erwähnte Amalie war und ist ebenfalls so etwas wie eine Institution in unserer Vorstadt. Gemeinsam mit ihrem Mann Dimitri betrieb sie eine Eckkneipe hier bei uns.
Und in letzter Zeit war es so, dass Federica in der Kneipe häufiger aushalf; vor allem am Wochenende. Dabei war ihr einmal aufgefallen, dass Amalie in der Küche ihrer Kneipe nicht über ausreichend Behältnisse für Gewürze und Ähnlichem verfügte. Dem wollte sie abhelfen, wozu der Inhalt der Tasche, welche nun auf dem Rücken des engen Elektrowagens, dienen sollte: denn es waren nichts weiter wie acht Aufbewahrungsdosen, welche sie Amalie überlassen wollte.
Im Übrigen war eng in dem Elektroauto kein Ausdruck; zusammengepfercht wie zwei Ölsardinen hockten Berry und Federica in der Fahrerkabine des Straßenkehrwagens. Berry gewann wenigstens etwas Platz, indem er einen Ellenbogen zum Fenster rausdrückte, während die leicht eingenickten Köpfe bis an die Decke des Gefährts reichten.
Berry Weckerknecht Amalie wird sich bestimmt freuen über das Geschenk.
Federica Fiel Oh, sie wird sich nicht nur freuen, sondern auch freuen.
Geisterhand Berry hatte indes das Radio im Auto eingeschaltet.
Federica Fiel Du hast aber ein schickes Radio.
Berry Weckerknecht Na ja. Federica Fiel Und so modern.
Berry Weckerknecht Dafür knistert die Musik. Finden Sie nicht?
Federica Fiel Kein Wunder, die ist wiederum alt.
Berry Weckerknecht Und so schön traurig.
Federica Fiel Die war modern, als ich noch eine flotte Propellermaschine war.
Berry Weckerknecht Ich kenn den, ich meine, den Titel.
Federica Fiel Ja, lang ist ‚s her.
Berry Weckerknecht Und den Sänger, den kenn ich ach.
Federica Fiel Kennt doch jedes Kind.
Berry Weckerknecht Ich habe wohl ein Blackout! Oh weh!
Federica Fiel Das macht nichts. Ich kann dir auf die Sprünge helfen.
Berry Weckerknecht Ja bitte, dann tun Sie es. Erlösen Sie mich.
Federica Fiel Das ist “Goodbye my Love, Goodbye“.
Berry Weckerknecht Aber ja, natürlich.
Federica Fiel Von Demis Roussos.
Berry Weckerknecht Fällt mir wie Schuppen aus den Haaren. Jetzt, wo Sie ‚s sagen.
Federica Fiel Schön traurig.
Berry Weckerknecht Na ja, schließlich wird man ja auch nicht jünger.
Federica Fiel Wem sagst du das?
Geisterhand Die weitere Fahrt verlief ohne besondere Vorkommnisse. Die Hauptstraße führte schnurstracks bis zu einer Kreuzung, die gerade auf Grün stand. Jedoch hatte er zu stoppen, denn genau an der Beifahrerseite befand sich die eckige Eckkneipe der Hochs.
Federica Fiel Magst nicht mit reinkommen?
Berry Weckerknecht Nee, geht nicht. Muss noch ein bisschen was tun.
Federica Fiel Dann später vielleicht.
Geisterhand Er öffnete ihr schnell noch die Tür. Bei ihrem Herauszwängen stützte er sie ein klein wenig am Ellenbogen.
Berry Weckerknecht Warten Sie! Ich trage Ihnen noch die Tasche rein.
Federica Fiel Danke, aber das ist nun wirklich nicht auch noch nötig. Das krieg ich gerade noch allein hin.
Geisterhand Gesagt, getan, mit der schweren Tasche sie bis zur Eingangstür der Kneipe hinkte, worin sie alsbald verschwunden war. Als Berry sich wieder in sein Auto gesetzt hatte, war die Ampel natürlich längst rot.
Es war ruhig, denn er war mit seinem orangefarbenen fahrbaren Untersatz der Einzige an der Kreuzung. Nicht mal das kleine Radio dudelte mehr, ganz im Gegenteil, es zischte nur noch. Wütend schlug er dagegen, denn es war nigelnagelneu, in der Tat, in der Tat.
