Dr. med. Rainer Adamaszek

Warum gerade jetzt? Warum gerade hier? Warum gerade so?


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handelte sich mit seiner Initiative aber ein Problem ein. Denn seine Kritik an Freuds „quasi-physiologischem“ (14) Ansatz traf zwar grundsätzlich zu, aber er konnte keine Alternative dazu vorweisen, der den bewährten Kriterien wissenschaftlicher Verlässlichkeit genügte. Er verfügte über keinen biographischen Begriff von „Wirkung“, der sich auf übliche logische Argumente oder experimentelle Nachweise stützte. (15) Seine heuristisch gemeinten Behauptungen griffen vielmehr Vorschlägen zu ihrer wissenschaftlichen Überprüfung vor. Sie waren bestenfalls visionär bzw. prophetisch, also im Wissenschaftsbetrieb keinesfalls salonfähig.

      Immerhin hat Weizsäcker ein Lebenswerk vollbracht, das dem Nachweis diente, dass der physikalische bzw. physiologische Arbeitsbegriff irreführend wird, sobald man ihn auf Krankheitsprozesse anzuwenden versucht. Und er hat von Anfang an betont, dass der Begriff des „biologischen Aktes“, den er stattdessen einzuführen vorschlug, eine Definition der „Leistung“ voraussetzt, die der physikalischen Formel „Kraft mal Weg durch Zeit“ grundsätzlich widerspricht. Somit erklärte er selbst es indirekt für eine Schwäche, dass Freuds Triebtheorie dem erforderlichen radikalen Bruch mit der naturwissenschaftlichen Physiologie ausgewichen ist. Und damit hatte Weizsäcker vollständig Recht.

      Schwierig wurde seine Lage dadurch, dass er sich nicht über Freuds Verbot hinwegsetzte, anstelle der „Libido“, des psychoanalytischen Surrogats der Liebe, die Liebe selbst in die Wissenschaft vom Menschen einzuführen und sie einer auf empirischem Wege gewonnenen Bestimmung zuzuweisen. Dieser Schritt nämlich erweist sich als notwendig, um anthropologische Forschung zu betreiben, d. h. die Schwelle zu überschreiten, vor der schon Karl Marx mit der „dialektisch-materialistischen“ Lieblosigkeit der Kategorien „Arbeit“ bzw. „Wert“ stehengeblieben war. (16)

      Die Humanisierung der Wissenschaften setzt eine Begrifflichkeit voraus, die Liebe, Leib und Leben neu zu verstehen lehrt. Den Boden dafür muss eine wahrhaft biographische Untersuchung menschlicher Lebenszusammenhänge bereiten. Sie muss zur Überwindung der physikalischen, physiologischen und technischen Methode befähigen, Zeitabläufe zu messen und zu bewerten. Hier aber beansprucht die Einführung der Liebe in die anthropologische Forschung vorrangige Bedeutung. Und Grundlage dafür ist eine der methodischen Überprüfung folgende Definition der Liebe.

      Diese Definition resultiert ebenso aus Formen der Beteiligung am Leben, wie die Beteiligung am Leben ihren Formwandel aus der Definition dieser Erfahrung bezieht (17):

      Die Lebensdauer ist ein Maß für die Leistung der Liebe. Wissenschaftlich relevant ist diese Bestimmung darum, weil wir Menschen einander als geschichtliche Wesen über den Tod hinaus lebendig halten. Aus demselben Grund ist die menschliche Lebensdauer von der zeitlichen bzw. sinnlichen Eindimensionalität physisch erforschbarer Vorgänge grundsätzlich zu unterscheiden.

      Die Liebe wissenschaftlich zu definieren, heißt dann, ihrem Begriff die Kriterien der Lebensleistung zu entnehmen und sich der Gesetzmäßigkeit ihrer Erscheinungsweise in Hinblick auf das Wesentliche zu widmen: Das ist noch nicht die bloße Menschlichkeit, sondern erst deren Sinnerfüllung.

      Anders formuliert: Die Aufgabe der Arbeit der Liebe besteht darin, dem Sinn der Lebensordnung zu dienen. Gelingt dies, so handelt es sich um eine Leistung. Aber dies Ziel wird offenbar nicht selten verfehlt. Die Irrwege zu thematisieren, an denen sich die Arbeit der Liebe versucht, und nachzuweisen, dass auch dies gesetzmäßig geschieht, ist die Aufgabe einer Heilkunde, die hermeneutisch vorgeht.

      Ihrem Begriffe nach beinhaltet Hermeneutik die Bereitschaft und Fähigkeit, in den Verfehlungen der Arbeit den verborgenen Sinn der Liebe zu entdecken (hermeneutische Diagnostik) und der Erfüllung ihres Sinns zuzuführen (hermeneutische Therapeutik). Der Erfolg einer unter dieser Voraussetzung eingeführten Wissenschaft von der Liebe reduziert sich also nicht auf die traurige Feststellung, die Arbeit der Liebe habe im Falle des Auftretens von Symptomen ihre Aufgabe eben nicht erfüllt. (18) Die biographische Methode dient vielmehr dazu, die Gesetzmäßigkeit symptomatisch relevanter Zeitpunkte im Leben von Kranken zu fokussieren. Auf ihrer Basis kann sich die (diagnostisch) begonnene Untersuchung sinnstiftenden (therapeutischen) Zwecken zuwenden. Durchweg geht es darum, verlorenes Vertrauen in die Liebe zurückzugewinnen und die Güte des Lebens zu achten.

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