einen roten Unterbau, der bis zum ersten Stock reicht, und einen weißen Oberbau bis zum Dach. Dazukommt, wiederum teilend und zerkleinernd, im obersten Stock allerlei Fachwerk, das gar nicht dahingehört und an soliden Bauten nichts als Blendwerk bedeutet. Statt sich in die Hefte der englischen Zeitschriften zu vertiefen, wie sein Vorgänger an der Marineakademie in seine (oder anderer) italienische Erinnerungen, hätte sich der Erbauer dieses großen Hotels das Schweffelsche Haus in Kiel ansehen und sich fragen sollen, was sich dort an entwicklungsfähigen Gedanken findet, oder alte Herrensitze des siebzehnten oder achtzehnten Jahrhunderts in Holstein und Schleswig. Er hätte nichts gefunden, das er hätte kopieren dürfen. Aber er hätte Wirkungen beobachten können. Vom Gebäude des Yachtklubs soll man lieber gar nicht sprechen, wenigstens nicht von der Fassade.
Bis zur Seebadeanstalt reicht heute der Stadtkern von Kiel. Alle Lebensmächte, die die Entwicklung bestimmt haben und noch bestimmen, sind, wie es sonst nirgendwo vorkommt, dem Gelände angepasst in langer Linie hintereinander aufgereiht, Kirche, Schloss, Universität, Marineakademie, Seebadeanstalt. Aber die Stadt reicht weiter. Am jenseitigen Ufer gehören die großen Werften dazu, von Holtenau her grüßen die neuen Torpedokasernen am Torpedohafen, und das früher wie eine ferne Nachbarstadt im Abendlicht leuchtende Friedrichsort mit seinen Kasernenbauten erscheint heute schon zur Stadt gehörig. Die ganze Förde ist jetzt der Marine untertan. Die Marine hat Kiel, das vor einem Menschenalter nicht viel mehr als zwanzigtausend Einwohner zählte, auf gegen hundertfünfzigtausend gebracht. Ältere Hamburger, die Kiel in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gekannt haben, müssen sich erst besinnen, dass Kiel eine Großstadt geworden ist. Kiel ist es freilich wie fast alle heutigen Großstädte nur der Einwohnerzahl nach, nicht durch Leistungen, die über die mechanische Einrichtung des Lebens hinausgehen. Es könnten Dutzende von solchen Großstädten in Europa vom Erdboden verschwinden, ohne dass die Menschheit um ein Atom an wertigem Besitz ärmer würde. Wir müssen uns daran gewöhnen, in den heutigen Großstädten, in der modernen Stadt überhaupt, etwas anderes zu sehen, als in der antiken oder mittelalterlichen. Sie formt keinen geschlossenen Organismus mehr. Sie hat keine Bürger, sondern nur Einwohner. Sie verlangt nichts von sich, ihre Einwohner verlangen nichts von ihr, niemand wundert sich, wenn sie nichts anderes leistet als mechanische Verwaltungsarbeit der Polizei-, Sicherheits-, Versorgungs- und Reinigungsdienste. Wenn es gelänge, die schlafenden Stadtseelen zu wecken? Oder sind sie tot für immer?
Wir lagen ruhig auf dem Heck im Sonnenschein und warteten auf die nächste Brise. Aber ohne Ungeduld. Alle Hast war von uns gewichen, wir fühlten keinen Antrieb mehr, wollten nichts erreichen, hatten nicht das Bedürfnis, vorwärts zu kommen. Der Augenblick erfüllte und genügte uns. Spät abends erhob sich der Wind. Wir steuerten unserem nächsten Ziel zu, Kopenhagen. Als wir am anderen Morgen früh ans Deck stiegen, kreuzten wir im Sund.
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