War es die Einöde an der Ampel? Die Warterei? Das Grün, es ließ und ließ auf sich warten. Oder lag es am Ende am langen Arbeitstag, der natürlich auch Tribut forderte? Auf jeden Fall spürte Berry auf einmal Müdigkeit in den Augen. Schwer fiel es ihm, sie offenzuhalten. Der Kopf schon verdächtig nahe bis zum Lenkrad hinuntergenickt, als die Kirchturmglocke zur vierten Stunde schlug; zur vierten Nachmittagsstunde wohlgemerkt.
Berry aufgeschreckt, denn die Kirche befand sich in unmittelbarer Verlängerung der Kneipe an der Ecke an der anderen Seite der Kreuzung. Dementsprechend laut, hinter der Kirche im Übrigen ein flaches Gebäude, welches lange Jahre stillgestanden war. Und davor die Einbuchtung für eine der beiden Haltestellen, wo die Abfallkörbe, an welchem er sich noch verdingen wollte.
Das Gebäude war der ehemalige Sitz eines ehemaligen Bekleidungslagers, doch war die Firma schon vor vielen, vielen Jahren aus unserer Vorstadt weggezogen.
Vor Kurzem jedoch war hier ein Islamisches Zentrum errichtet worden; sogar mit einer kleinen Moschee. Und genau an diesem Tag hatte dort ein Ereignis stattgefunden, denn das erste Freitagsgebet wurde abgehalten. Vieles war freilich noch improvisorisch, doch der Auftakt ein geglückter war.
Nach dem Gebet fiel Hasan Ibrahim Rahman, der neue Imam hier bei uns, was ins Auge. Etwas, was seine Stimmung etwas trübte; eine Kleinigkeit zwar nur, doch immerhin.
Von dem, was sich hinter den Mauern des neuen Zentrums abspielte, wusste Berry natürlich nichts. Doch zu alldem später etwas was mehr. Und natürlich auch zu Hasan Ibrahim Rahman.
Zunächst jedoch zurück zu Berry, der noch immer vor der Ampel wartete, und der noch immer mit dem Einschlafen zu kämpfen hatte. Ach, diese verflixte Ampel, wo doch jenseits der Kreuzung die beiden letzten Abfallkörbe auf ihn warteten. Gegenüber der neuen Moschee, beziehungsweise diagonal gegenüber der Kneipe ein Parkplatz, vor dem eine langgezogene Einbuchtung. Dies war zum einen die Haltestellen für die Linienbusse der entgegengesetzten Richtung; zum anderen auch noch der Stand für haargenau ein Taxi.
In dem Taxi hockte Leonid Zimmermann und las Zeitung.
Berry Weckerknecht So schön möchte ich es auch mal haben.
Geisterhand Grübelte Berry so vor sich hin, als sich seine schlafversessenen Augen auf die Ampel konzentrierten. Von einem Moment zum nächsten schoss sein Kopf, welches beinahe schon völlig auf dem Lenkrad, in die Höhe. Nicht hundertprozentig überliefert ist, ob er sich hierbei eine Beule eingefangen hatte, aufgrund der Niedrigkeit des Autos, was freilich für die Decke galt; ja insbesondere für die Decke.
Auf jeden Fall war er wieder hellwach, nein, von Müdigkeit nichts mehr zu spüren.
Berry Weckerknecht Das gibt es doch nicht!
Geisterhand An dem Zaun des Gartens, welcher die Kirche umgarnte, waren gleich zwei Plakate angebracht worden: eines zeichnete das Konterfei unseres Vorstadt- Großbürgermeister Klein ab, dass andere wiederum Reklame für jene neuartigen Fruchtkaugummis. Und offenbar wieder für die gleiche Marke; doch, doch, ganz offenkund dem so war.
Diesmal war jedoch eine riesige Orangenscheibe abgebildet, gleichsam wie auf dem heidelbeerblauen Päckchen von Olias Frech. Heidelbeerblau dafür diesmal das Plakat mit der Orange.