Renate Zawrel

Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft


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wird, Frederic. Mein Frühstück möchte ich wie immer im Wintergarten einnehmen.«

      »Sehr wohl, Sir.« Mit einem Seitenblick auf das Chaos im Zimmer erkannte Frederic, wie die Nacht verlaufen war und hob kaum merklich eine Augenbraue. Die Andeutung eines Lächelns huschte über sein schmales Gesicht, doch im nächsten Moment verschwand es wieder.

      Alle Angestellten des Lords wusste über die Eigenheiten Sir Edwards, sein Privatleben betreffend, Bescheid. Keiner nahm daran Anstoß und niemand würde je in der Öffentlichkeit darüber sprechen. Untereinander rätselte das Personal dagegen, wer die Frau …

      »Darf ich daran erinnern, Sir, dass heute die Leute von der Filmgesellschaft kommen?«, meldete Frederic höflich, während er den Lord zum Wintergarten begleitete.

      Dort schien bereits der Frühling eingekehrt zu sein: Die Beleuchtung stammte von eigens installierten Tageslichtlampen. In den im Boden eingelassenen kleinen Beeten blühten Tulpen und Narzissen. Nur der Blick durch die tadellos sauberen Glaswände verriet, dass der süditalienische Winter noch nicht gewichen war. Eine dünne Schneelage bedeckte hier und da die Rasenflächen und die kurzgeschnittenen Hecken der Anlage. Die kahlen Äste der Bäume ragten glanzlos in den grauen Morgen. Die immergrünen Palmen waren aus diesem Blickwinkel nicht zu sehen.

      Auf einem filigran wirkenden, silbernen Tablett erwarteten den Lord Croissants, Marmelade, Toastbrot, zarter Lachsschinken und Käseröllchen. Dazu gab es Kaffee und – nicht zu vergessen – ein Glas Tomatenjuice, das der Lord seit Jahren jeden Morgen zum Frühstück trank. Diesem Vitaminstoß schrieb er auch seine Vitalität und Manneskraft zu, obgleich er in dieser Hinsicht ein wenig mogelte.

      »Ja, Frederic«, bestätigte er nun die Erinnerung des Butlers. »Ein Gespräch mit der … wie nannte sie sich doch …«

      »Winestore Company, Sir«, half Frederic ohne Zögern aus.

      »Winestore, richtig«, wiederholte der Lord. »So ist mir der Name auch erinnerlich.«

      Damit war die Angelegenheit erledigt. Sir Edwards Aufmerksamkeit galt nun den Aktienkursen in der Financial Times. Ohne von der Zeitung aufzusehen, verlangte er nach dem Mobiltelefon. Der Butler reichte es ihm stumm und zog sich diskret zurück.

      Mit langen Schritten durchmaß Frederic den Salon. Dort begegnete ihm Pascale – laut Geburtsschein Paula, ebenfalls eine Deutsche.

      Pascale arbeitete als Zimmermädchen. ›Mädchen‹ im wörtlichen Sinn war stark übertrieben: Sie hatte die Fünfzig bereits hinter sich, sprühte jedoch vor Lebhaftigkeit und wirkte dadurch bedeutend jünger. Sie war zwei Köpfe kleiner als der Butler.

      »Pascale, das Schlafzimmer des Lords sieht wüst aus. Kümmerst du dich?«, bat Frederic, jetzt allerdings grinsend. »Sein Sonntagsvergnügen war wieder da. Die müssen ordentlich ge…«

      »Frederic, du sollst dich nicht so ordinär ausdrücken«, unterbrach ihn Pascale. Aber sie lachte. »Bin schon unterwegs.« Flink wieselte sie davon.

      Die Angestellten pflegten untereinander einen lockeren Umgangston. Die ihnen von Lord Lindsay verordneten französischen Namen verwendeten jedoch auch sie der Einfachheit halber.

      Frederic war der an Lebensjahren Älteste. Das schwarze, dichte Haar trug er, durch Pomade unterstützt, straff nach hinten frisiert. Es verlieh ihm einen achtungsgebietenden Ausdruck. Der schwarze Anzug saß tadellos und seine Schuhe glänzten wie Speckschwarte. Um die Angelegenheiten des Haushalts kümmerte sich vor allem eine attraktive Frau schwer bestimmbaren Alters. Sie stammte aus Österreich, hieß Marianne und der Lord hatte ihr den Namen Marie verpasst.

      Diese Marie schien ein wahres Multitalent zu sein. Sir Edward hatte ihr die Leitung des Haushalts anvertraut, übertrug ihr desgleichen Arbeiten, die einer Sekretärin zukamen, und erbat sich ihren Rat sowie ihre Hilfe in vielerlei persönlichen Dingen. Wenn Gäste angesagt waren, ließ er ihr auch bei der Zusammenstellung der Speisen grundsätzlich freie Hand.

