Ludwig Bechstein

Der Dunkelgraf


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der Hefe, zu liebäugeln sich herabließ und sich wegwarf. Aber zuletzt sind Sie selbst solch ein elender Demokrat, Windt!

      Der Haushofmeister war einen Augenblick betroffen durch den schneidenden und vorwurfsvollen Ton der alten Frau, deren Gemüth jetzt an der empfindlichsten Stelle und durch eine der unliebsamsten Erinnerungen berührt worden war; doch blieb er gefaßt und entgegnete in seiner zwar unterwürfigen, aber stets würdevollen Redeweise: Ihro Excellenz scheinen sich im Augenblick nicht daran erinnern zu wollen, daß die oranische Partei, für welche der Herr Graf wirkt, nicht die sogenannte Volkspartei war, daß erstere vielmehr durch die untern Schichten gegen die letztere zu wirken suchte, daß aber auch die niederländischen Republikaner keineswegs eine Revolution wollten. Der Herr Graf ist als Oberrichter stets gerecht und unparteiisch erschienen; er hat darauf das wachsamste Auge, daß Niemand Unrecht erleide, er hilft Allen, denen er nur irgend helfen kann, seien es sogenannte Patrioten, oder keine, und viele Unglückliche hat er als geschickter und rechtskundiger Anwalt so vertheidigt, daß sie schweren Strafen entgingen, denen sie ohne ihn anheim gefallen wären; daher verdient sein Benehmen, als das eines Mannes von Wort und von Ehre, weder Tadel noch Mißtrauen. Und was endlich meine »elende Demokratie« betrifft, wie Excellenz sich auszudrücken beliebten, so gebe ich dem Wunsche Worte, es möchte das ganze heilige römische Reich so glücklich sein, lauter Demokraten meines Schlages zu besitzen, dann würde überall Ruhe, Friede und Ordnung, und nirgend Empörung gegen Obere sein. Aber jeder Mensch hat minder oder mehr Gefühl für die Freiheit; wer dieses läugnet oder verläugnet, ist ein feiler Sclave, oder in seiner eigenen Seele selbst ein Stück von einem Despoten; ich bin keins von beiden. Derjenige jedoch, welcher an der gegenwärtigen, fanatischen, wahnsinnigen französischen Freiheitsraserei Theil nimmt und Behagen daran findet, ist ein Jacobiner, ein Anarchist, ein Verbrecher: das bin ich auch nicht, sondern stets zu Ihrer Excellenz Diensten.

      Wackerer Windt – vergeben Sie mir, wenn ich Sie kränkte! sprach die Reichsgräfin mit ernstem Gefühl, und immer höher stieg der Mann in ihrer Achtung, der mit dem redlichsten Diensteifer die Würde des Hauses wie seine eigene nicht einen Augenblick aus den Augen setzte.

      Der Eintritt des jungen Herrn, der schon fast völlig reisefertig erschien, unterbrach das Gespräch der Gebieterin und des Dieners. Ludwig brachte seiner Gönnerin den üblichen Handkuß als Morgengruß dar und ihr Herz, so fest und stark es war, hart geworden durch die Jahre und die Fülle bitterer und schmerzlicher Erfahrungen, wallte auf bei dem Andenken an die Trennung von dem Liebling, der heute ihr so bleich und trauervoll nahte.

      Ein freundlich bittender Augenwink der Reichsgräfin entließ Windt, und gleich nach dessen Entfernung redete sie den Enkel mütterlich liebevoll an.

      Du bist heute so blaß, mein Ludwig Carl – du fühlst was ich fühle. Du willst fort, und die Trennung von mir thut deinem kindlichen Herzen weh?

      Theuerste Großmutter! antwortete der Enkel: ich wollte, der Erbherr hätte seine That gegen mich gestern vollbracht; glauben Sie mir, mir wäre besser. Mir wurde eine Wunde geschlagen, die niemals heilen wird – Gedanken stürmen in meiner Seele, die ich niemals dachte – ich kannte nicht den Haß, nicht das brennende Gefühl der Rache, nicht die Schaam über einen Makel, den ich ohne Schuld mit mir durchs Leben tragen soll. Beste Großmutter! Ich beschwöre Sie, entdecken Sie mir Alles – bin ich ein Edelmann, gehöre ich zu Ihrer Familie, oder bin ich –?

      Wie du kindisch fragst, mein liebes Kind! war die Antwort. Würde ich dich laut und offen meinen Enkel nennen? Würde ich dich mit Sorgfalt und Liebe auferzogen haben? Würde ich dir gestattet haben, unser Wappen zu führen? Glaube das Eine fest, und lasse dich durch das Andere nicht beugen. Du bist auf dem Wege ein Mann zu werden, sei ein Mann! Vergiß das Herbe und Peinliche der gestrigen Stunde; vergieb dem Grafen: er war gereizt, er wußte nicht, was er that.

      An ihm wird es daher sein, mich um Vergebung zu bitten, entgegnete der Jüngling, dessen Wangen neu auflodernde Schaam mit Zorn im Bunde wieder röthete.

