gekommen bist, kannst du ja einmal umblättern, du wirst es ja jederzeit weglegen können.”, sprach ich mir zu.
Ich näherte mich also vorsichtig und nahm es in die Hand, dann schaute ich über die Schulter, es könnte mich ja jemand durch das Fenster beobachten, der zufällig meine Trinkkumpane kannte und ihnen davon erzählen. Dann erinnerte ich mich, dass ich mich fernab von Österreich in Mexiko befand und noch nie einen Trinkkumpanen hatte, mit dem ich nicht schon nach dem zweiten Mal nebeneinandersitzen zu streiten oder gar zu raufen angefangen habe. Also beruhigte ich mich wieder, schlich zur Bank vor dem Fenster und öffnete das Buch.
“Luczizcki, bist du da?” Es klopfte am Fenster, ich sprang auf. Aus dem rechten Mundwinkel rann ein kleiner Streifen Speichel. Ich zog den Vorhang zur Seite. Diana meine Nachbarin stand davor.
“Wo sollte ich sonst sein?”
“Zieh dir eine Hose an, wenn du mit einer Frau sprichst, Luczizcki, du bist hier nicht in Europa.”
“Mir wird dieses Gespräch aufgezwungen, ich hätte gern noch etwas geschlafen.” Sie hatte eine Jacke an obwohl die Sonne schien. Ich öffnete die Türe und suchte nach meiner Hose.
„¡Qué Dios!”, entfuhr es ihr, “hier stinkt es ja wie auf einer Nerzpelzfarm.” Sie trat ein in die Dunkelheit die zurückgekehrt war, nachdem ich den Vorhang losgelassen hatte. Sie steuerte geradewegs darauf zu, riss ihn zur Seite und das Fenster auf - die Tür krachte zu.
“Ich bin ja schon munter, hör auf mit dem Krach.”
“Sag einmal, Luczizcki? Hast du die ganze Flasche alleine gesoffen?” Sie war sichtlich entsetzt, ich immer noch auf der Suche nach meiner Hose. Wenn ich mich nur daran erinnern könnte, was ich am Vorabend getrieben hatte.
“Es waren zwei lange Tage.”
Die Hose schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
“¡Dios y todos sus santos!”
`Diese Mexikaner und ihre Heiligen!´, dachte ich, während ich Schublade nach Schublade aufriss. In einer fand ich eine kurze Hose - die musste vorerst genügen.
“Du musst wieder aus dem Haus, Luczizcki! Du bist schon seit einer Woche in Tampico und ich hab dich noch nie außerhalb des Hauses gesehen.”
“Verfolgst du mich etwa?”
“Ich habe einen zwölf Stunden Job und auch ohne den hätte ich viel besseres zu tun, aber Sorgen macht mir das schon.”
“Mir machen deine Arbeitsstunden Sorgen, ich befehle dir trotzdem nicht daheimzubleiben.”
Falls ich mich recht erinnere, arbeitete sie als Ärztin für PEMEX, das Ölunternehmen, welches so gut wie jeden einzelnen Einwohner dieser Stadt, der im arbeitsfähigen Alter war, anstellte. Es könnte aber auch sein, dass sie Zahnärztin oder Tierärztin war, bei unserem bislang einzigen Treffen war ich betrunken, also unfähig Informationen entsprechend zu verarbeiten.
“Ich dachte, du gehörtest zu diesen unternehmungslustigen und spannenden Ausländern, einer mit dem man Spaß haben könnte.”
“Wenn du mit Spaß Alkohol meinst, dann liegst du da gar nicht einmal so falsch.”
“Ich hätte mich nie mit dir eingelassen Luczizcki, hätte ich gewusst, dass du nichts weiter als ein Säufer bist, davon haben wir schon genug in Mexiko.”
“Du warst einfach rattig und wolltest es mit dem Europäer treiben, ich kann dir keinen Vorwurf machen.” Ich wollte nachsehen, ob ich etwas Essbares im Kühlschrank finden konnte, obwohl ich schon lange nichts hineingetan habe. Dort lag meine Hose, schön zusammengefaltet.
“Macht man das so bei euch in Europa?” Sie war hinter mir aufgetaucht, ich habe sie nicht kommen gehört.
“Was meinst du?”
“Na, alles, die Hose im Kühlschrank aufbewahren, unfreundlich zu den Frauen sprechen...”
“Ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen, lass uns Essbares suchen gehen.”
