Thomas Manderley

Die Sternenschnüffler


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doch Joe hielt Loras Hand fest und brach sein Schweigen: „Ist nicht nötig, mir geht es gut. Meine restliche Tour ist nur gerade abgesagt worden, meine Plattenfirma hat mir gekündigt und das alles hat mir soeben mein Manager mitgeteilt, der nun auch nicht mehr mit mir arbeiten will.“

      Lora sah Joe entgeistert an: „Nein, nicht wirklich, oder?“

      „Doch!“, sagte Joe und sein Tonfall schlug in Sarkasmus um: „Und ich habe vergessen zu erwähnen, dass mein Manager noch zehntausend Unidollars Honorar von mir fordert.“ Joe ließ Loras Hand los und ließ sich zurück in seinen Sessel fallen.

      Obwohl Lora Joe kaum kannte, fühlte sie, wie sich ihr Brustkorb zusammenzog und ihr das Atmen schwerfiel. Sie blickte hilflos auf die Rücklehne des Sitzes vor ihr und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, um jetzt das Richtige zu tun oder zu sagen. Doch der Transporter dockte in diesem Moment an die Station an und unterbrach Loras Denkprozess.

      Joe stand schnell auf und drehte sich zu Lora um: „Ich war leider noch nie auf Iridua, aber ich habe gehört, dass es dort traumhaft schön sein soll. Ich weiß, dass man nie ein Visum für Iridua bekommt, aber wer weiß, vielleicht schaffe ich es doch mal, Ihren Heimatplaneten zu sehen. Ich wünsche Ihnen jedenfalls alles Glück der Welt.“ Joe wartete nicht ab, ob Lora noch etwas sagen wollte. Er drehte sich einfach um und ging hinaus.

      Lora hingegen blieb stumm auf ihrem Platz sitzen. Sie wollte ihm eigentlich noch etwas hinterherrufen, doch sie brachte kein Wort heraus.

      Sie verstand es selbst nicht: Er war nur ein Musiker, dem der Erfolg ausgeblieben war. Solche Geschichten passierten jeden Tag und doch war es hier etwas anderes. Irgendwie hatte Lora wieder eines dieser unerklärlichen Gefühle, dass ihre Aufgabe in diesem Sternensystem noch nicht beendet war und dass sie Joe mit Sicherheit wieder treffen würde. Es fesselte Lora förmlich an ihren Sitz und erst als die Reinigungskolonne den Transporter betrat, stand sie auf und ging, immer noch in Gedanken versunken, hinaus in die Station.

      3. Kapitel

      „Freitag der 11.07.2356 Erdzeit, Planet Rawadian, fünftes Kriegsjahr - Mal wieder nichts los. Habe die Steine, die bis zu einem halben Meter Abstand um mich herum im Sand lagen nach Größe und Farbe sortiert. Mehr Produktives ist mir nicht eingefallen. Sven ist heute dran mit Bier holen. Hoffe, dass ich beim Pokern heute Abend meinen Verlust von gestern zurückgewinne.“ Oliver setzte seinen Stift kurz ab und überlegte. Er drehte ihn zwischen seinen Fingern hin und her, klopfte mit dem Ende rhythmisch auf sein Notizbuch, hielt ihn zwischen den Zähnen, während er ein paar Seiten zurück und wieder nach vorne blätterte. Aber egal was er versuchte: Ihm fiel nicht das Geringste ein, denn jeder Tag war wie der vorangegangene und wie der Tag zuvor. Mit einem Seufzer schlug Oliver sein Notizbuch zu und steckte es in die Innentasche seines Kampfanzugs.

      „Sven!“ Olivers Stimme durchschnitt die Langeweile im Schützengraben wie eine Klinge. „Sven, Du bist dran! Hol Bier!“ Oliver hoffte auf eine Antwort, die mehr als ein „Ja“ oder „Nein“ enthielt und vielleicht sogar auf den Beginn einer Unterhaltung, einer Abwechslung im staubigen Alltag der rawadianischen Zentralwüste, aber nichts kam zurück. „SVEN!“, schrie Oliver und wurde nun endlich erhört:

      „Ja doch, ich geh schon!“, schallte es vom anderen Ende des Schützengrabens herüber. Sven kletterte ohne jede Schutzmaßnahme nach oben und verschwand in Richtung des Lagers. Aber schon etwa zwanzig Minuten später war er mit einem halben Kasten Bier zurück. Oliver konnte es gar nicht erwarten, bis Sven ihm seine Flasche reichte. Er öffnete sie mit den Zähnen, trank die Hälfte der Flasche auf Ex aus, genoss dabei aber jeden Tropfen, der seine trockene Kehle hinunterlief.

