Gerstäcker Friedrich

Reisen Band 1


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in noch weiter Ferne, die weißen Schneekuppen wie drohend zu uns herüberschauten, und rechts dehnte sich die allerdings nicht ( sehr romantische, mit niederen Büschen bedeckte Ebene aus. Endlich stieg im Osten die Sonne empor und warf ihre Strahlen auf die roth erglühenden Schneefelder der Cordilleren, und über den Himmel hinaus breitete sich der rosige Saum - und die Vögel zwitscherten, der Thau hing an den grünen Blättern der Sträucher - die Thiere trabten lustig in den reizenden Morgen hinein, und selbst meine Begleiter - sonst gerade nicht lieblich und holdselig anzuschauen - sangen und pfiffen, und schienen sich ebenfalls der herrlichen Natur zu freuen.

      Rechts, dicht am Weg, stand ein einzelnes Häuschen und ein hoher Weidenbaum dicht davor; dahin bogen sie plötzlich ab. - Wollten sie schon wieder Rast machen? - wir waren kaum eine Stunde geritten - nein, vor dem Baum hielten sie und murmelten ein halblautes Gebet.

      Ich sah ihnen erstaunt zu; als sie aber fertig waren, zog der eine Peon auf einmal ein ganz freundliches Gesicht, zeigte nach dem Baum hinauf und sagte: una bota! (ein Stiefel); - ich blickte auf und - sollte mir denn, soweit die Republik reichte, jeder freundliche Augenblick durch irgend etwas Scheußliches verbittert werden? - oben an den einen Ast war der Fuß desselben Verbrechers, dessen Kopf mich schon von der Stange herunter angestarrt - bis zum Knie abgeschnitten - angenagelt. Ich wandte mich schaudernd von dem halb verwesten, halb vertrockneten Ueberrest jenes Verbrechers ab, drückte meinem Thier die Sporen in die Seiten und sprengte voran - die Anderen lachten.

      Es mag sein Gutes haben, diesem Volk die Folgen eines Verbrechens - das hier wohl nicht einmal zu den seltenen ge-/129/hört - täglich und wohin es sich auch wendet, vor Augen zu führen; es hat aber auch jedenfalls für Den, der nicht gerade immer ein „abschreckendes Beispiel" vor sich zu haben braucht, etwas höchst Fatales und Widerliches. Und was haben nun gar die armen Menschen in dem kleinen friedlichen Haus verbrochen, daß sie das scheußliche Bein da bei ihrem Ein- und Ausgang immer vor Augen haben müssen? - Ich scheue mich wahrlich nicht vor Leichen und habe deren schon in mancherlei Gestalt gesehen, in dem Haus möcht' ich aber doch nicht, sei es um welchen Preis es wolle, wohnen. Der Morgen war mir denn auch richtig wieder verdorben, und ich war nur froh, als wir uns mehr und mehr den Bergen näherten, wo mit der alten Umgebung auch die alten Gedanken verdrängt werden mußten.

      Am meisten trug übrigens das hier gar nicht so weit von der Stadt schon vorkommende Wild dazu bei, mich zu zerstreuen. Wir sahen viele Guanakas - die Lamas der Cordilleren - und auch einige Strauße, die letzteren aber sehr scheu und gleich beim Anblick der Pferde in wilder Flucht.

      Das Guanaka ist ein prächtiges Thier - so groß wie ein Hirsch fast, nur mit noch längerem Hals und weicher, herrlicher Wolle, aber sehr leicht zu schießen, denn die Jagd darauf wird hier nur sehr schwach betrieben, und das Wild läßt die Jäger mit nur einiger Vorsicht leicht auf hundert Schritt heran. Für mich waren übrigens auch noch außerdem meine Begleiter, und besonders die beiden Peons, die mein Gepäck trugen, von höchstem Interesse.

      Der chilenische „vagujano" (wie sie ihn dort nannten) bot nichts Besonderes; eine kräftige, untersetzte Gestalt, von dem grünen, mit bunter Einfassung besetzten Poncho überhangen, die niedere Stirn mit einem breitrandigen Strohhut bedeckt und sonst mit ziemlich nichtssagendem Gesicht, das nur gleichgültig bald über die rechte, bald über die linke Schulter hinüberschaute, ritt er voraus. Die beiden Peons dagegen erinnerten mich - und sonderbarer Weise gleich von Anfang an - lebhaft an die beiden Banditen aus Flotow's Stradella4. Der Eine - ein trocken drolliger Bursch, aber mit einer /130/ Galgenphysiognomie, wie sie wohl noch kaum dagewesen, verzog nur selten das Gesicht zu einem Lachen, während sich der Andere, ein kleiner, jüngerer Bursch, fortwährend über die Geschichten, die jener erzählte, ausschütten wollte. Der Erste war ein Argentiner, der Zweite ein Chilene, Beide trugen aber die argentinische Tracht, Beide auch das lange, argentinische Messer hinten im Gürtel, und ich zweifle gar nicht, daß sie bei passender Gelegenheit auch recht passenden Gebrauch davon zu machen gewußt hätten.

