Vorwurf machen, wenn ich diesen Brief nicht in Händen hätte. Alfred – du sagtest, die letzten Worte, die euer sterbender Vater mit der Maschine geschrieben, seien unzusammenhängend und unverständlich. Willst du aber diesen vor vier Wochen geschriebenen Brief ebenfalls für sinnlos erklären? – Herr Coroner, – mit diesen Worten wandte sie sich an den alten Beamten – vor einem Monat war mein Oheim krank. Es war keine gefährliche Krankheit, aber die ihm verordneten Arzneien – o, Doktor Bennett, kommen Sie mir zu Hilfe! Wie soll ich mich ausdrücken? – die Arzneien waren, wie wir alle wußten, gefährlich, wenn sie in zu großen Gaben eingenommen wurden. Eines Nachts – o mein Gott, ich kann es kaum aussprechen! – eines Nachts geriet er auf die begründete Vermutung, daß ihm etwas in seinen Nachttrunk gemischt sei, und infolgedessen schrieb er diesen Brief und übergab ihn mir zur Aushändigung für den Fall, daß er ... daß er ... o, ich brauche nicht zu sagen, welchen Fall er dabei im Auge hatte. Sie haben des teuren Toten Haupt auf dem Fußboden seines Arbeitszimmers liegen sehen! Aber um eins möchte ich bitten: der Brief ist an meine drei Vettern gemeinschaftlich adressiert – wollen Sie ihnen erlauben, ihn ohne Zeugen zu lesen, wenn sie schwören wollen, das Schreiben unverändert und unversehrt Ihnen wieder einzuhändigen? Ich bitte Sie, erzeigen Sie ihnen nur diese einzige Gunst. Bitte, bitte, erfüllen Sie mir diesen sehnlichen Wunsch – und wäre es auch nur, weil ich so tief gelitten habe. Ich habe das Hereinbrechen dieses Furchtbaren beschleunigt ... und ich wollte ... ich wollte doch nur ...
Sie vermochte sich kaum noch auf den Füßen zu halten; aber sie streckte dem Coroner den Brief hin. Dieser warf einen schnellen Blick darauf und gab ihn sofort an Leighton weiter, da dieser in der über sein Haus hereingebrochenen Katastrophe verhältnismäßig noch am meisten Besinnung und Stärke bewahrt hatte.
Gott wolle verhüten, sagte der Coroner Frisbie, daß ich Söhnen das Vorrecht bestritte, ihres Vaters letzte Willensmeinung zuerst zu lesen.
Mit diesen Worten verließ er das Bibliothekzimmer, in welchem die drei Brüder allein zurückblieben; aber er ließ den Türvorhang zurückgeschlagen und verwandte während der langen Zeit, die die Verlesung des Briefes beanspruchte, kein Auge von den Gillespies.
Sie sehen, ich hatte einen Freund nötig! flüsterte Hope Meredith mir ins Ohr.
Ich warf ihr einen freundlich tröstenden Blick zu. Das arme Mädchen tat mir aufrichtig leid. Von den Männern, gegen die sie die Beschuldigung des ungeheuerlichsten Verbrechens hatte erheben müssen, waren zum mindesten zwei in sie verliebt – ich mußte dies aus allem, was ich sah, unbedingt schließen –, Alfred leidenschaftlich, George mit weniger offener Darlegung seiner Gefühle, aber wahrscheinlich mit nicht geringerer Innigkeit und Glut.
Sie hätten den Brief für sich behalten können, flüsterte ich zur Antwort ihr zu.
Aber sie sah mit edlem Stolz mir voll ins Gesicht und versetzte:
Sie wollen andeuten, daß ich durch den Versuch, den Streifen zu verheimlichen, den Verdacht auf meine Vettern gelenkt habe. Aber es spricht so viel Belastendes gegen sie, und so konnte ich nicht mehr darauf rechnen, daß sie eine Gelegenheit finden würden, den Brief gemeinschaftlich zu lesen. Und gemeinschaftlich müssen sie ihn lesen. Das legte mein Oheim mir dringend ans Herz. Freilich dachte er nicht, daß Polizeibeamte dabei anwesend sein würden.
Der Coroner unterbrach sie, indem er auf sie zutrat, um mehrere Fragen an sie zu richten. Ich freue mich, sagen zu dürfen, daß meine Gegenwart ihr Standhaftigkeit verlieh, auch dieses neue qualvolle Verhör auszuhalten. Ihre Aussagen waren kurz.
Was in dem Briefe stehe, wisse sie nicht. Ihr Oheim habe ihn geschrieben, während er noch krank zu Bett gelegen, und er sei dazu durch ein Erlebnis veranlaßt worden, worüber in dem Schreiben selbst das Nähere sich finde.
Der Brief gelangte einige Wochen später in seinem Wortlaut zu meiner Kenntnis. Ich will ihn aber schon an dieser Stelle in meine Erzählung einfügen, da dies zum Verständnis der folgenden Ereignisse notwendig ist.
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