Elke Schwab

Kulllmann kann's nicht lassen


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Häusern kannte, in denen schon seit langer Zeit nur alte Menschen gelebt hatten. Die Tapete an den Wänden war dunkel und vergilbt, die Farben nicht mehr erkennbar. Der Boden knarrte unter ihren Füßen. Die Fenster zur Straßenseite waren alle mit alten Holzläden verschlossen. Am Ende des Flurs gab es etwas Licht. Darauf ging Anke zu und fand sich sogleich in einem hellen Zimmer, an dessen Rückseite mehrere kleine Fenster waren, die Tageslicht hereinließen. Abgenutzte Sessel und Sofas standen dort, ein kleiner Tisch und eine kleine Kommode, auf der altes Porzellan stand. Der Teppichboden war ausgetreten, das Tapetenmuster schon lange aus der Mode. Von der Decke hing eine schäbige, kleine Lampe herunter, die nicht den Eindruck hinterließ, dass sie genügend Licht spenden konnte. Es roch nach altem Schweiß und anderen Körperausdünstungen. Anke musste sich beinahe übergeben. Emil saß auf dem alten Sofa mit rot verquollenem Gesicht. Seine Brille lag neben ihm und war stark verbogen. Mit einem feuchten Tuch kühlte er die vielen Blutergüsse und Platzwunden in seinem Gesicht.

      »Meine Güte, was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte Anke.

      »Ich bin die Treppe heruntergefallen«, log Emil.

      »Das muss aber eine komische Treppe gewesen sein«, stellte Erik fest, worauf Emil heftig protestierte: »Was geht euch das alles an. Wie kommt ihr überhaupt hier herein. Ich habe euch nicht hergebeten. Jetzt verschwindet und lasst mich in Ruhe!«

      »Wenn Sie uns sagen, wer Sie so zugerichtet hat und warum, können wir vielleicht verhindern, dass er zurückkommt«, schlug Erik vor.

      »Ich will eure Hilfe nicht, also verschwindet.«

      So leicht ließ Erik sich nicht abwimmeln. Er ging von Zimmer zu Zimmer, schaltete überall das Licht ein, um etwas erkennen zu können und sah sich in aller Ruhe um. Emil beobachtete ihn ganz erstaunt, hinderte Erik aber nicht an seinem Tun.

      »Ist das hier das Haus Ihrer Eltern?«, fragte Anke und ließ ihren Blick durch das ungepflegte Ambiente wandern.

      »Das Haus meines Vaters. Meine Mutter hat uns sitzen lassen, da war ich noch ganz klein. Mein Vater kam nie darüber hinweg. Hat sich tot gesoffen.«

      Eine Weile herrschte Stille, bis Anke endlich das fragte, was sie wirklich beschäftigte: »Kannten Sie Sybille Lohmann?«

      »Ja! Hier im Dorf kennt jeder jeden.«

      »Mochten Sie sie gern?«

      »Sybille machte mit jedem Mann rum, nur mit mir nicht. Deshalb weiß ich nicht, ob ich sie mochte«, antwortete er nach einigem Zögern.

      »Saßen Sie zusammen mit Sybille Lohmann im Unfallwagen?«

      »Nein«, brauste Emil plötzlich auf. »Wie kommen Sie darauf? Ich saß in meinem eigenen Auto.«

      »Sie haben den Unfall erst von zu Hause aus gemeldet«, stellte Anke klar. »Wer sagt uns, dass Sie wirklich mit Ihrem eigenen Wagen unterwegs waren?«

      Emil schnaufte.

      »Wissen Sie jetzt, warum wir hier sind?«

      »Nein! Ich habe nichts getan.« Er blieb stur.

      »Wir sind hier, weil wir die ganze Wahrheit wissen wollen. Außer uns scheint es ja noch jemanden zu geben, der das wissen will. Und dieser Jemand geht dabei nicht so nett mit Ihnen um.«

      »Warum sollte ich mit Sybille Lohmann in einem Auto fahren?«, fragte er immer noch schmollend. »Sie wollte von mir nichts wissen.«

      »Sybille Lohmann war schon lang alleinstehend. Wer weiß, vielleicht - suchte sie einfach einen Menschen, den sie in ihrer Nähe haben wollte«, spekulierte Anke blind darauf los.