      Wir waren alle vier beritten, diesmal aber nicht auf Pferden, sondern auf Maulthieren; denn Pferde würden, wie mir der Führer sagte, in den Engpässen, die wir zu passiren hätten, nicht allein nicht fortkommen, sondern auch den Reiter, wenn der nicht fortwährend zu Fuß gehen wollte, zu sehr gefährden. Die Maulthiere waren übrigens vortrefflich, und wennsie uns auch vielleicht noch im flachen Land nicht so rasch vorwärts trugen, als es Pferde gethan haben würden, ritten sie sich doch leicht und bequem.

      Dreizehn Leguas von Mendoza entfernt betraten wir zuerst die Grenzhügel der Cordilleren; aber kein Baum erfreute das Auge, nur niederes Buschwerk stand in den Thälern, und an den Seitenhängen hin kletterten Ziegen und hier und da auch Kühe und Maulthiere, und weideten das spärliche Gras ab. Das Wasser schien aber in dieser Gegend besonders rar, und wir hatten an dem Abend wirklich Mühe, einen guten Lagerplatz zu finden. Es war schon dunkel, als wir endlich eine ziemlich steile Felswand erreichten, unter deren Schutz wir ein Feuer anzünden und ein Stück Guanakafleisch braten konnten, aber keineswegs Holz genug da, die ganze Nacht ein Feuer zu unterhalten. Als wir unsere Mahlzeit beendet hatten, mußten wir es ausgehen lassen und legten uns, so gut das angehen wollte, in unsere Decken gewickelt, die Sättel unter dem Kopf, zur Ruhe nieder. Den Abend vorher war es aber gar nicht so kalt, und ich selbst auch wohl die warmen Nächte Mendozas noch gewohnt gewesen, kurz, ich gab mir gar keine besondere Mühe, mein Lager nach allen Regelndes Berg- und Waldlebens zu bereiten, sondern warf mich eben nur auf eine Decke hin und deckte mich mit dem /131/ Poncho zu. Dafür sollte ich aber auch büßen – ich fror die Nacht schmählich, und konnte mir im Anfang eigentlich gar nicht erklären, woher das kam, bis ich am andern Morgen das Wasser in dem neben mit stehenden Blechbecher – gefroren fand.

      Das erste Zeichen, wie wir schon in die Berghöhen vorgerückt seien, machte sich hier bemerklich, und als wir ausrückten, fanden wir deren nur zu bald mehr. Der Bach, an dessen Ufer wir hinauf mußten, hatte überall Eis, so daß mein Maulthier an mehreren, wirklich abschüssigen Stellen verschiedene Male ausglitschte und zu stürzen drohte, jedesmal aber durch den ermunternden Zuruf der Führer wieder zu neuer Anstrengung angespornt wurde. Dieser Zuruf selbst aber hatte wirklich etwas Charakteristisches, und bestand nur in dem Worte: „oh mula, oh mula!“ – Dem strauchelnden Thier wurde nur zugerufen, daß es ein „Maulthier“ sei, und es so bei seinem Ehrgefühl auf die wirksamste Art angefaßt. Ein Maulthier und stolpern – nein, das ging gar nicht – der Führer hatte vollkommen Recht, und es nahm jetzt alle seine Kräfte zusammen, so daß wir Stellen glücklich passirten, auf denen Pferde Hals und Beine gebrochen hätten.

      Höher und höher stiegen oder kletterten wir vielmehr hinauf, bis wir die mit dünnem Schnee bedeckten Kuppen erreichten – doch lange noch keine Cordilleren. – Diese an sich schon ziemlich hohen Berge haben auch den für den Wanderer, der hier schon Bedeutendes geleistet zu haben glaubt, allerdings nicht ermuthigenden und auch etwas unanständigen Namen der „Piojos der Cordilleren“. Hier fand ich selbst im Schnee die Spuren der Guanakas und des Puma oder amerikanischen Löwen, der die Höhen zu lieben scheint. – Die Fährte des letzteren war etwas größer als die des amerikanischen Panthers, und mein Führer versicherte mir, daß man das Thier zwar manchmal, aber doch nur äußerst selten am Tag zu sehen bekäme. Nachts aber, und selbst bei Mondschein, streife es umher und folge sogar manchmal den Fährten der Menschen, die es aber nie selber angriffe.

      Auf dem höchsten Gipfel dieser Hügel, wie ich sie doch wohl nennen muß, öffnete sich uns aber auch plötzlich ein /132/ Panorama, das ich nun und nimmer vergessen werde. Unter uns, zu unsern Füßen, lag das unmittelbar die Cordilleren umschließende Thal, und schroff und scharf stiegen aus diesem empor die gewaltigen Bergen – die Riesenleiber in ihre weißen, blitzenden Schneedecken gehüllt und hineinragend in die Wolken mit den starren, zackigen Kronen.

      Da hinüber wollt‘ ich armes schwaches Menschenkind – da hinüber, wo unberechenbare Schneemassen oft Berg mit Berg verbanden und die Schluchten in ihrer unergründlichen Tiefe bis zum Rand füllten – da hinüber, wo alles andere Leben in eisigem Frost erstarrt war, und selbst der Condor mit rascherem Flügelschlag die zackigen Eisfelder und Kuppen überflog? – Ja, da hinüber wollt‘ ich – und es war zugleich auch ein stolzes, freudiges Gefühl, daß gerade die schwache Menschenkraft es wagenkonnte, all‘ die Schwierigkeiten zu besiegen und sich die Bahn zu brechen, wo jede Bahn, jeder Fortgang