Jules Verne

20.000 Meilen unter dem Meer - Band 1


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wie am Abend zuvor, ließ Ned-Land sich wieder vernehmen:

      »Der fragliche Gegenstand hinten links!« Die Blicke Aller richteten sich dahin.

      Dort, eine und eine halbe Meile entfernt, sah man einen langen, schwärzlichen Körper einen Meter über die Wellen emportauchen. Sein Schwanz erregte mit gewaltigen Schlägen einen ungeheuern Wirbel. Blendend weißes, unendlich ausgedehntes Kielwasser bezeichnete in langer Curve die Bahn des Thieres.

      Die Fregatte kam demselben nahe, und ich konnte es genau beobachten. Die Berichte des Shannon und der Helvetia hatten die Verhältnisse etwas übertrieben, und ich schätzte seine Länge auf nur zweihundertundfünfzig Fuß. Seine Dicke zu schätzen war schwierig, aber im Ganzen schien mir das Thier in den drei Dimensionen wohl proportionirt.

      Während ich das phänomenale Geschöpf beobachtete, schleuderte es aus seinen zwei Luftlöchern zwei Strahlen von Dampf und Wasser, die vierzig Meter hoch stiegen. Dies gab mir über die Art seines Athmens einen bestimmten Begriff. Ich entnahm daraus entschieden, daß es zu den Wirbelthieren gehörte, der Classe der Säugethiere, Gruppe der fischförmigen, Ordnung der wallfischartigen. Ueber die Familie konnte ich mich noch nicht aussprechen. Es gehören die Wallfische, Pottfische und Delphine zu derselben Ordnung, und die Narwal zu Letzteren. Das Weitere hoffte ich mit Gottes und des Commandanten Hilfe bald bestimmen zu können.

      Die Mannschaft harrte mit Ungeduld der Befehle ihres Commandanten. Dieser ließ, nachdem er das Thier genau besehen, den Ingenieur rufen. Derselbe kam unverweilt.

      »Mein Herr, sagte der Commandant, haben wir den nöthigen Dampf?

      – Ja, mein Herr, war die Antwort.

      – Gut, heizen Sie stärker, bis zu voller Dampfkraft.«

      Dreimaliges Hurrah erschallte. Die Stunde des Kampfes hatte geschlagen. Nach wenigen Augenblicken entströmten schwarze Dampfwolken den beiden Rauchfängen der Fregatte, und das Verdeck zitterte unter den Schauern der Kessel.

      Der Abraham Lincoln, von seiner gewaltigen Schraube getrieben, fuhr gerade auf das Thier los. Dieses ließ ihn bis auf halbe Kabellänge gleichgiltig an sich heran kommen; darauf, ohne unterzutauchen, machte es eine Wendung zur Flucht, beschränkte sich jedoch darauf, seine Entfernung zu behaupten.

      Dies Verfolgen dauerte etwa dreiviertel Stunden, ohne daß die Fregatte dem Thier nur zwei Klafter abgewann. Es war klar, daß man so es nie erreichen würde.

      Der Commandant Farragut drehte wüthend den dichten Büschel unter seinem Kinn.

      »Ned-Land!« rief er.

      Der Canadier kam.

      »Nun, Meister Land? fragte der Commandant, werden Sie mir noch rathen, meine Boote in's Meer zu lassen?

      – Nein, mein Herr, erwiderte Ned-Land, denn dieses Thier läßt sich nur mit seinem Willen fangen.

      – Was fangen wir also an?

      – Steigern Sie wo möglich die Dampfkraft, mein Herr. Ich meines Theils will, mit Ihrer Erlaubniß, mich auf den Wasserstag verfügen und, sobald wir auf Harpunenlänge kommen, will ich harpunieren.

      – Thun Sie das, Ned, erwiderte der Commandant. Ingenieur, rief er sodann, steigern Sie den Dampf.«

      Ned-Land begab sich auf seinen Posten. Die Feuer wurden noch mehr geschürt, die Schraube drehte sich dreiundvierzig Mal in der Minute, und der Dampf strömte aus den Klappen. Man constatirte mit dem Log, daß der Abraham Lincoln im Verhältniß von achtzehn Meilen die Stunde fuhr.

      Aber das verdammte Thier fuhr mit gleicher Geschwindigkeit.

      Noch eine Stunde lang setzte die Fregatte dieses Verfahren fort, ohne eine Klafter zu gewinnen! Das war entmuthigend für einen der schnellsten Dampfer der amerikanischen Marine. Ein stiller Zorn ergriff die Mannschaft; die Matrosen fluchten dem Ungeheuer, das übrigens ihnen zu erwidern verschmähte.