      In der Küche betätigten sich Monique – abgeleitet von Monika, Francine – die einzige waschechte Französin – und Angelique, die eigentlich Angela hieß. Der Koch, Pierre, hatte eine etwas längere Gewöhnungszeit gebraucht, ehe er knurrend seinen italienischen Namen Pietro ablegte. Außer den bereits Genannten arbeiteten für den Lord noch zwei Gärtner, ein Chauffeur und zwei Kammerzofen – Mädchen, die für die Wäsche zuständig waren.

      Falls für ungeplante Mehrarbeiten erforderlich, stellte Lindsay manchmal auch einfache Leute aus dem Volk ein, von denen er wusste, dass sie dringend eine finanzielle Aufbesserung der Haushaltskasse nötig hatten.

      ***

      Sir Edward Lindsay – wie gesagt, erklärter Liebhaber des Französischen – hatte den Landsitz in der Nähe Neapels vor mehr als zehn Jahren von einer sehr weitläufigen Verwandten geerbt. Die alte Lady hatte zwar nicht auf dem Anwesen gelebt, es jedoch ganz im alten Stil pflegen lassen. Wanderte man durch den Garten, fühlte man sich in ein anderes Land versetzt. Überall dominierten die berühmten englischen Rasenflächen. Im Moment lag allerdings hier und da etwas Schnee, selten genug für die Gegend um den Vulkan.

      Die Neapolitaner – soweit sie zur finanzkräftigen Oberschicht oder der Welt des Business gehörten – hatten sich an den in ihren Augen etwas verschrobenen Lord gewöhnt. Schließlich befand sich in einem der Flügel des Landsitzes eine umfangreiche und sehenswerte Bildergalerie, die er auf Wunsch auch Touristen zugänglich machte. Vor allem aber brachte er der Stadt Geld, allein schon durch die umfangreichen Einkäufe ausgesuchter Delikatessen, teure Ausstattungen aller Art und nicht zuletzt durch den Kauf kostspieliger Geschenke, für wen auch immer sie sein mochten. Seine soziale Kompetenz, wie schon erwähnt, tat ihr Übriges, um den Lord als einen der Ihren zu betrachten.

      Sir Edward ließ sich in der Hafenmetropole allerdings sehr selten auf der Straße blicken. Besorgungen wurden größtenteils von Marie gemacht. Der Lord machte sich nicht so viel aus Italien. Viel lieber wäre ihm ein Gut in der Normandie gewesen, doch er hatte nun einmal dieses Anwesen geerbt. Und deshalb verband er hier, was er und wie er es sich wünschte: Englische Lebensart und französisches Savoir-Vivre – am Fuß des Vesuvs.

      Ein Sonderling war Sir Edward Lindsay schon, aber ein liebenswerter und zudem ein Nachkomme britischer Lords, die darauf stolz waren, in einer Nebenlinie mit dem englischen Königshaus verwandt zu sein.

      ***

      Ronald Graham hatte als Thema für sein Filmprojekt die Mafia, die scheinbar ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ gewählt. Die komplizierten Ermittlungen der Rechtsorgane, die Mischung aus Korruption, Machtgier, Erpressung und nicht zuletzt Mord, machten diese Geschichte – betitelt Il Vesuvio – zu etwas äußerst Brisantem.

      Beeindruckend waren auch die Namen der Schauspieler, die Graham für dieses Projekt bereits verpflichtet hatte: Brendon Pitts, Malcolm Mortimer jun., Karl Landmann. Diese Namen sollten die Menschen in die Kinos locken.

      Das Landgut des Lords hatte er sich als Hauptsitz des Padrone Carlo Montessa gedacht. Natürlich würde Graham während der Dreharbeiten auf alles Rücksicht nehmen, was Interieur, Landschaft und das Privatleben des Lords betraf. Und das eben wollte er heute mit Sir Edward besprechen.

      ***

      Lord Lindsay blickte auf seine Taschenuhr. Für zwei Uhr nachmittags war der Termin mit dem Regisseur vereinbart worden. Sir Edward liebte Pünktlichkeit – noch fünf Minuten. Sie würden mit darüber entscheiden, ob er dem Angebot der Filmgesellschaft zustimmte. Denn wenn schon jetzt Unzuverlässigkeit im Spiel war, wie sollte das dann in Zukunft aussehen? Keinesfalls wollte Sir Edward sich zudem in seinem gewohnten Lebensrhythmus stören lassen.

      Die Geschichte, die hier verfilmt werden sollte, interessierte ihn allerdings. Schon immer waren die Mafia und ihre verborgene Welt sein Steckenpferd gewesen. Nur zu gut wusste er jedoch, dass alles, was dieses Thema betraf, hier nur hinter vorgehaltener Hand weitergegeben wurde. In der Öffentlichkeit vermied man es tunlichst, das Wort Mafia zu erwähnen oder Camorra, wie es in Neapel hieß. Es konnte infolge unbedachter Äußerungen durchaus passieren, dass der Betreffende an der nächsten Straßenecke