Betty Kamer

Snørgl der Waldwicht


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werden?“ fragte er dann tatsächlich.

      „Zunächst einmal, lieber Reifur: es gibt keine dummen Fragen. Nur wer nicht fragt, bleibt dumm. Deine Frage ist sogar sehr interessant, denn auch ich habe mich als junge Elfe gefragt, wie das wohl gehen kann. Nun, die Antwort möchte ich dir gern geben und ich denke, sie wird auch die anderen interessieren: Die Schmetterlinge haben in ihren Flügeln ganz zarte Flügeladern. Solange sie sich in dem Kokon befinden, sind sie weich und liegen am Körper an. Diese werden nach dem Schlüpfen, wenn sie noch schlaff und unbeweglich sind, mit einer Blutflüssigkeit gefüllt. Danach setzen sie sich an einen sicheren und vor Fressfeinden geschützten Ort und lassen die Flügel trocknen. Erst dann ist es ihnen möglich, mit ihnen zu fliegen.“

      „Wie lange leben denn Schmetterlinge?“ wollte nun Gulltoppur wissen.

      „Das ist ganz unterschiedlich: manche Schmetterlinge leben nur wenige Tage bis Wochen und andere hingegen ein Jahr. Das kommt ganz auf die Art an und wo sie leben, lieber Gulltoppur!“

      Nach diesen Worten blickte sie in die Runde und an unseren Gesichtern konnte sie bestimmt erkennen, wie beeindruckt wir von ihrem Wissen waren.

      „Schmetterlinge können durch feine Härchen an ihren Fühlern, die sich am Kopf befinden, riechen, manche auch tasten, schmecken und Temperaturen wahrnehmen. Einige von ihnen habe sehr kurze Fühler und andere hingegen sehr lange und manche unter ihnen kommen von sehr weit her.“

      „Nun habe ich eine Frage, liebste Elin. Sag, was meinst du damit, dass sie von sehr weit her kommen?“ fragte nun Léttféti neugierig.

      „Auch diese Frage möchte ich gern beantworten: der Xanthi zum Beispiel, wie wir ihn nennen, kommt ursprünglich aus Madagaskar und ernährt sich von dem Blütennektar einer einzigen Orchidee!“

      „Wie essen die denn?“ wollte daraufhin Gosi wissen.

      „Dazu haben sie einen Saugrüssel, mit dem sie nur flüssige Nahrung zu sich nehmen. Meist ist es Blütennektar, aber auch Pflanzensäfte, Honigtau und den Saft von faulendem Obst. An heißen Tagen saugen sie auch gerne das Wasser aus kleinen Pfützen. Nun aber möchte ich erklären, warum ich euch das alles erzählt habe: Während manche Arten von Schmetterlingen viele Nahrungspflanzen haben und weit verbreitet sind, gibt es doch einige Arten, die nur wenige oder sogar nur auf eine einzige Pflanze zur Nahrungsaufnahme angewiesen sind. Bei uns hier im Tal der Schmetterlinge haben wir es geschafft, dass eine ganz besondere Art von Faltern leben kann. Wie euch sicherlich aufgefallen ist, ist es hier sehr warm und fast schon ein wenig schwül. Nun, dieses Klima lieben diese Falter, die aus Madagaskar zu uns gebracht worden sind. Ich meine den ‚Xanthopan morgani‘ (die Menschen sprechen das Ksantopan morgani aus). Das besondere an ihm ist, dass er einen zwanzig Zentimeter langen Rüssel hat.“

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      Xanthopan Morgani

      „Xanthi“

      Schwer beeindruckt von dem, was wir gerade erfahren hatten, blickten wir uns um.

      „Seht doch, ist das dort ein solcher Schmetterling?“, fragte Galdur und wir sahen in die Richtung, in die er mit ausgestrecktem Arm zeigte.

      Und er hatte recht. Sóla war es, die mit wenigen Schritten bei dem Schmetterling war und sich zu ihm hinunter beugte. Vorsichtig folgten wir ihr, um nicht noch mehr von den Blüten zu zertreten.

      „Was ist mit dir geschehen?

