Martin Joyce Nygaard

KRASSE MÄRCHEN


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      KRASSE MÄRCHEN

      erdichtet von Kindern, aufgezeichnet und nacherzählt von

      Martin Joyce Nygaard

      Ins Deutsche gebracht und herausgegeben

      von Heinz S. Twardocz

      © 2015 Hurra Forlag, Oslo

       Alle Rechte vorbehalten

       ISBN 978-3-7375-6294-2

      Der Zuckerkrieg

      Vor langer Zeit gab es einmal Süßland und Schokoland. Königin Kara und König Mell lebten in Süßland mit ihren drei Karamellkindern und den Geleemenschen. Schokoland lag auf der anderen Seite vom Zuckerfluss. Dort lebten Königin Bounty und König Mars und alle Weichriegel. Es gab so viele von ihnen, dass die Geleemenschen oft hörten, wie die Weichriegel darüber diskutierten, dass sie zu wenig Platz hätten. Aber niemand hatte je auch nur daran gedacht, in den Krieg zu ziehen, bis eine Smartieskugel das Schlafzimmerfenster eines Karamellkindes zerbrach.

      „Wir werden angegriffen“, schrien sie und sprangen aus ihren Bananencreme-Betten, zogen blitzartig ihre Elefantengummi-Rüstungen an und eilten hinaus auf die Terrasse. Dort bliesen sie ihre Weingummi-Trompeten.

      „Alle Gelee-Menschen an die Waffen!“, riefen sie. Um sie herum und in die Schlossmauern schlugen schon Toffee-Bomben, Schokoladenkugeln und m&m-Granaten ein.

      Die Geleesoldaten eilten mit Fruchtgummis zu ihren kleinen Gummi-Kanonen und feuerten sie auf die Weichriegel. Das brachte aber nicht viel, denn die Weichriegel schrumpften nur, wenn sie getroffen wurden, und ploppten sofort auf ihre Normalgröße zurück. Sie kamen näher und näher heranmarschiert, wobei die Gelee-Soldaten sie wütend mit Fruchtgummis bepfefferten.

      „Ich kann sie nicht mehr aufhalten“, schrie ein Geleemann, und eine Geleefrau rief: „Ich auch nicht“.

      Sie waren schnell besiegt, und die Weichriegel glasierten sie mit Bitter-Schokosoße. Die tapferen Geleekämpfer wurden so in einem dunklen Schokoladenüberzug ganz unbeweglich – einer nach dem anderen –während die Weichriegel fröhlich riefen: „Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen!“

      Königin Kara und König Mell standen verzweifelt oben auf ihrem Zuckerschloss und sahen, wie ihre Karamellkinder zurückgelaufen kamen – verfolgt von einer Horde Weichriegel.

      „Wir müssen uns ergeben“, stöhnten sie, „die Weichriegel sind überall, sogar schon im Schloss“.

      Sie hatten keine Wahl, außer hinunter in den Thronsaal zu gehen und sich den Eroberern Süßlands zu unterwerfen.

      Als die Karamellkinder erschienen, schnappten sich die Weichriegel deren Baisers-Kronen von ihren Köpfen und riefen immer wieder: „Wir haben gewonnen!“

      Die Weichriegel entfalteten eine Karte von Süßland und schnitten sie in Stücke, sodass jeder von ihnen ein Stück erhielt. Sie waren überglücklich, dass nun endlich jeder König eines kleinen Stückchens von Süßland war. Es dauerte aber nicht lange, bis Ihr Jubel sich in Streit verwandelte.

      „Mein Stück Land ist kleiner als deins“.

      „Nein, du hast viel mehr Land als ich“.

      „Aber ich habe nur Kokosberge mit Zuckerguss-Spitzen, die zählen nicht“.

      „Doch, der Zuckerguss ist genauso wertvoll wie Puderzucker“.

      „Wenn du den Guss so sehr magst, würdest du dann vielleicht mit mir tauschen?“

      „Nein, ich will nicht tauschen“.

      „Du hast aber ein viel schöneres Stück als ich. Das ist unfair“.

      Einige Weichriegel begannen, ihre kleinen Gebiete mit Lakritzfäden zu umzäunen. Sobald sie aber einen Grenzpfosten gesetzt hatten, kam ihr Nachbar und steckte ihn woanders hin.

      „Dein Pfosten ist auf meinem Land“.

      „Nein, auf meinem“.

      „Nein, ist er nicht“.