“Ich kann dir ein paar Spiegeleier machen, mit Schinken, zwei Bananen liegen auch noch rum. Du solltest einkaufen gehen und diesmal nicht nur Alkohol.” Das ‚sollte’ gefiel schon mir schon eher, als das vorher verwendete ‚musst’, ich entschied mich freundlicher zu sein.
“Ein Freund von mir spielt heute bei der Eröffnung einer Kunstausstellung im ‚Metropolitana’, magst du mich begleiten?” Fragte sie mich mit honigsüßer Stimme.
“Kunst? Ausstellung? Was soll das? Was willst du von mir?”
“Jetzt stell dich nicht so an!” Sie gab mir einen leichten Schubser, lachte und zeigte mir ihre strahlendweiße Zahnreihe. Sie sah umwerfend aus, so viel musste ich ihr zugestehen.
“Sag, magst du es manchmal zu pfeifen?”
“Pfeifen?” Sie blickte verwundert, dann pfiff sie kurz. “Meinst du das?”
“Ja!” Jetzt stellte ich sie mir ohne die zwei Vorderzähne vor - verdammt, sie würde immer noch gut aussehen, nur eben ohne Vorderzähne.
“O Dios, was fallen dir nur für Sachen ein? Wieso fragst du so etwas? Oder warte mal, ist das irgendeine schmutzige Anspielung?”
“Nein, ich wollte nur wissen, ob du manchmal pfeifst.”
“Nein, ich denke nicht, keine Ahnung.”
“Gut, ich mag das nämlich gar nicht.”
“Ich freue mich, darüber gesprochen zu haben,” sagte sie und schüttelte den Kopf “kommst du rüber?”
“Ich muss nur noch schnell meine Hose wärmen.” Antwortete ich, legte die Selbige auf die Bank und setzte mich darauf.
“Klopf einfach bei mir an, wenn du so weit bist. Ich bereite schon einmal alles vor.” Sie ging kopfschüttelnd aus dem Haus.
“Eine Kunstausstellung, hast du das gehört Luczizcki, was bildet sie sich ein, wer ich bin?” sagte ich zu mir selbst und musste fast kurz lachen. Dann blickte ich zur Flasche, sie war leer, dann suchte ich nach dem Glas. Vielleicht habe ich mir ja noch das letzte Bisschen eingeschenkt und vergessen auszutrinken. Ich fand das Glas unter der Bank, leer, daneben lag das Buch, ich hatte es beinahe fertiggelesen.
“Das ist alles deine Schuld, Gabriel García Márquez!” Sagte ich mit lauter, verärgerter Stimme. “So fängt das ganze Unglück an, zuerst lese ich, danach gehe ich zur Kunstausstellung und ehe ich mich versehe, rauche ich Pfeife und erkenne genauestens, welche anderen Früchte zum Aroma des jeweiligen Rotweins beitragen. Was hab ich nur angerichtet?“
Ich saß auf der Hose und verfluchte den Nordwind, Mexiko, Bücher, Gabriel García Márquez, Buchstaben, Wörter, Kunst, Ausstellungen aller Art, Wolken, den Kühlschrank und als ich ansetzten wollte, auch meine Nachbarin mit einigen Flüchen zu versehen, fielen mir keine neuen noch ungebrauchten mehr ein. Stattdessen dachte ich an ihren nackten Körper, ihren vollen Busch und daran, wie sehr ich so einen Busch davor vermisst hatte. In Zeiten wie unseren wurden sie immer rarer und schwieriger zu finden. Was kann eine Frau schon gegen einen Busch haben? Die Welt wird verrückt.
Später zog ich mir die Hose an und ging hinüber, klopfte an, wurde hereingebeten, frühstückte, und wir trieben es miteinander bis sie zu ihrer Schicht musste.
3
“Es kommen kaum noch junge Leute zu solchen Ausstellungen, weißt du? Das ist sehr traurig, Luczizcki.”
“Mhh.” Meine Antwort fiel sehr kurz aus. Ich fand, es reichte, dass ich sie begleitete, gezwungenermaßen wohlgemerkt. Ich brauchte mich nicht auch noch an der Konversation zu beteiligen, die sie mir aufzuzwingen versuchte.
“Weißt du, alles worum es in dieser Stadt geht, ist das schwarze Gold, das Erdöl. Alle Jungs wollen einen Job in der Raffinerie ergattern,