      Der Ingenieur wurde abermals gerufen.

      »Haben Sie den höchsten Grad des Dampfes? fragte der Commandant.

      – Ja, mein Herr, erwiderte der Ingenieur.

      – Und Ihre Klappen sind gestellt? ...

      – Zu sechs Atmosphären und eine halbe.

      – Richten Sie dieselben auf zehn.«

      »Conseil, sagte ich zu meinem wackern Diener der neben mir stand, weißt Du, daß wir vermuthlich in die Luft springen werden?

      – Wie es meinem Herrn beliebt!« erwiderte Conseil.

      Nun! Ich gestehe, ich wäre schon zufrieden es zu riskiren.

      Die Schnelligkeit des Abraham Lincoln ward demnach gesteigert. Seine Masten zitterten bis auf den Grund, und die Rauchwirbel konnten durch die zu engen Röhren kaum hinausdringen.

      Man warf abermals das Log.

      »Nun, Steuerer? fragte der Commandant.

      – Neunzehn und dreizehntel Meilen, mein Herr.

      – Noch stärker feuern!«

      Der Ingenieur gehorchte. Das Manometer wies zehn Atmosphären. Aber das Ungeheuer »heizte« ohne Zweifel ebenfalls, denn es fuhr ganz leicht auch seine neunzehn und dreizehntel Meilen.

      Welch ein Verfolgen! Die Gemüthsbewegung, welche mein ganzes Wesen ergriff, läßt sich nicht beschreiben. Einigemal konnte man dem Thiere nahe kommen.

      »Wir bekommen es! wir bekommen es«, rief der Canadier. Dann, sowie er im Begriff war zu werfen, entwischte es mit einer Schnelligkeit, die mindestens auf dreißig Meilen die Stunde sich schätzen ließ. Und selbst bei unserer höchsten Schnelligkeit erlaubte es sich die Fregatte durch sein Spiel zu höhnen!

      Um zwölf Uhr waren wir noch nicht weiter, als um acht. Nun entschloß sich der Commandant Farragut zu directeren Mitteln.

      »Ah! sagte er, das Thier fährt schneller, als der Abraham Lincoln! Nun, wir wollen sehen, ob es seinen Spitzkugeln sich entziehen wird. Meister, Mannschaft an das Geschütz vorne!«

      Die Kanone des Vorderkastells wurde unverzüglich geladen und aufgeprotzt. Die Kugel wurde abgeschossen, sie fuhr aber einige Fuß über dem Thiere weg, das eine halbe Meile entfernt war.

      »Ein Anderer, der's besser versteht! rief der Commandant, und fünfhundert Dollars, wer die höllische Bestie trifft!«

      Ein alter graubärtiger Kanonier mit ruhigem Blick, kalten Gesichtszügen, trat hinzu, richtete und visirte lange. Ein tüchtiger Schuß, und jubelndes Hurrah der Mannschaft.

      Die Kugel traf, aber nicht regelrecht; sie glitt an der runden Fläche ab und fuhr zwei Meilen weiter in's Meer.

      »Teufel! schrie der Kanonier wüthend, der Schuft ist sechs Zoll dick gepanzert!

      – Verdammt!« rief der Commandant Farragut. Die Jagd ging von Neuem an, und der Commandant sprach zu mir:

      »Ich verfolge weiter, und sollte die Maschine platzen!

      – Ja, erwiderte ich, und Sie haben Recht!«

      Man mochte hoffen, das Thier werde ermüden, und nicht so gleichgiltig sein, wie eine Dampfmaschine. Aber damit war's nichts. Es verflossen Stunden ohne alles Zeichen von Ermüdung.

      Uebrigens muß man anerkennen, daß der Abraham Lincoln mit unermüdlicher Ausdauer kämpfte. Ich schätze, daß er an dem unseligen 6. November mindestens fünfhundert Kilometer lief! Aber es kam die Nacht und hüllte das unruhige Meer in Dunkel.

      In dem Augenblick glaubte ich, unsere Expedition sei zu Ende, und wir bekämen das Thier nicht mehr zu Gesicht. Ich irrte. Um zehn Uhr fünfzig Minuten kam die elektrische helle Stelle wieder zum Vorschein, drei Meilen von der Fregatte, so rein und stark, wie in der vorigen Nacht.

      Der Narwal schien unbeweglich. Vielleicht schlief er vor Ermüdung, und wiegte sich auf den Wogen? Das wollte der Kommandant benutzen.

      Er ertheilte seine Befehle. Der Abraham