      Mit leiser Stimme erzählte uns der kleine Schmetterling nun, was geschehen war …

      „Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie kamen und über uns herfielen. Es waren drei Gestalten, die ich zunächst nicht erkennen konnte. Jeder von ihnen hatte einen großen Sack bei sich und einer von ihnen rupfte wahllos und sehr grob die Orchideen von den Stielen. Die beiden anderen hatten zusätzlich auch noch ein Netz bei sich, mit dem sie uns Schmetterlinge eingefangen haben. Merkwürdig war der Nebel, der sich kurz zuvor gebildet hatte. Der hat uns wie betäubt, so dass wir nicht davonfliegen konnten.“

      Erst jetzt fiel mir der lange Rüssel auf, der hauchzart über dem Arm von Sóla hing. Auch er schien sehr kraftlos zu sein.

      „Mach dir keine Sorgen, lieber Xanthi. Wir werden dich erst einmal wieder kräftigen. Die Wichte werden uns helfen, euch wieder zusammen zu bringen“, flüsterte Sóla und lächelte ihm beruhigend zu.

      Die Sternorchidee

      „Wie meinst du das?“, fragte ich erstaunt.

      „Nun, mein lieber Snørgl, das ist rasch erklärt und durch diese Erklärung werdet ihr verstehen, warum das hier für die Xanthis, die Orchideen und uns eine so große Katastrophe ist.“

      Und so berichtete sie uns von dieser wundersamen Pflanze die manchmal ‚Stern von Madagaskar‘ oder auch ‚Sternorchidee‘ genannt wird. Sie ist an der Ostküste Madagaskars heimisch und hat eine ganz besondere Eigenschaft, die sonst keine Orchidee weltweit hat: Sie hat einen bis zu vierzig Zentimeter langen Lippensporn (das ist der Bereich direkt an der Blüte, in dem die Orchidee den Blütennektar sammelt) und kann nur von einer einzigen Schmetterlingsart bestäubt werden: Dem Xanthopan Morgani.

      Was für ein Wunder der Natur, dachte ich mir. Also braucht die Orchidee den Schmetterling und der Schmetterling die Orchidee zum Überleben!

      „Ach du lieber Wicht! Und beides wurde gestohlen? Die Schmetterlinge und die Orchideen? Ja aber, warum? Ich verstehe den Sinn nicht? Und warum können die hier bei euch im Tal der Schmetterlinge leben, wenn sie doch eigentlich in Madagaskar zu Hause sind“, rief ich aus und konnte meine Aufregung kaum verbergen.

      „Mein lieber Snørgl! So viele Fragen, die mir zeigen, dass du verstanden hast, warum wir so entsetzt sind. Nun, auf deine Frage, warum die drei Wichte dies getan haben, möchte ich etwas später eingehen. Doch zunächst: es heißt sie leben ‚auf‘ Madagaskar, da Madagaskar die viertgrößte Insel der Welt ist. Und um auf deine Frage zu antworten, wie sie hier bei uns leben konnten: wie ihr sicherlich bemerkt habt, ist es hier nur in diesem Bereich sehr warm und schwül. Dieses Klima haben wir speziell für die Sternorchideen und die Xanthis geschaffen!“ erklärte sie uns.

      „Ja aber, wie kamen die denn hierher?“ fragte nun auch Vegard interessiert.

      „Nun, meine lieben Freunde ist es an der Zeit, euch ein Geheimnis zu verraten. Ein Geheimnis, das hier an diesem Ort bleiben muss. Gebt mir euer Ehrenwort, dass ihr es für euch behaltet und dieses Wissen nicht missbrauchen werdet, um euch zu bereichern!“ fuhr sie in sehr strengem Ton fort.

      Und wir sprachen alle im Chor:

      „Wir versprechen es!“

      „Es ist die Aufgabe meiner lieben Schwestern und mir, das magische Pulver herzustellen. Mit Hilfe anderer Elfen war es möglich, hier bei uns ein für die Orchideen und Schmetterlinge notwendiges Klima zum Überleben zu schaffen. Wir benötigen ein wenig Nektar der Sternorchideen und zudem eine unglaubliche Kostbarkeit, die uns die Xanthis schenken: den Schmetterlingsstaub, um das magische Pulver herzustellen. Die dritte und auch wichtigste Zutat muss allerdings auch weiterhin geheim bleiben!“

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      Sternorchidee

      Mit großen Augen und offenen Mündern sahen wir die Elfen an.

      Eines mussten wir ihnen auch noch ganz fest versprechen: niemals darf man den Schmetterlingen an die Flügel fassen, um diesen Schmetterlingsstaub zu erhalten. Denn in Wirklichkeit sind es winzige Schuppen, die zu tausenden auf ihren Flügeln wie kleine Dachziegel angebracht sind. Und bei jeder Berührung verlieren