ziemlich verlassen, bis der Tanz anfing. Margaret wurde sofort aufgefordert und tanzte in den engen Schuhen so leicht dahin, dass niemand die Schmerzen ahnte, welche die Tänzerin lächelnd ertrug. Jo sah einen dicken rothhaarigen Knaben auf ihre Ecke zukommen, und da sie fürchtete, er möchte sie zum Tanz auffordern, schlüpfte sie hinter einen Vorhang in eine Vertiefung des Zimmers, in der Hoffnung, sich dort in aller Stille amüsiren zu können. Unglücklicher Weise aber hatte schon ein anderes schüchternes Wesen sich denselben Zufluchtsort ausersehen; denn als der Vorhang hinter ihr siel, stand sie dem jungen Lorenz gegenüber.
„ O! ich dachte nicht, dass irgend jemand hier wäre,“ stammelte Jo, die ebenso schnell zurückgehen wollte, wie sie hineingestürzt war.
Aber der Knabe, obgleich ein wenig überrascht, lachte und sagte freundlich: „Lassen Sie sich durch mich nicht stören, bleiben sie doch, wenn Sie Luft haben.“
„Werde ich Sie nicht stören?“
„Durchaus nicht; ich kam nur hierher, weil ich nicht viele Leute kenne und mich erst ein wenig fremd fühlte.“
„Mir ist’s ebenso gegangen. Bitte gehen sie nicht fort, wenn Sie’s nicht vorziehen.“
Der Knabe setzte sich wieder und versenkte sich in die Betrachtung seiner Stiefel, his Jo sagte:
„Ich glaube, ich habe schon das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen; Sie wohnen in unserer Nähe, nicht wahr?“
„Im nächsten Hause;“ und er sah auf und lachte, denn Jo’s zurückhaltendes Wesen kam ihm sehr komisch vor, wenn er daran dachte, wie sie miteinander geplaudert hatten, als er ihr die Katze wiederbrachte. Sein Lachen machte sie zutraulicher; sie stimmte ein und sagte in der herzlichsten Weise: „Wir haben uns so sehr über ihr schönes Weihnachtsgeschenk gefreut.“
„Grosspapa hat es geschickt.“
„Aber Sie haben ihn auf den Einfall gebracht, nicht wahr?“
„Wie geht es Ihrer Katze, Fräulein March?“ fragte der Knabe, der sich bemühte, ein ernsthaftes Gesicht zu machen, während der Muthwille aus seinen schwarzen Augen blitzte.
„Ich danke Ihnen, ganz wohl, Herr Lorenz; aber ich bin nicht Fräulein March, ich bin ,Jo‘,“ erwiderte die junge Dame.
„Ich bin nicht ,Herr Lorenz‘; ich bin nur ,Lori‘.“
„Lori Lorenz, welch’ sonderbarer Name!“
„Mein eigentlicher Name ist Theodor, aber ich mag ihn nicht leiden, denn die Knaben nannten mich Dora; deshalb lasse ich mich Lori nennen.“
„Ich hasse meinen Namen auch; er ist so sentimental! Ich wollte, jedermann nennte mich Jo, statt Josephine. Aber wie gewöhnten sie es den Knaben ab, Sie Dora zu nennen?“
„ Ich prügelte sie durch.“
„ Die Tante March kann ich nicht durchprügeln; ich werde mich also in mein Schicksal ergeben müssen,“ sagte Jo mit einem Seufzer.
„ Tanzen sie nicht gern, Fräulein Jo?“
„Ich tanze gern, wenn’s recht lebhaft dabei zugeht, und man reichlich Raum hat. Hier würde ich sicherlich etwas umstossen, den Leuten auf die Füsse treten oder sonst etwas Schreckliches, begehen. Ich halte mich deshalb klüglich fern und überlasse es Magaret, die Liebenswürdige zu spielen. Aber tanzen Sie denn nicht?“
„Zuweilen wohl. Ich bin viele Jahre im Auslande gewesen und bin noch nicht genug in Gesellschaft gewesen, um zu wissen, wie man sich hier bei solchen Gelegenheiten benimmt.“
„ Im Auslande!“ rief Jo; „o, erzählen sie mit etwas davon! Ich höre so gern Reisen beschreiben!“
Lori schien erst nicht recht zu wissen, womit er anfangen sollte; aber Jo’s eifrige Fragen brachten ihn bald in Gang, und er erzählte ihr, er sei in Vevey in Pension gewesen, wo die Knaben nie Hüte trügen, wo sie eine kleine Flotte von Böten auf dem See gehabt, und in den Ferien mit ihren Lehrern Fusstouren in der Schweiz gemacht hätten.