      Neben Oliver, etwa fünfzehn Meter entfernt saß Kjomme. Er war auch ein Mensch, wie Oliver. Sein Vater war Kommandant bei der Raumflotte und so war Kjomme auf einem Schlachtkreuzer aufgewachsen. Sein seltsamer Name war typisch für das Sternensystem, in dem er zur Welt kam. Welches das war, wusste Kjomme nicht mehr. Hier im Krieg, sollte er sich jedenfalls, so wie sein Vater es wollte, seine Lorbeeren verdienen, um später auch einmal Raumschiffkapitän zu werden.

      „Hey, Kjomme, sag mir nochmal, warum wir alle eigentlich hier sind und warum speziell ich hier bin! Nach fast fünf Jahren Schützengraben, ohne dass nur ein einziger Schuss gefallen ist, habe ich ganz vergessen, was ich hier eigentlich mache.“

      „Wir verteidigen diesen Planeten vor den Invasoren da drüben.“ Kjomme deutete mit seiner Hand in Richtung der imaginären Frontlinie.

      Aber Oliver ließ nicht locker: „Der Planet heißt doch Rawadian. Also gehört er doch wohl den Rawadianern, oder? Sind wir dann nicht eigentlich die Invasoren?“

      „Ja, aber wir verwalten den ganzen Scheiß hier und beschützen unsere Erzminen. Du bist seit fünf Jahren hier und kennst nicht mal die offizielle Meinung, die Du zu vertreten hast? Was machst Du eigentlich während der morgendlichen Briefings?“

      „Da schlafe ich noch. Du etwa nicht?“ Kjomme blieb die Antwort schuldig, also fragte Oliver weiter: „Und ich, warum bin eigentlich ich speziell hier?“

      „Du hast wieder einen dieser Tage, richtig? Du bist hier, weil die Bezahlung stimmt.“, und Kjomme sah zum ersten Mal zu Oliver herüber: „Außerdem solltest Du froh sein, dass noch keiner geschossen hat, oder nicht?“

      „Aber Du, Kjomme, Du bist doch hier, weil Dein Vater es so will, oder?“

      Kjomme antwortete nur mit einem kurzen „Ja“ ohne weiteren Kommentar.

      „Aber was willst DU eigentlich?“, bohrte Oliver weiter. „DU liegst hier bei vierzig Grad im Dreck und schlägst die Zeit tot, nicht Dein Vater! Und dazu weißt Du nie, ob nicht doch mal so ein Irrer schießt.“

      „Was ich will?“ Kjomme richtete die Frage mehr an sich selbst als an Oliver. Er blickte wieder geradeaus und begann nachzugrübeln. Es dauerte ein paar Minuten, aber dann hatte er eine Antwort: „Pizza! Ich will eine Pizza, so wie früher! Mit viel Käse und vielleicht mit Schinken, oder sogar mit Oliven.“ Oliver sah erstaunt zu ihm herüber.

      „Vielleicht danach auch ein Tiramisu und einen schönen Rotwein.“, träumte Kjomme weiter: „Ja genau: Ein schönes Glas traditionellen, italienischen Rotweins. Das wär’s jetzt!“

      „Tiramisu? Was ist das denn?“, fragte Oliver. Kjomme sah zu ihm herüber und runzelte die Stirn.

      Oliver zog es dann doch vor, seine Unwissenheit zu überspielen: „Also was es auch immer ist: Hier gibt es so etwas nicht. Hier ist es nur heiß und staubig. Und das wird sich so schnell nicht ändern.“

      Olivers Worte hallten in Kjommes Ohren wider, wie die Standpauke eines Lehrers, bei der man sich am liebsten unter den Tisch verkriechen würde.

      Oliver wollte gerade dazu ansetzen, sich seinen ganzen Frust über seine Situation von der Seele zu reden, doch er hielt inne, denn ihm kam eine Idee: „Kjomme, warum gehen wir nicht einfach Pizza essen? In einem richtigen Erden-Restaurant!“

      Kjomme sah ihn verdutzt an.

      „Ich hab‘ die Schnauze gestrichen voll.“, fuhr Oliver fort: „Wir gehen einfach. Hier ist kein Krieg. Keiner schießt, keiner achtet hier noch auf irgendetwas oder irgendwen. Ich kann bis heute nicht verstehen, warum die hier an der so genannten Front nicht einfach Roboter einsetzen. Und bevor Du etwas sagst: Ja, ich habe sogar bei einem der Briefings zugehört und weiß, dass jede Maschine leichter zu überlisten ist als ein Mensch.“

      „Und nebenbei bemerkt kostet so ein Hightech-Roboter mehr als drei Jahresgehälter eines Soldaten.“, fügte Kjomme hinzu: „Aber was meinst Du mit Pizza im Erden-Restaurant? Wir kriegen nicht so schnell Urlaub, schon gar nicht zur selben Zeit.“

      „Wir hauen einfach ab, merkt so wie so keiner.“ Oliver stemmte sich aus seiner halb liegenden Position auf und setzte sich ein Stück näher zu Kjomme auf den staubigen Boden.

      „Meinst Du das ernst?“, fragte Kjomme mit aller Vorsicht.

      „Ja klar! Hat Dich in den letzten drei Jahren hier