Arthur Conan Doyle

Das Geheimnis von Cloomber Hall


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etwas zu tun. Ich kann Ihnen versichern, Herr West, daß, wenn Ihnen das greuliche Brett da ein Dorn im Auge ist, das bei meinem Bruder und mir in noch weit größerem Maße der Fall ist.«

      »Aber, Fräulein Heatherstone,« entgegnete ich lachend, um sie zu beruhigen, »England ist ein freies Land, und wenn es einem Manne einfällt, sich von der Außenwelt abzuschließen, so kann ihn niemand daran hindern!«

      »Es war einfach brutal!« rief sie jetzt aus, mit ihrem kleinen Fuße aufstampfend. »Und der Gedanke, daß auch Ihre Schwester in so unerhörter Weise mit beleidigt wurde! Ich möchte in den Erdboden sinken vor lauter Scham, wenn ich nur daran denke!«

      »Aber ich bitte Sie, die Sache hat ja doch gar nichts weiter zu bedeuten!« sagte ich eindringlich. »Ihr Vater hat sicher seine guten Gründe für diesen Schritt gehabt!«

      »Ja, die hat er, das weiß Gott im Himmel!« rief sie niedergeschlagen. »Und doch wäre es mannhafter, denke ich, der Gefahr entgegenzutreten, als davor zu fliehen. Aber das weiß er jedenfalls am besten, und wir können nicht darüber urteilen. – »Wer kommt da?« rief sie ganz plötzlich aus, angstvoll die dunkle Allee hinabblickend. »O, es ist nur mein Bruder Mordaunt,« fügte sie hinzu, als der junge Mann herankam. »Ich habe eben bei Herrn West Abbitte getan, in deinem sowohl wie in meinem Namen, für das, was sich hier gestern zutrug!«

      »Es freut mich außerordentlich, daß ich es auch noch persönlich tun kann,« sagte er höflich. »Ich wünsche nur, Ihre Schwester und Ihren Vater ebenfalls sehen zu können, um ihnen zu versichern, wie leid mir die Geschichte tut. Bitte, gehen Sie noch nicht, Herr West, ich habe noch ein Wort mit Ihnen zu reden.«

      Fräulein Heatherstone winkte mir freundlich lächelnd zu und eilte davon, während ihr Bruder das Tor öffnete, zu mir herauskam und das Eisengitter sorgfältig wieder von außen verschloß.

      »Ich werde ein wenig mit Ihnen spazierengehen, wenn Sie nichts dagegen haben. Rauchen Sie?« Er entnahm seinem Etui zwei Zigarren und reichte mir eine davon. »Sie sind nicht übel,« meinte er, »ich wurde während meines Aufenthalts in Ostindien Tabakkenner. Haben Sie Feuer? Hoffentlich halte ich Sie nicht von Geschäften ab?«

      »Durchaus nicht,« antwortete ich, »Ihre Gesellschaft ist mir im Gegenteil sehr willkommen!«

      »Ich will Ihnen etwas sagen!« erwiderte mein Begleiter. »Dies ist das erstemal, daß ich über den Schloßpark hinausgekommen bin, solange wir hier sind.«

      »Und Ihre Schwester?«

      »Die ist auch noch nie draußen gewesen. Ich bin dem Alten heute entschlüpft, obwohl ich weiß, daß es ihm durchaus nicht recht sein würde, wenn er es wüßte. Es ist eine seiner Launen, daß wir hier ganz unter uns bleiben sollen. Wenigstens würden es die meisten Leute eine bloße Laune nennen. Ich selbst habe Ursache zu glauben, daß er für alles, was er tut, seine guten Gründe hat, obgleich er in diesem Fall vielleicht etwas zu streng ist.«

      »Sie müssen es hier sehr einsam finden,« sagte ich. »Könnten Sie nicht dann und wann einmal zu uns herüberkommen? Das Haus dort drüben ist Branksome.«

      »Sie sind wirklich sehr freundlich,« antwortete er mit leuchtenden Augen. »Ich wünsche nichts sehnlicher. Unseren alten Kutscher und den Gärtner Israel Stakes ausgenommen, gibt es hier keine Seele, mit der man sich unterhalten könnte.«

      »Und Ihre Schwester? Für die muß es noch schlimmer sein!« sagte ich. Mir schien es nachgerade, als ob mein neuer Bekannter sich etwas zu viel über seinen eigenen Kummer und zu wenig über den seiner Schwester grämte.

      »Freilich,« antwortete er gleichgültig, »die arme Gabriele leidet ja auch darunter, aber es ist doch für einen jungen Mann bei weitem unnatürlicher in dieser Weise eingemauert zu sein, als für ein Mädchen. Bedenken Sie doch! Ich werde im nächsten März dreiundzwanzig Jahre alt und habe nie eine Universität, ja nicht einmal eine Schule besucht. Ich bin gerade so unwissend, wie irgendeiner von diesen Klutentramplern hier herum. Es mag Ihnen sonderbar vorkommen, ist aber trotzdem der Fall. Glauben Sie nicht selbst, daß ich ein besseres Schicksal verdient hätte?«

      Er stand still, während er sprach, und sah mir voll ins Gesicht, seine Hände wie flehend erhoben.