      Schon bald bekämpften die Weichriegel sich gegenseitig und waren so beschäftigt damit, sich zu streiten, dass sie völlig vergaßen, sich um ihre kleinen Zuckerländer zu kümmern. Als die Karamell-Kinder die ganzen Streitigkeiten mitbekamen, beschlossen sie einen Gegenangriff. Im Schutz der Nacht schlichen sie heimlich mit Bürsten und heißem Wasser zu ihren Geleehelden und schrubbten ihnen den Schokoladenüberzug ab. Dann schalteten sie die Kandiermaschinen an.

      Während sich die Weichriegel über Lakritzfäden, Grenzpfosten, Zuckerspitzen und -güsse stritten, umwickelten die Karamellkinder sie mit der klebrigen Kandiermasse.

      Da pappten diese einer nach dem anderen aneinander fest und konnten sich nicht mehr bewegen. Dann rollten die Geleesoldaten die Weichriegel auf die Schokoladenflöße, die sie benutzt hatten, um den Zuckerfluss zu überqueren, und schoben sie auf die andere Seite zurück.

      Am nächsten Morgen, im Licht der ersten Zuckerstrahlen, konnten Königin Kara und König Mel ihre Baisers-Kronen wieder aufsetzen. Das Volk bejubelte beide, und sie winkten glücklich zurück.

      Aber den größten Applaus bekamen all die starken und tapferen Geleesoldaten und die Karamellkinder.

      ***

      Die verliebten Perücken

      Die Perücken lagen wie haarige Quallen auf den gesichtslosen Büsten, als die reiche, glatzköpfige Dame den Laden des Perückenmachers betrat. Sie blickte sich kurz um, wandte sich dann den Perücken für Frauen zu, um diese, eine nach der anderen, genau zu betrachten.

      „Diese hier ist zu dick,“ sage sie und zeigte auf eine, „und die hier ist zu lang. Das ist die falsche Farbe, und die da sieht aus wie Tang.“

      „Wie wär’s mit dieser?“ fragte der Perückenmacher, während er eine mit silbergrauen Locken hochhielt. „Oder diese wellige mit Ringellöckchen?“

      Als die Dame die beiden vor dem Spiegel probierte, wurden zwei der Perücken ganz nervös: Perri und Ricki waren ineinander verliebt und konnten den Gedanken nicht ertragen, voneinander getrennt zu werden.

      „Dich darf sie nicht nehmen,“ flüsterte Perri, während Ricki sich Mühe gab, auf dem Kopf der Dame so hässlich wie möglich auszusehen.

      Was meinst du, für welche Perücke sie sich entschied?

      „Diese hier ist wie gemacht für mich“, sagte sie, während sie Rickis Ringellöckchen aus ihren Augen strich. „Was meinen sie?“

      „Die steht Ihnen ganz wunderbar“, schmeichelte ihr der Perückenmacher.

      Solange er einen Verkauf tätigen konnte, kümmerte ihn die Wahrheit nicht sonderlich.

      „Dann nehme ich sie“, sagte die Dame, während sie ihr Spiegelbild bewunderte. Dabei fiel ihr nicht auf, das Rickis Locken sich verzweifelt zu Perri hin streckten.

      Einige Perücken atmeten erleichtert auf, als die Dame verschwand. Andere waren enttäuscht, dass nicht sie ausgewählt wurden. Aber Perri weinte und heulte bitterlich. Sein Herz war derart gebrochen, dass seine Haare langsam aber sicher grau, trocken und dünn wurden. Als der Perückenmacher Perris Zustand sah, schüttelte er seinen Kopf.

      „Dich kann ich bestimmt nicht verkaufen“, murmelte er und warf ihn in den Mülleimer.

      Perri war das egal.

      „Es gibt keinen Schmerz, der größer ist, als meine Freundin Ricki verloren zu haben“, seufzte er, als die Mülltonne geleert wurde.

      Währenddessen hoffte die Dame, dass die Männer sie nun attraktiv finden würden. Aber der Perückenmacher hatte sie angelogen. Die Perücke stand ihr überhaupt nicht. Ihre Freundinnen lachten über ihre hoffnungslos altertümlichen Löckchen, und die Männer hielten auf Abstand. Abend für Abend kam sie allein nach Hause und weinte sich in den Schlaf. Perri lag in einem Möwennest auf der Müllkippe und weinte ebenso.

      Eines Tages kam ein völlig ausgehungerter Mann auf der Suche nach Möweneiern daher. Die aufgebrachten