„O, da möchte ich auch gewesen sein!“ rief Jo. „Sind Sie nicht in Paris gewesen?“
„Wir haben den Winter dort zugebracht.“
„Können sie Französisch sprechen?“
„Wir durften in Vevey nichts Anderes sprechen.“
„Bitte, sprechen Sie ein wenig. Ich kann wohl Lesen, aber nicht richtig aussprechen.“
„Quel est le nom de la jeune demoiselle qui a de si jolis souliers?“
„Wie gut sie sprechen! Sie sagten: ,Wie heisst die junge Dame mit den hübschen Schuhen?‘ nicht wahr?“
„Oui, Mademoiselle.“
„Es ist meine Schwester Margaret, und Sie wussten es wohl. Finden Sie sie hübsch?“
„Ja, sie erinnert mich an die deutschen Mädchen; sie sieht so frisch und ruhig aus und tanzt mit soviel Anstand.“
Jo erröthete vor Freude, als sie ihre Schwester rühmen hörte und nahm sich vor, Margaret alles treulich zu berichten. Beide beobachteten, kritisirten und plauderten, und bald war es ihnen, als hätten sie sich schon lange gekannt. Lori’s Schüchternheit verschwand; denn Jo’s knabenhaftes Wesen belustigte ihn, und so fand ihre fröhliche Laune wieder, denn ihr Kleid war vergessen, und niemand zog die Augenbrauen zusammen. Der junge Lorenz gefiel ihr mehr als je; sie betrachtete ihn genau, um ihn ihren Schwestern beschreiben zu können; denn sie hatten keine Brüder und sehr wenige Vettern! Knaben waren ihnen daher fast unbekannte Wesen.
Krauses schwarzes Haar, braune Gesichtsfarbe, grosse schwarze Augen, lange Nase, hübsche Zähne, kleine Hände und Füsse, so gross wie ich; sehr höflich für einen Knaben und ganz lustig. Ich möchte wol wissen, wie alt er ist?
Die Frage schwebte ihr auf der Zunge; aber sie besann sich noch zur rechten Zeit eines Bessern und versuchte mit ungewöhnlichem Takt, auf Umwegen ihren Zweck zu erreichen.
„Ich denke, Sie werden bald auf die Universität gehen; ich sehe Sie nicht anders als mit der Nase über den Büchern, ich wollte sagen, eifrig studirend,“ sagte Jo, indem sie über ihren wenig gewählten Ausdruck erröthete. Lori lächelte, schien aber nicht verlebt und, antwortete achselzuckend:
„Das hat wenigstens noch zwei oder drei Jahre Zeit; ich gehe keinenfalls auf die Universität, ehe ich siebzehn Jahr alt bin.“
„ Sind Sie denn erst fünfzehn Jahr alt?“ fragte Jo, indem sie den Hochgewachsenen Jüngling betrachtete, den sie für wenigstens siebzehn Jahr alt gehalten hatte.
„Im nächsten Monat werde ich sechzehn.“
„Wie würde ich mich freuen, wenn ich zur Universität gehen könnte! Sie sehen nicht aus, als ób Sie sich darauf freuten.“
„ Der blosse Gedanke daran ist mir verhasst. Das Leben der jungen Leute hier zu Lande scheint mir unerträglich.“
„ Was möchten Sie dann?“
„ In Italien wohnen und mein Leben auf meine eigene Weise geniessen.“
Jo hätte gern gewusst, was er unter seiner eigenen Weise verstand, aber seine zusammengezogenen schwarzen Augenbrauen sahen etwas drohend aus; sie lenkte daher die Unterhaltung auf einen andern Gegenstand über.
„ Das ist eine herrliche Polka,“ sagte sie, indem sie mit dem Fusse den Takt dazu schlug. „Warum tanzen Sie nicht?“
„ Ich will wohl tanzen, wenn Sie auch kommen,“ antwortete er mit einer ganz französischen Verbeugung.
„ Ich kann nicht, denn ich habe Margaret versprochen, nicht zu tanzen, weil —“ Jo stockte, unentschieden, ob sie sprechen oder lachen sollte.
„ Nun weil?“ fragte Lori neugierig.
„Versprechen Sie mir, zu schweigen?“
„Gewiss.“
„Nun,