      Als ich ihn ansah, während er von der Morgensonne beschienen dastand, konnte ich nicht umhin, die Billigkeit seiner Worte anzuerkennen. Muskulös und hochgewachsen, sah er mit seinem strengen, dunklen Gesicht und den fein gemeißelten Zügen fast aus, als sei er aus dem Rahmen eines alten Charaktergemäldes von Murillo oder Velasquez herausgetreten. Sein massives Kinn und die buschigen Augenbrauen, sowie seine ganze elastische, zähe Figur zeugten von schlummernder Energie und Tatkraft.

      »Es gibt zweierlei Arten von Weisheit,« bemerkte ich. »Die eine kommt aus Büchern, die andere aus der Erfahrung. Wenn Sie vielleicht um Ihren rechtmäßigen Anteil an der ersteren betrogen sind, so werden Sie durch einen Löwenanteil an der letzteren entschädigt sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie Ihr ganzes Leben in Vergnügungen und Nichtstun vergeudet haben sollten.«

      »Vergnügungen!« rief er. »Vergnügungen!« Er riß seinen Hut ab und ich sah, daß sein schwarzes Haar überall mit grauen Fäden durchzogen war. »Meinen Sie vielleicht, daß die von Vergnügungen herrühren?« rief er, bitter auflachend.

      »Sie müssen viel durchgemacht haben,« sagte ich überrascht, »vielleicht eine schwere Krankheit in Ihrer Jugend? Oder sollten vielleicht chronische Ursachen zugrunde liegen? Fortwährend peinigende Sorge und Angst? Ich habe schon junge Männer in Ihrem Alter gekannt, deren Haar ebenso grau war.

      Wenn es Ihnen möglich sein sollte, von Zeit zu Zeit nach Branksome zu kommen, so könnten Sie am Ende auch Fräulein Heatherstone mitbringen,« versetzte ich. »Meine Schwester und mein Vater würden sich unbedingt sehr freuen, sie zu sehen, und eine wenn auch noch so kurze Abwechslung würde ihr wohltun.«

      »Es wird für uns beide ziemlich schwer halten fortzukommen,« antwortete er. »Wenn es jedoch irgendwie möglich ist, werde ich sie mitbringen. Vielleicht läßt es sich einmal am Nachmittag machen, da der Alte dann häufig eine Siesta hält.«

      Als wir den schlängelnden Pfad erreichten, der von der Chaussee abzweigend, unserem Hause zuführte, machte mein Begleiter halt.

      »Ich muß jetzt zurück,« sagte er, »man wird mich sonst vermissen. Es ist sehr freundlich von Ihnen, West, solches Interesse an uns zu nehmen. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, und Gabriele wird es ebenfalls sein, wenn sie von Ihrer freundlichen Einladung hören wird. Nach dem abscheulichen Schilde meines Vaters sind es wirklich feurige Kohlen, die Sie auf meinem Haupte sammeln.«

      Er reichte mir die Hand und wandte sich zum Gehen, kam aber plötzlich zurück.

      »Es fiel mir gerade ein,« sagte er, »daß wir in Cloomber Ihnen höchst rätselhaft vorkommen müssen. Sie halten es am Ende gar für eine Privat-Irrenanstalt, und ich kann es Ihnen nicht übelnehmen. Da Sie sich wahrscheinlich dafür interessieren, ist es eigentlich unfreundlich von mir, Sie nicht darüber aufzuklären; aber ich habe meinem Vater das strengste Schweigen darüber geloben müssen. Und wirklich, wenn ich Ihnen auch alles erzählen würde, was ich selbst darüber weiß, so würden Sie doch nicht viel klüger sein als jetzt. Nur eins kann ich Ihnen versichern: mein Vater ist gerade so vernünftig wie Sie oder ich, und hat sehr gute Gründe für alles, was er tut und wenn es auch noch so widersinnig erscheinen mag. Sein einziger Beweggrund für diese eingemauerte Einsamkeit ist der Selbsterhaltungstrieb, nicht etwa unlautere oder unehrenhafte Motive.«

      »Er befindet sich also in Gefahr?« rief ich aus.

      »Ja, in fortwährender Gefahr!«

      »Aber weshalb wendet er sich dann nicht an die Obrigkeit um Schutz?« fragte ich. »Wenn er von irgend jemand bedroht wird, braucht er das ja nur zu sagen, und man wird sofort die nötigen Schritt für seine Sicherheit tun.«

      »Mein lieber West,« sagte da der junge Heatherstone, »die Gefahr, von der mein Vater sich bedroht sieht, kann durch keine menschliche Dazwischenkunft abgewandt werden. Sie ist aber nichtsdestoweniger vorhanden, und wir stehen vielleicht jetzt gerade nah vor einer