Tobias Fischer

Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 1


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Eine ganze Menge übelster Schimpfwörter lagen ihm auf der Zunge, nur im allerletzten Moment beherrschte er sich, sie loszulassen. Er mochte es selbst nicht, wenn er ausfallend wurde.

      Veyron grinste noch immer, sagte nichts, saß nur mit geschlossenen Augen da. Es verging ein Moment ehe er antwortete und seine Züge wieder ernsthaft wurden.

      »Eigentlich solltest du mir dankbar sein, ich habe dich aus einer misslichen Lage befreit. Du warst diesem Mädchen hoffnungslos verfallen, das konnte ich nicht länger zulassen. Nachdem ich herausgefunden hatte, wie es um ihre moralische Gesinnung steht, musste ich diese Beziehung beenden. Das war nicht weiter schwer, wenn man sich einmal mit Carl Groves beschäftigt und herausfindet wie vielen Leuten er unnötige Ersatzteile andreht. Oder all die Tachometer, die er manipuliert hat. Ganz zu schweigen von all den Frauen, die er zu Müttern machte. Der Mann ist ein gewissenloser Verführer. Seine Tochter hat dieses Talent von ihm geerbt, ebenso wie seine braune, leicht ins Gelbe gehende Augenfarbe, recht einzigartig in dieser Gegend. Dazu hat sie seine Wangenknochen und die Nase mitbekommen. Ich brauche keinen DNS-Test, um dir zu sagen, dass sie Carl Groves Tochter ist. Sie weiß es auch, ebenso wie ihre Mutter. Rücksichtslos lassen die beiden den armen Joshua Sutton im Unklaren. Ein armer, aber glücklicher Mann, der Frau und Tochter abgöttisch liebt. Darum bleibt er auch besser unwissend.

      Woher weiß ich nun von Vanessa Suttons ausschweifendem Liebesleben? Ruf dir ihren Hals in Erinnerung. Da waren einige deutliche hypobare Sugillationen zu erkennen. Ich weiß, du nimmst an, du wärst der Verursacher, aber dem ist nicht so.«

      Tom sackte die Kinnlade runter. »Hypo…wie? Von was zum Henker reden Sie da?«

      »Von Knutschflecken, Tom, von Knutschflecken«, seufzte Veyron. »Sie hat sie mit Schminke unsichtbar zu machen versucht, doch meinen Augen entgeht nichts. Da waren zwei Flecken unterhalb des rechten Ohrs. Ihr Winkel deutet darauf hin, dass der Küssende fünfeinhalb Zentimeter größer gewesen sein muss, als du. Ein anderer Fleck am linken Halsansatz, kaum von ihrem Pullover verdeckt, verrät uns einen Liebhaber, der etwa vier Zentimeter kleiner ist als sie und außerdem breitere Lippen besitzt als du. Die Tatsache, dass Vanessa viel Zeit in der Werkstatt ihres leiblichen Vaters verbringt, aber nur wenig Zeit mit Daddy Groves, dass sie sich heimlich mit der Clique von Rodgers trifft, wenn sie nicht gerade mit dir durch die Straßen turtelt, lässt keine anderen Schlüsse zu: Der kleine Bob Saunders küsst sie in der Garage ihres Vaters, der hoch aufgeschossene Stevie dagegen in den Sträuchern des Parks. Nur sie konnten die jeweiligen Sugillationen verursachen, ihre Körpergrößen ergeben perfekte Übereinstimmungen.«

      Tom dachte kurz über alles nach und kam zu einer erschreckenden Schlussfolgerung.

      »Sie haben sie ausspioniert? Nicht zu fassen! Sie haben Vanessa ausspioniert! Geht’s Ihnen noch gut? Warum tun Sie so was, Mann?«, rief er voller Abscheu. Veyron war ja noch schlimmer als sonst, ein richtiges Ekel.

      »Deine Mutter hat mich zu deinem Schutzbefohlenem ernannt. Ich habe vor, diese Aufgabe mit bestem Wissen und Gewissen und all meinem Können auszufüllen. Darum spioniere ich deine Freunde aus, wenn ich es für nötig halte. Ich kenne jeden deiner Mitschüler, alle deine Lehrer, ich weiß alles über deren Familien, Freunde und über ihre Haustiere und Lieblingshobbys. Das ist Teil meiner Verantwortung.«

      »Pah! Sie sind ein echter Psycho! Wissen Sie was? Ich hau ab, mir reicht‘s! Noch heute Abend verschwinde ich, für immer!«

      »Schon wieder leere Drohungen? Hatten wir das nicht schon zur Genüge?«

      »Diesmal mach ich ernst!«

      Veyron blickte Tom nachdenklich an, legte die Fingerspitzen aneinander und dachte über irgendetwas nach. Tom ballte die Fäuste, sein ganzer Körper bebte vor Zorn. Es gab so viel, das er Veyron an den Kopf werfen wollte. Jede Menge Beleidigungen und am liebsten auch ein paar der losen Gegenstände im Fernsehregal.

      Gerade wollte er etwas sagen, als das Klingeln der Haustür ihn aus der Zornesstarre riss. Vielleicht war es Vanessa, die kam um sich zu entschuldigen?

