartet hinter mir gestanden hatte.
Und mich erkannte.
Gut. Wenn er schon Whiskyliebhaber war, sollte er Whisky bekommen, bis an sein Lebensende. Mit den richtigen Beigaben, so dass er gar nicht lange auf dieses Ende warten musste. Vorher musste ich meine Spuren wieder verwischen und mich unsichtbar machen. Ein paar Tage später, ein, zwei Wochen, dann konnte er mit einem Glas in der Hand vor seinem Kamin friedlich einschlafen.
Genau so würde ich es machen.
Kapitel 2
Während des Landeanfluges auf Heathrow fiel sein Blick auf die Londoner City, aus der ein markanter Turm wie der Überrest einer zersprengten Kathedrale nach einem nuklearen Angriff herausragte. The Shard, daneben die Tonne des Gherkin, dazwischen die altehrwürdigen Baudenkmäler wie St. Pauls und der Tower of London.
Die Hauptstadt der Sünde, was finanzielle Gier anging. Lukas Jansen, inzwischen Beamter beim BKA, hatten mehrere Spuren hierhergeführt.
Um die Versorgung Deutschlands mit