      »Sybille war nie allein. Sie hatte immer einen Mann.«

      »Wer war der Glückliche?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Sybille Lohmann ist auf keinen Fall allein im Auto gesessen, als der Unfall passierte«, erklärte Anke. »Kann es also sein, dass sie mit einem neuen Mann unterwegs war?«

      »Ganz sicher! Allein hat Sybille nie etwas gemacht.«

      »War dieser Mann hier bei Ihnen?«

      Emil verschränkte seine Arme vor seiner Brust, womit er demonstrierte, dass er nicht antworten wollte. Das gab Anke zu denken.

      »Gibt er Ihnen die Schuld an Sybilles Unfall?«

      Emil änderte seine Haltung nicht mehr.

      Erik hatte alles aus sicherer Entfernung beobachtet. Als er bemerkte, dass Anke mit ihren Fragen in einer Sackgasse gelandet war, mischte er sich ein: »Wenn Sie es sich doch anders überlegen sollten, dann rufen Sie uns an.«

      Er legte Emil eine Karte mit seiner Dienstnummer auf den Tisch. Emil wischte die Karte von dem Tisch, als handelte es sich um ein ekelhaftes Insekt.

      Wortlos verließen Erik und Anke das Haus.

      *

      Erst als sie wieder im Auto saßen, meinte Erik: »Mein Instinkt sagt mir, dass wir in die richtige Richtung ermitteln, nur leider finden wir nicht den geringsten Hinweis. Susi wird bedroht, vermutlich weil sie am Unfallort gesehen wurde. Emil wird ebenfalls bedroht – nur etwas heftiger – dabei wissen wir inzwischen, dass er sich ganz in der Nähe der drei Frauen aufgehalten hat. Das könnte bedeuten, dass er auch gesehen wurde.«

      »Wer macht sich die Mühe, jemanden zu bedrohen, den er zur falschen Zeit am falschen Ort gesehen hat?«

      »Das müssen wir herausfinden.«

      Sie fuhren zurück zum Landeskriminalamt.

      Als sie sahen, dass in Forsetis Zimmer noch Licht brannte, murmelte Erik: »So ein Mist, ich hatte gehofft, dass er schon weg ist, bis wir zurückkommen. Was machen wir jetzt? Gehen wir in die Höhle des Löwen?«

      »Wie wär’s, wenn wir zunächst in Rosis Kneipe, ehemals Marthas Kneipe, gehen, eine Tasse Tee trinken und uns überlegen, was wir sagen?«

      Dem Vorschlag stimmte Erik zu. Sie fuhren mit dem Dienstwagen die kurze Strecke bis zu der kleinen Kneipe, stellten dort den Wagen ab und eilten durch den immer stärker werdenden Regen hinein.

      Rosi, Marthas Schwester, war ebenfalls eine kleine, rundliche Frau, die mit Leib und Seele diese kleine Kneipe weiterführte. Sie empfing sie mit einer Herzlichkeit, die wohltuend war. Dabei fragte sie sofort nach Ankes Befinden.

      Erik und Anke suchten sich einen Tisch, der etwas abseits stand, damit sie sich ungestört unterhalten konnten.

      »Also, so etwas kenne ich nicht!«

      »Was?«, fragte Anke stutzig.

      »Bei uns in Köln geht es in den Kneipen nicht so familiär zu. Im Gegenteil: Da ist man als Gast nur gern gesehen, wenn man genug säuft und den Umsatz steigert. Kaum ist ein Kölsch ausgetrunken, bekommst du das nächste vor die Nase geknallt. Da wird nicht lang gefackelt. Sich nach dem Wohlbefinden erkundigen – so viel Zeit lässt sich der Köbes gar nicht.«

      »Was heißt Köbes?«

      »Köbes heißt Kellner. Kölsch ist schon fast eine Fremdsprache für Nicht-Kölner.«

      Rosi servierte den Tee.

      »Aber nun zurück zu Forseti. Ich hatte bisher den Eindruck, dass er große Stücke auf dich hält.«

      »Das täuscht«, lachte Erik. »Ich hatte ihn auf der Schulung kennen gelernt. Er leitete diesen Lehrgang. Schon gleich unsere erste Begegnung war voll daneben.«

      Anke wurde neugierig, weil der Kollege sich bei der Erinnerung daran die Haare raufte.

      »Erzähl schon«, drängte sie.

      Zunächst zögerte Erik ein wenig, bis er sich überwand und zu sprechen begann: »Ich war mit meinem damaligen Kollegen und Freund auf einem Lehrgang für verdeckte Ermittler. Wir erfuhren, dass auch Frauen dabei sein würden. Claudia war eine davon. Ich kannte sie nicht besonders gut, hielt sie aber für hochnäsig, deshalb wollte ich