      Ohne auf Veyrons Reaktion zu warten, stürmte er zur Haustür und riss sie auf. Seine Aufregung schlug sofort in Enttäuschung und schließlich Überraschung um. Mehrere Leute standen vor der Tür: ein hagerer Priester mit schlohweißem Scheitel, ein rundlicher, gemütlich dreinschauender Inspektor von der Polizei und zwei uniformierte Constables. Unten auf der Straße standen zwei Dienstfahrzeuge. Tom seufzte enttäuscht. Vanessa hatte ihre Chance vertan. Was jetzt kommen würde, war Arbeit für Veyron – vielleicht auch ein wenig Ärger. Insgeheim hoffte er vor allem auf Letzteres.

      Der Inspektor hob seine Dienstmarke und stellte sich als John Moore vor.

      »Dürfen wir hereinkommen?«

      Tom bedeutete den Herren einzutreten, doch nur der Inspektor und der Priester kamen ins Haus. Die Constables blieben draußen. Tom warf ihnen einen neugierigen Blick zu. Er erkannte, dass noch jemand in einem der Autos saß. Wegen der abgedunkelten Scheiben konnte er jedoch nicht mehr erkennen. Er schloss die Tür und brachte die beiden ins Wohnzimmer, wo Veyron Swift schon auf sie wartete. Er lümmelte immer noch im Sessel, hatte die Fingerspitzen aneinander gepresst und die Augen geschlossen.

      »Kommen Sie herein, Gentlemen. Ich habe Sie bereits erwartet. Unser Telefonat heute Morgen verhieß ja eine spannende Geschichte. Also bitte, setzen Sie sich und schildern Sie mir Ihr Problem ohne Zögern, oder Zurückhaltung. Zeit ist kostbar und ich will so wenig wie möglich davon verlieren. Lassen Sie kein Detail aus, alles ist wichtig, selbst die allerkleinste Kleinigkeit«, begrüßte er seine Gäste, indem er auf die gegenüberliegende Couch deutete.

      Die Federn quietschten, als die beiden Männer in die plüschigen Polster einsanken. Sie legten offenbar Wert darauf, möglichst großen Abstand zu Veyron zu wahren. Zumindest schlussfolgerte Tom das aus dem Zucken ihrer Nasenflügel.

      »Ich bin Inspektor Moore, das ist Pater Thomas Felton, wir kommen in einer sehr… nun, in einer vielleicht etwas seltsamen… eigentlich ist es mir schon fast peinlich, aber mein Kollege, Bill Gregson… er meinte, ich solle mich an Sie wenden. Er kennt Sie recht gut… hat ja schon ein paar Mal mit Ihnen zusammengearbeitet und deshalb …«, stammelte der Inspektor herum. Er machte einen verlegenen, fast schon beschämten Eindruck. In Pater Feltons Gesicht konnte man ähnliche Empfindungen lesen. Tom spürte förmlich, wie unangenehm ihnen das alles war. Schließlich traf ihn der Blick aus den kleinen runden Augen des Inspektors.

      »Vielleicht sollte der Junge lieber rausgehen«, meinte Moore.

      Veyron riss die Augen auf und lehnte das mit kraftvoller und entschiedener Stimme ab.

      »Tom Packard ist mein persönlicher Assistent. Sie können vor ihm so frei reden wie vor mir, sofern Sie überhaupt dazu in der Lage sind, Mr. Moore. Falls ja, würde ich es sehr begrüßen, wenn Sie mir endlich erzählen, was Sie hierher geführt hat.«

      Moore atmete kurz tief durch, und warf einen forschenden Blick durch die altmodische Wohnzimmereinrichtung, dann begann er, von Neuem zu erzählen.

      »Also, Gregson und ich, wir sind alte Freunde. Wir haben uns auf einem Fortbildungskurs kennengelernt. Ich hatte mal mit der Überlegung gespielt, zum CID zu wechseln, aber es dann doch sein lassen. Die harten Sachen, die sind nichts für mich. Ständig Mord und überall Leichen. Mir reichen die kleinen Einbrüche, die Ehedramen und die verwahrlosten Kinder zur Genüge. Aber dieser eine Fall, nun, der lässt mich einfach nicht mehr los. So etwas Ergreifendes und zugleich Bedrückendes habe ich noch nie erlebt. Ich meine, ich bin vollkommen hilflos. Wir, das heißt der Pater und ich, wir wissen uns einfach keinen Rat mehr. Natürlich wäre eine Nervenklinik eine Möglichkeit, aber das würde mir das Herz zerreißen. Dieses arme Mädchen, vermutlich von irgendeiner Anstalt geflohen. Jetzt weiß sie nicht mehr, wie sie zurückkehren soll. Sie hat überhaupt keine Ahnung wo sie ist, oder woher sie kam. Sie wartet unten im Wagen. Pater Felton kümmert sich um sie, darum habe ich ihn mitgebracht.«

      Veyron schnaubte ungehalten und brachte Moore mit einer Geste zum Schweigen.

      »Hören Sie mit diesem zusammenhangslosen Gequatsche auf, Moore! Erstatten Sie mir einen präzisen Bericht, bitte ohne Sentimentalitäten, wie Sie es gegenüber