      Lass’ das jetzt, sprach die Gräfin. Entdecken kann und darf ich dir nichts, mein geliebtes Kind! Du mußt das Dunkel deiner Geburt mit dir nehmen als deinen Schatten, denn ich bin nicht berechtigt, die Geheimnisse gewisser Personen zu lösen, die jene mir anvertraut und die mit sieben Siegeln verschlossen und mit den dichtesten Schleiern überhüllt sind. Aber etwas Tröstliches kann und will ich dir sagen. Es ist ein mächtiger Unterschied, den aber die Befangenheit, Mangelhaftigkeit und Starrheit der Gesetzgebung niemals anerkannt hat, zwischen den zur Welt gebrachten Früchten böser Lust und wilder Sinnengier, die ein Rausch des Augenblicks von dem Lebensbaume abschüttelte, und zwischen jenen Kindern hoher und reiner Liebe, gegen deren gesetzliche Einigung gebieterische Verhältnisse unübersteigliche Schranken zogen. Oft verjüngten sich durch solche Sprößlinge uralte bedeutende Geschlechter, und die Welt hat deß kein Arg. Du hörtest gestern aus meinem Munde ein Beispiel; ich könnte dir deren viele sagen. War es gut oder nicht gut, daß der letzte Graf zu Oldenburg und Delmenhorst, da seine Gemahlin ihm keine Kinder schenkte, den Sohn eines geliebten ihm nicht ebenbürtigen Weibes in die Rechte des alten Stammes einsetzte? Ohne diesen Sohn der Elisabeth von Ungnad, Herrin zu Sonneck – wären wir alle nicht. Möge Gottes Gnade trotz dieser Abstammung von einer Ungnad mit uns allen sein! Meine Großmutter, die Abkömmlingin von Königen, wurde Anton’s des Ersten zweite Gemahlin; die erste, eine Gräfin von Wittgenstein, schenkte ihm nur Töchter; meine Großmutter wurde die Fortpflanzerin des Stammes, von dem auch du ein Zweig bist. – König Alphons der Weise in Aragonien und Sicilien zeugte, da seine Gemahlin Maria, Tochter König Heinrich des Dritten in Castilien, ihn nicht mit Kindern beglückte, drei Kinder außer der Ehe. Seinem erstgeborenen und einzigen Sohne Ferdinand dem Ersten, dem Papst Eugen der Vierte selbst die Rechte gesetzlicher Geburt verlieh, hinterließ sein Vater das Königreich Neapel, der zweite Sohn Friedrich ward vertrieben und kam nach Frankreich, wo er starb. Dieser Letztere wurde der Großvater der Erbtochter des Hauses de la Val, Anna, deren Gemahl Franz de la Tremouille, Prinz von Talmont, wurde. Beider ältester Sohn, Ludwig, wie du geheißen, war der erste Herzog von Thouars, er war mein Urgroßvater, und unser Haus wurde auf das Engste verwandt und verschwägert mit allen den hohen, alten, angesehenen Familien derer von Bouillon, von Orleans, von Montmorency, der de la Tour d’Aubergne, der Taleyrand und anderer in Frankreich, der Sforza in Mailand, der Landgrafen zu Hessen, durch meine Urgroßmutter, und der Herzoge zu Sachsen, denn meine Urgroßtante Maria wurde die Gemahlin des Herzogs Bernhard zu Sachsen-Jena, eine Linie, die leider früh erlosch. Aus diesen Beispielen magst du entnehmen, daß eine in Dunkel gehüllte Abstammung, die vielleicht einst noch in Licht und Glanz zu Tage treten dürfte, je nachdem des Glückes und der Zeiten Gunst oder Ungunst waltet, noch lange kein Schimpf und kein Makel ist, mindestens nicht in den Augen der Einsichtvollen und Vernünftigen, denn überhaupt erinnert das an das alte Sprichwort: »es ist ein wunderkluges Kind, das seinen Vater kennt.«

      Der Enkel schwieg zu dieser Rede und blickte mit träumerischem Sinnen auf die Werke seines spielenden Fleißes, die Münztafeln.

      Du willst reisen, und du mußt reisen – fuhr die Reichsgräfin fort. Längst fühlte ich das, aber die große Liebe zu dir, die trauliche Macht der Gewohnheit unseres täglichen Beisammenseins, mein Alter, der Gedanke, daß unsere erste Trennung wohl eine Trennung für immer ist, bewältigte meine Einsicht und machte mich schwach und allzu nachgiebig gegen mich selbst. Das Schicksal führte diesen Anstoß herbei, ich muß dich von mir lassen, du liebes Schmerzenskind! Setze dich, höre mich weiter an, und vergiß nie in deinem ganzen Leben – möge es ein langes und glückliches sein – dieser heutigen ernsten und wichtigen Stunde! Wie ich auch gepeinigt, gedrückt, bedrängt und so zu sagen fast ausgezogen worden bin, arm haben sie mich, trotz ihres allerbesten Willens und trotz herzoglich oldenburgischer und königlich dänischer Hülfe doch nicht machen können; es hätte so gar wenig gefehlt, so wäre der deutsche Kaiser vermocht worden, gegen die alte eigensinnige Frau, die ihr Geld nicht alle hergeben wollte, einige Reichstruppen marschiren zu lassen. – Da fast Alles von mir kommt, ist’s zuletzt kein Wunder, daß man es von mir haben will, denn von den Schätzen des Hauses habe ich noch nichts gesehen, und die Lehengüter im Mond tragen höchstens einmal einen Steinregen ein. Gleichwohl will ich ihnen nichts vergeben, nicht auf’s Neue den Vorwurf unüberlegter Schenkungen auf mich laden, wie ich allerdings gethan. Ich selbst bedarf wenig mehr; ich werde